Was ist das deutsche Industrieproletariat und was kann es zum Kampf gegen die Klimakrise beitragern ?

An welchen Feuertonnen sollen sich Klimaaktivist*innen künftig die Hände wärmen?

Der Film "Der laute Frühling" von Johanna Schellhagen weist da eine Perspektive. Es wird wohl noch etwas dauern, bis Lohnabhängige und Klimaaktivist*innen gemeinsam die VW-Werke besetzen, umnutzen und gemeinsam gegen die Polizei verteidigen. Das ist die Utopie, die in dem Film gezeigt wird. Aber die Grundlagen werden bei den Kämpfen heute gelegt. Die Parole sollte also lauten: Schafft ein, zwei viele GKN. Auf Feuertonnen brauchen die Aktivist*innen von IL und Umsganze auch dann übrigens nicht zu verzichten. Bei Arbeitskämpfen waren sie immer auch ein beliebter Treffpunkt vor den Fabriktoren und die Gespräche dort waren teilweise sogar interessanter als in den Hüttendörfern.

Massenblockaden und andere Aktionen sind schon berechenbar geworden und haben den Reiz des Neuen verloren und trotz vielen Diskussionen geht alles seinen kapitalistischen Gang. Da ist es gut, wenn über Perspektiven diskutiert wird. Diesen Anspruch haben auch die Genoss*innen aus der Interventionistischen Linken und dem Bündnis Umsganze, die in der letzten Ausgabe Wochenend-ND von 2023 einen …

…  Beitrag liefern. Schon die Überschrift „Schafft zwei drei viele Lützeraths“ weist den Weg. Sie orientieren sich an dem Dorf ganz im Westen von NRW, das im Januar 2023 von der Polizei geräumt und mittlerweile abgerissen wurde. Es war Monate zuvor von der Klimagerechtigkeitsbewegung zum Symbol für ihren Kampf erklärt worden.

Aber wieso wird ausgerechnet eine Symbolpolitik, die zu einer offensichtlichen Niederlage führte, als Perspektive benannt? Was soll es denn heissen, zwei, drei viele Lützeraths zu schaffen? Sind das Dörfer, die trotz ihres Symbolcharakters dann trotzdem geräumt werden? Und warum wird nicht wenigstens der Hambacher Forst als Symbol benannt, in dem ja tatsächlich noch Besetzer*innen leben, der aber auch akut bedroht ist? Die wenigen aktuellen Besetzer*innen haben dazu aufgerufen, sie bei der Verteidigung des Waldes gegen den RWE-Konzern zu unterstützen. Trotzdem wird der Hambacher Forst in dem Artikel mit keinem Wort erwähnt, obwohl doch die Kampfform den Vorstellungen der Autor*innen entsprechen dürfte. Auch dort kann man sich an Feuertonnen wärmen.

Die grundsätzliche Kritik an dem Text ist jedoch, dass durch diese Konzentration auf irgendwelche Dörfer vergessen wird, das der Kampf um eine emanzipative Klimapolitik nur mit einer grossen Zahl von Menschen gewonnen werden kann. Deshalb ist es erfreulich, dass sich seit einigen Jahren Klimaaktivist*innen und Lohnabhängige in Initiativen zusammenfinden. Die bekannteste dieser Initiativen heisst „Wir fahren zusammen“, wo Beschäftigte des Öffentlichen Nahverkehrs und Klimaaktivist*innen kooperieren. Konfliktreicher ist die Kooperation zwischen einigen Beschäftigten von VW-Wolfsburg und einer Gruppe von Klimaaktivist*innen mitten in der VW-Stadt. Auch dort gab es schon lebhafte Diskussionen und auch Erfolge, wenn eine Erweiterung der VW-Produktionsstätten verhindert wurde.

Natürlich ist diese Arbeit oft mühselig, die Mühen der Ebenen eben, und oft nicht besonders revolutionär. Aber wenn die Genoss*innen der IL und Ums-Ganze ehrlich sind, werden sie auch zugeben, dass manche Gespräche bei den Feuertonnen von Hüttendörfern längst nicht so revolutionär sind. Der Film Vergiss Meyn Nicht – ein Vermächtnis des bei Fotoarbeiten im Hambacher Forst verunglückten Medienaktivisten Steffen Meyn – gibt hier einen sehr ehrlichen Einblick auch in die Mühen der Ebene solcher Besetzungen. Nur soll das hier gar nicht gegeneinander diskutiert werden. Solche Besetzungen haben ihren Sinn und können gesellschaftliches Bewusstsein schaffen. Die Priorität sollte aber die Kooperation mit den Beschäftigten haben.

Was ist das deutsche Industrieproletariat?

Da gibt es aber im Text der Genoss*innen von IL und Ums-Ganze leider sektiererische Tendenzen. So wird nicht nur mit Recht die NGOisierung von Teilen der Klimabewegung und die Leisetreterei mancher bekannter Klimaaktivist*innen vor den Grünen kritisiert. Da wird auch der Diskussion um die neue Klassenpolitik Verantwortung für die Flaute in der Klimabewegung gegeben. So heisst es da:

„Ein Grund, warum die Linke einen solchen Schritt nicht gehen konnte, war die Diskussion um Neue Klassenpolitik. Statt auf die Aktionen der Letzten Generation einen draufzusetzen und eine antikapitalistische Position stark zu machen, fragten sich grosse Teile der radikalen Linken besorgt, ob auch alle pünktlich zur Arbeit kommen würden. Das Ergebnis der Diskussion um Neue Klassenpolitik war nicht vielmehr als eine Rückbesinnung auf die, an die imperiale Lebensweise geketteten, Bedürfnisse des deutschen Industrieproletariats.“

Hier wird ein autonomer Mythos tradiert, der schon vor 40 Jahren falsch war. Das Industrieproletariat in Deutschland war schon in den 1960er Jahren multikulturell. Bei VW Wolfsburg malochten viele Arbeiter*innen aus Italien und gerieten durchaus in Konflikt mit den deutschen Beschäftigten mit NS-Hintergrund. Auch im Ruhrgebiet und vielen anderen Industriestandorten schufteten Arbeiter*innen aus Polen, der Türkei und anderen Staaten. Warum werden diese Menschen durch das falsche Gerede vom deutschen Industrieproletariat unsichtbar gemacht?

Und wenn dann propagiert wird, die könnten ruhig im Stau stehen, um die muss man sich nicht mehr kümmern, und dann irgendwelche Floskeln vom City-Strike einfliessen lässt, der nichts erklärt und reine Kopfgeburten einer kleinbürgerlichen Linken sind, dann holt man sich ganz klar eine Niederlage ab. Und es sind auch nicht nur die Lohnabhängigen des deutschen Industrieproletariats, die da im Stau stehen. Viel gravierender, auch die prekär Beschäftigten Pflegekräfte, um nur ein Beispiel zu nehmen, sind dann betroffen. Und für die kann das wesentlich gravierendere Folgen haben, als für rechtlich abgesicherte Arbeiter*innen der Fossilindustrie.

Wie klappt die Zusammenarbeit zwischen Klimaaktivist*innen und Gewerkschaften in Frankreich?

Dass der Fokus der Autor*innen auf autonomer Bewegungsfolklore liegt, zeigt sich auch im Kapitel über die Soulèvements de la Terre (SLT – Aufstände der Erde), einem französischen Umweltbündnis. Der Name des Bündnisses hat mich als erklärter Gegner jeglichen Naturromantizismus erst einmal abgeschreckt. Was es dann doch wieder interessant machte, ist die Kooperation von Landarbeiter*innen, Klimaaktivst*innen und verschiedenen Gewerkschaften, die auch stark genug waren, um ein Verbot des französischen Innenministeriums rückgängig zu machen. Da wäre es doch interessant zu wissen, wie diese ungewöhnliche Kooperation zustande kam und wie sie staatlichen Spaltungsversuchen standhält. Doch was interessiert die Autor*innen des Artikels in der französischen Initiative?

„Brennende Polizeiautos, ein riesiger, bunter Holzvogel am Kopf einer Demonstration mit tausenden Protestierenden, Demonstrierende im Tränengasnebel – die Rauchzeichen der grossen Schlacht in Sainte-Soline.“

Auch hier also wieder autonome Bewegungsmythos, bei dem die Form vor dem Inhalt geht. Viel interessanter wäre doch die Frage: Warum hält das Bündnis trotzdem und zerstreitet sich nicht an der Gewaltfrage?

Schafft eins, zwei viele GKN

Um auf solche Fragen Antworten zu bekommen, sollte der Kontakt mit den Lohnabhängigen gesucht werden. Das braucht dann nicht bei Aktionen im Rahmen von Verdi-Kundgebungen enden. In Italien kämpfen Klimaaktivist*innen und Lohnabhängige von GKN, einer Fabrik bei Florenz, die Autoersatzteile produzierte, gemeinsam für den Erhalt der besetzten Fabrik. Sie ist aktuell akut bedroht, weil die Bosse mit Unterstützung der rechten italienischen Regierung, die Besetzung beenden und alle Beschäftigten entlassen wollen. Warum ist darüber in dem Artikel kein Wort zu finden? Warum werden nicht zwei, drei viele GNK gefordert und dafür gekämpft, dass diese Forderung umgesetzt wird? Der Film „Der laute Frühling“ von Johanna Schellhagen weist da eine Perspektive. Es wird wohl noch etwas dauern, bis Lohnabhängige und Klimaaktivist*innen gemeinsam die VW-Werke besetzen, umnutzen und gemeinsam gegen die Polizei verteidigen. Das ist die Utopie, die in dem Film gezeigt wird. Aber die Grundlagen werden bei den Kämpfen heute gelegt. Die Parole sollte also lauten: Schafft ein, zwei viele GKN. Auf Feuertonnen brauchen die Aktivist*innen von IL und Umsganze auch dann übrigens nicht zu verzichten. Bei Arbeitskämpfen waren sie immer auch ein beliebter Treffpunkt vor den Fabriktoren und die Gespräche dort waren teilweise sogar interessanter als in den Hüttendörfern.

Peter Nowak