Kampagne gegen neue konservative Partei: Welche Rolle der türkische Hintergrund spielt und worin die Heuchelei besteht. Ein Kommentar.

Migration: Dava-Partei oder Bundesregierung – wer ist der verlängerte Arm Erdogans?

Die richtige Forderung auch angesichts der Dava-Gründung müsste sein, Repressalien gegen linke Exilstrukturen aus der Türkei und anderen Ländern zu beenden und das PKK-Verbot aufzuheben. Sie wären ein großes Gegengewicht gegen rechtskonservative Organisationsversuche à la Dava. Es wäre doch eigentlich klar, was Menschen fordern sollten, die nicht ständig die autoritäre Staatlichkeit beschwören wollen: weniger statt mehr Staatseingriffe, nämlich die Abschaffung der Repression gegen linke migrantische Strukturen

Im Fall der AfD dauerte es einige Jahre, bis in der Öffentlichkeit über geheimdienstliche Überwachung geredet wurde. Bei der kürzlich gegründeten …

…  Partei Dava genügten wenige Tage, um solche Forderungen laut werden zu lassen. Dabei würde der ausgeschriebene Name „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ eher an eine Gruppierung aus dem linksliberalen Spektrum denken lassen.

Dava-Partei: Zwischen moderaten Forderungen und AKP-Nähe

Doch tatsächlich wird manchen Spitzenpolitikern der neu gegründeten Partei, die an den Europawahlen teilnehmen will, eine Nähe zur islamisch-konservativen AKP-Regierung in der Türkei nachgesagt. Die kurze Pressemitteilung zur Parteigründung ist wenig spektakulär.

Die Dava-Gründer haben sehr moderate sozialpolitische Forderungen und stellen wenig überraschend fest, dass sich viele Menschen von den bisherigen Parteien nicht mehr repräsentiert vielen.

Im Fall der AfD dauerte es einige Jahre, bis in der Öffentlichkeit über geheimdienstliche Überwachung geredet wurde. Bei der kürzlich gegründeten Partei Dava genügten wenige Tage, um solche Forderungen laut werden zu lassen. Dabei würde der ausgeschriebene Name „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ eher an eine Gruppierung aus dem linksliberalen Spektrum denken lassen.

Wie alle Parteineugründer wollen auch die Dava-Leute also eine Lücke in der Repräsentation schließen. Die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die gar nicht repräsentiert werden wollen, kommt Parteigründern aller Couleur grundsätzlich nicht und so wäre es ungerecht, das nur den Dava-Gründern vorzuwerfen.

Nur Misstrauen gegen Türken, die sich politisch engagieren?

Was diese von anderen Parteigründern unterscheidet, ist ihre Zielgruppe. Die Dava wendet sich in erster Linie an Menschen mit türkischem Migrationshintergrund.

Hier liegt sicher auch der Grund für die harsche Kritik, die die Partei schon kurz nach der Gründung erfährt. Man kann durchaus unterstellen, dass hier auch rassistische Motive eine Rolle spielen. Menschen mit türkischem Migrationshintergrund und Doppelstaatsbürgerschaft, die sich in die deutsche Politik einmischen, waren vielen schon immer suspekt. Schließlich hat man sie einst als Arbeitskräfte gerufen, die schnell wieder verschwinden sollten.

Kohl-Ära: Remigrationspläne, die nicht für Aufregung sorgten

Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hat noch in den 1980er-Jahren darüber schwadroniert, Millionen türkischstämmige Menschen müssten Deutschland verlassen. Diese sehr konkreten Remigrationspläne, die erst viel später bekannt wurden, haben allerdings keine großen Reaktionen ausgelöst.

Doch es hat sich eben auch gezeigt, dass sich die Menschen nicht mehr vertreiben lassen. Kohl konnte seine im privaten Kreis geäußerten Remigrationspläne nicht umsetzen. Und als der CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer als Westberliner Innensenator migrantische Menschen vertreiben wollte, gab eine große Protestbewegung in der türkischen Community. „Wir sind keine Rausländer“ hieß eine Parole – und so hieß später auch eine kleine Ausstellung, die in den Berliner Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung daran erinnerte.

Gefahr einer türkischen AfD? Die Debatte um die Dava-Partei

Wenn jetzt vor Erdogan-Jüngern gewarnt wird, die in Deutschland Politik im Sinne des autoritären türkischen Präsidenten machen wollen, und sofort mit dem Verfassungsschutz gedroht wird, ist leider davon auszugehen, dass da eher bei vielen eher rassistische als Motive dahinter stecken als solche „gegen Rechts“.

Dabei dürfte kein Zweifel bestehen, dass die neue Partei eher rechtskonservativ ist. Ob dann aber gleich von einer türkischen AfD geredet werden kann, darüber gibt es sicher Diskussionsbedarf. Wenn dann aber Ali Ertan Toprak von der konservativen Kurdischen Gemeinde Deutschlands gleich die Ausweisung der Parteigründer fordert, vertritt er selbst rechte Parolen.

Doppelte Staatsbürgerschaft und politische Repression

Schließlich leben die Gründer der Partei nicht nur lange in Deutschland, sondern haben oft die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft. Wer dann fordert, dass ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll, ist nicht weit weg von den Thesen jener rechten Potsdamer Klausur, das seit Wochen für Aufregung sorgt.

Dort soll sogar als Vorteil der doppelten Staatsbürgerschaft bemerkt worden sein, dass damit die Abschiebung vereinfacht werden kann. Wer dann die Abschiebung von Doppelstaatlern mit türkischem Hintergrund wegen einer Parteigründung fordert, bleibt ganz im Drehbuch der rechten Potsdamer Klausur. Das zeigt auch einmal mehr, dass solche Remigrationspläne eben nicht nur eine Domäne der AfD sind.

Selektive Wahrnehmung und Kritik ohne Reflexion

Toprak ist CDU-Mitglied und kritisiert mit keinem Wort die jahrelangen Repressalien gegen Kurdinnen und Kurden, die verdächtigt werden, Verbindungen zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu haben. Für Toprak ist das kein Problem. Da fällt nur der lapidare Satz, dass die PKK nun mal verboten sei. Nein, die PKK ist verboten, weil deutsche Politiker linke Exilstrukturen möglichst klein halten wollen – und damit sind sie durchaus auf einer Wellenlänge mit ihrem Nato-Partner Recep Tayyip Erdogan.

Vor der PKK waren auch immer Gewerkschaften und andere linke Organisationen im Visier der repressiven Staatsapparate. Man denke nur an die Repressionswelle gegen streikende Arbeiter im Kölner Ford-Werk Anfang der 1970er-Jahre.

Der deutsche Staat ist in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit Repression gegen linke migrantische Strukturen vorgegangen. Dabei haben sich die Verantwortlichen auch durchaus mit der türkischen Justiz abgesprochen.

Mehr Raum für Islamisten durch Druck auf migrantische Linke

Damit wurde den ultrakonservativen migrantischen Organisationen erst Raum gegeben. Politisch Suchende mit Migrationshintergrund, die sich hierzulande ausgegrenzt fühlen, wurden gezielt von ihnen angesprochen, wo die migrantische Linke geschwächt war.

Hinzu kommt: Ultrakonservative islamische Vereinigungen waren geschätzte Dialogpartner der Bundesregierung. Ihr sind religiöse Organisationen immer willkommen, um linke säkulare Organisationen einzudämmen, die bis in die 1980er-Jahre eine große Mobilisierungskraft hatten.

Deshalb müsste die richtige Forderung auch angesichts der Dava-Gründung sein, Repressalien gegen linke Exilstrukturen aus der Türkei und anderen Ländern zu beenden und das PKK-Verbot aufzuheben. Sie wären ein großes Gegengewicht gegen rechtskonservative Organisationsversuche à la Dava.

Es wäre doch eigentlich klar, was Menschen fordern sollten, die nicht ständig die autoritäre Staatlichkeit beschwören wollen: weniger statt mehr Staatseingriffe, nämlich die Abschaffung der Repression gegen linke migrantische Strukturen.

Integration und politische Beteiligung: Das Beispiel Kotti und Co.

Ein anderer Aspekt besteht darin, dass in sozialen Initiativen auch mehr Menschen, die aus der Türkei kommen, in ihre Arbeit einbezogen werden sollten. Beispielhaft wäre hier die Berliner Initiative Kotti und Co. zu nennen, die Mieterinnen und Mieter am „sozialen Brennpunkt“ Kottbusser Tor in Berlin Kreuzberg organisiert hat. Ihr Treffpunkt steht ganz in türkischer Protesttradition. Es ist ein Gecekondu, eine über Nacht gebaute Holzhütte, die nach türkischen Recht dann nicht geräumt werden darf.

Bei Kotti und Co. arbeiten auch Menschen mit, die eine recht unkritische Haltung zur Erdogan-Regierung haben. Das wurde in der Auseinandersetzung innerhalb der Initiative zu den Protesten am Gezi-Park in Istanbul deutlich. Doch an dieser Auseinandersetzung ist die Organisation nicht zerbrochen.

Auch die Kreuzberger Stadtteilorganisation Bizim Kiez (türkisch-deutsch: „Unser Kiez“) organisiert Menschen unterschiedlicher Herkunft. In solchen Bündnissen entstehen neue Beziehungen und Dialoge zwischen diesen Menschen. Die werden sich dann genauer überlegen, ob sie eine konservative Partei wie die Dava wählen.

Politische Organisation und Identität: Die Rolle der Dava-Partei

Das betrifft auch antirassistische Bündnisse in vielen Teilen der Republik, wie beispielsweise die Initiative 19. Februar, in der sich Überlebende, Angehörige und Unterstützer des rassistischen Amoklaufs vom 19. Februar 2020 zusammengetan haben.

Unter den Opfern waren ganz unterschiedliche Menschen, auch solche, die positiv zur türkischen Regierung stehen. So waren auch Vertreter des türkischen Staates bei den Trauerfeiern dabei und das war auch der ausdrückliche Wunsch einiger Überlebender und Angehöriger der Opfer.

Es steht in einem solchen Fall natürlich nicht „biodeutschen“ Antirassisten zu, darüber zu entscheiden. Es ist aber in einer Zusammenarbeit in solchen Bündnissen möglich, die Beteiligten für Ausgrenzung und Rassismus überall zu sensibilisieren. Wenn hingegen mit Begriffen wie „Handlanger Erdogans“ gegen konservative Erdogan-Anhänger in Deutschland agiert wird, braucht man sich nicht wundern, dass sie sich dann noch mehr abschotten und Parteien wie die Dava stärken.

Der taz-Journalist Volkan Agar weist auch zurecht darauf hin, dass die Dava nicht der erste Versuch ist, konservative türkische Migranten in Deutschland parteipolitisch zu organisieren. Die bisherigen Parteien bleiben im Promille-Bereich und fanden auch sonst wenig Aufmerksamkeit.

Empörung hier, Kumpanei mit Erdogan an der EU-Außengrenze

Durch die Kampagne gegen die mutmaßlichen Erdogan-Anhänger in Deutschland aber bekommt die Dava große Aufmerksamkeit, was sie sich sicher gewünscht hat.

Da sollte man entgegenhalten, dass viele Politiker von CDU/CSU bis SPD selbst wie verlängerter Arm Erdogans agieren, wenn sie gegen kurdische und türkische Linke vorgehen, dabei eng mit der türkischen Justiz kooperieren – und dass sie Erdogan als Grenzwächter zur Abwehr von Migranten gerne stärken.

Peter Nowak