Söder vorn bei AfD-Politik ohne AfD-Parteibuch: Erst trifft das Bezahlkarten-System Geflüchtete. Welche Gruppe könnte die nächste sein? Ein Kommentar.

Bevormundung statt Bargeld: Asylpolitik als Versuchsfeld für Angriffe auf Freiheitsrechte

So rühmt sich Söder, dass er die Bezahlkarte schon einführt, während dies in anderen Bundesländern und Landkreisen noch geprüft wird. Es ist schon erstaunlich, dass bei den gegenwärtigen Protesten "gegen Rechts" der Kampf gegen diese massive Verschlechterung für Geflüchtete nicht viel zentraler im Mittelpunkt steht. Kann jemand wirklich glaubwürdig gegen die AfD demonstrieren und dann nichts dagegen haben, wenn Teile von deren Programm von den Mitte-Parteien umgesetzt werden?

„Söder knallhart“ titelte Bild am Wochenende. Schnell wurde klar: Es geht um …

… Asylsuchende, die nicht nur das Feindbild Nummer eins der AfD sind. Markus Söder lässt sich als bayerischer Ministerpräsident mit CSU-Parteibuch gerne dafür feiern, schneller und härter dafür zu sorgen, diese Personengruppe im Freistaat bis auf ein Taschengeld von 50 Euro im Monat nur noch mit Bezahlkarten statt mit Bargeld ausgestattet wird.

Es könnten nur noch Waren in Geschäften des täglichen Gebrauchs gekauft werden. Online-Shopping, Glücksspielteilnahme und Überweisungen ins Ausland würden gestoppt, kündigt der bayerische Ministerpräsident die Einschränkung der Freiheitsrechte an.

Die sozialen Folgen der Bezahlkartenregelung für Asylsuchende

Über die Sinnhaftigkeit von Online-Einkäufen lässt sich aus vielen Gründen streiten. Nicht einzusehen aber ist, dass sie gerade Asylsuchenden verwehrt sein sollen – und warum sie auch keine Überweisungen beispielsweise an Freunde und Verwandte in ihrer Heimat tätigen sollen.

Schließlich haben viele dort Freunde und Verwandte, sogar teilweise enge Familienangehörige in Notlagen im Ausland. Jetzt soll untersagt werden, ihnen Geld zu schicken – wobei es in der Regel ohnehin nur um geringe Beträge gehen könnte, denn gemäß Asylbewerberleistungsgesetz erhalten die Betroffenen noch weniger als Bürgergeldbezieher – nämlich als Alleinstehende pro Monat insgesamt 460 Euro statt 563 Euro.

Lokaler Einzelhandel leidet unter der Bezahlkartenpolitik

Doch die Kartenregelung trifft auch den lokalen Einzelhandel, darunter auch kleine Geschäfte von Migranten, die diese Karten nicht verwenden können.

In Bayern soll die Bezahlkarte zunächst in vier Landkreisen eingeführt werden. Sie soll nur noch in Läden in der Nähe der Flüchtlingsunterkünfte eingelöst werden können, was die Einkaufsmöglichkeiten der betroffenen Menschen weiter einschränkt.

Solidarität in Zeiten der Ausgrenzung: Zurück zu Bargeld?

Insgesamt wird mit den Karten aber die Ausgrenzung von Geflüchteten vorangetrieben, wie die antirassistische Aktion Bleiberecht sehr richtig vermerkt. Die Einführung der Bezahlkarten nicht nur in Bayern, sondern in zahlreichen weiteren Bundesländern ist ein Rollback in die 1990er-Jahre. Damals kämpften antirassistische Initiativen mit kreativen Aktionsformen für Bargeld statt Bezahlkarten.

So gab es gemeinsame Einkaufstermine, wo solidarische Menschen in Kaufhallen mit den Bezahlkarten ihre Einkäufe tätigten und den Geflüchteten dann das Bargeld auszahlten, das sie dann zur freien Verfügung hatten. Mit dem Rollback in der Flüchtlingspolitik, das sich in der Rückkehr der Bezahlkarten ausdrückt, könnte auch eine solch solidarische Einkaufspraxis wieder gefragt sein.

Söders AfD-ähnliche Abschreckungspolitik und ihre Folgen

Außerdem solle die Karte nur in der Nähe der Unterkunft genutzt werden können. „Wir brauchen schleunigst eine wirksame Begrenzung der unkontrollierten Zuwanderung“, schrieb Söder auf der Plattform X. „Dazu braucht es eine Reduzierung der Anreize, um nach Deutschland zu kommen. Es ist keine Zeit mehr zu verlieren.“ Da redet der bayerische Ministerpräsident nur ehrlicher als seine Kollegen in anderen Bundesländern mit CDU- oder SPD-Parteibüchern, die ebenfalls Bezahlkarten einführen wollen.

Hier zeigt sich einmal mehr, dass die wesentlich von politischen Parteien geförderte Anti-AfD-Bewegung zumindest vonseiten der meisten Politiker keine antirassistische Motivation hat. Man sieht in der AfD den Konkurrenten und will beweisen, dass man am Ziel der AfD, Migranten abzuschrecken, nichts auszusetzen hat. Im Gegenteil eröffnet Söder geradezu einen Wettbewerb darum, welcher Ministerpräsident als erster AfD-Politik ohne die AfD umsetzen kann.


So rühmt sich Söder, dass er die Bezahlkarte schon einführt, während dies in anderen Bundesländern und Landkreisen noch geprüft wird. Es ist schon erstaunlich, dass bei den gegenwärtigen Protesten „gegen Rechts“ der Kampf gegen diese massive Verschlechterung für Geflüchtete nicht viel zentraler im Mittelpunkt steht. Kann jemand wirklich glaubwürdig gegen die AfD demonstrieren und dann nichts dagegen haben, wenn Teile von deren Programm von den Mitte-Parteien umgesetzt werden?

Schikanen gegen Asylsuchende: Ein Randthema bei Großdemos?

Doch wie heikel es ist, auf diesen Großdemonstrationen Bezüge zur aktuellen Politik herzustellen, bekommt aktuell die Betriebsgruppe der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an der Freien Universität (FU) Berlin zu spüren. Die hatte sich an der Großkundgebung „Wir sind die Brandmauer!“ in Berlin mit einem eigenen Aufruf beteiligt, in dem auch die Ampel-Regierung und der Arbeitgeber FU kritisiert wurden.

Wer wie das FU-Präsidium Tarifverträge nicht einhält, bekämpft aktiv Mitbestimmung und demokratische Prozesse und sorgt so für politischen Verdruss. Im Ergebnis fördert auch die FU damit den Rechtsruck und den Aufstieg der AfD, denen gewerkschaftliche Organisierung ebenfalls ein Dorn im Auge ist. Bis heute sind zudem Beschäftigtengruppen der unteren Lohngruppen und mit hohem Migrant:innenanteil wie z.B. Reinigungskräfte an der FU ausgegliedert und damit von der betrieblichen Gemeinschaft ausgegrenzt und schlechter gestellt.Aus dem Aufruf der ver.di-Betriebsgruppe an der FU Berlin

Prompt kam vom FU-Präsidium eine Gegendarstellung, in der die ver.di-Betriebsgruppe aufgefordert wurde, den Aufruf aus dem Netz zu nehmen und sogar mit rechtlichen Schritten gedroht wurde.

Bezahlkarte als Pilotprojekt: Ein Vorbote für weitere Einschränkungen?

Dabei zeigt die Renaissance der Bezahlkarte, wie nötig eine Kritik an rechter Politik ist, die sich nicht nur auf die AfD konzentriert. Da lässt sich am Beispiel der Bezahlkarte gut festmachen. Sie ist ein Pilotprojekt, an dem sich austesten kann, wie weit bestimmte schon marginalisierte Gruppen weiter entrechtet werden können. Dabei könnten bald auch Bürgergeld-Bezieher im Visier stehen.

Das zeigte sich bei der Debatte um den Bundeshaushalt in der letzten Woche im Bundestag. Politiker von AfD, FDP und Unionsparteien – einschließlich CDU-Chef Friedrich Merz – überboten sich in Hetze gegen Bürgergeldbezieher, die angeblich leistungsloses Einkommen bekämen. Wird da schon das politische Klima bereitet, damit dann auch weitere Gruppen nur noch Bezahlkarten bekommen, damit sie keine Genussmittel mehr kaufen können? Peter Nowak