Ein AfD-Verbot dürfte spätestens an EU-Gerichten scheitern. Angesichts von Umfragen wirkt der SPD-Vorstoß ungeschickt. Ist er überhaupt ernst gemeint? Ein Kommentar.

Ruf nach AfD-Verbot: Kampf gegen Rechts oder Angst vor Machtverlust?

Dabei könnte doch ein Blick auf die genannten Länder auch etwas anderes zeigen: Diskriminierte Minderheiten organisieren sich und können auch den Rechten Niederlagen beibringen. Hier würde auch ein Prozess der Selbstorganisation einsetzen, die sich nicht nur gegen die AfD, sondern gegen rechte Politik überhaupt richten könnte. Dazu ein Beispiel aus eigenen Erleben. Die Politik der AfD kann durchaus mit der rechten CDU um den langjährigen rechtskonservativen Politiker Alfred Dregger verglichen werden.

Hiobsbotschaft für die sächsische SPD: Laut einer Umfrage könnte sie bei den anstehenden Landtagswahlen nur noch drei Prozent der Stimmen für sich verbuchen. Sie würde also aus dem Landtag fliegen. Und was fällt der sächsischen SPD-Spitzenkandidatin ein? Man müsse über ein AfD-Verbot nachdenken. Die AfD sei eine Gefahr, weil sie stark sei, sagt …

 … Petra Köpping sinngemäß. Tatsächlich kommt die AfD bei den Umfragen auf 37 Prozent und liegt damit als stärkste Kraft noch vor der CDU. Gibt es denn keine politischen Beraterinnen und Berater, die Köpping darauf hinweisen, welch verheerenden Eindruck es macht, wenn eine Partei, die vor der Fünf-Prozent-Hürde zittern muss, von der AfD als Gefahr schwadroniert?

Da kommt doch der Verdacht auf, dass die Gefahr für sie vor allem darin besteht, lukrative Posten zu verlieren. Vor Köpping hatte auch schon die SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die nur noch auf diesem Posten ist, weil niemand den Schleudersitz will, erklärt, man müsse ein AfD-Verbot „immer wieder prüfen“.

Von der Verbotsdebatte profitiert die AfD am meisten

Was das genau heißen soll, erklärt sie nicht weiter. Soll es wie ein Damoklesschwert über potenziellen Wählern hängen, um diese auf den rechten Weg zu bringen? Bisher hat das aber nicht funktioniert. Von der gesamten Debatte über ein AfD-Verbot profitiert diese Partei am meisten, weil sie sich dann dadurch in der Opferrolle einrichten kann.

Das war bisher der beste Weg, die AfD zu stärken. Zumal ja auch allen Beteiligten klar ist, dass ein AfD-Verbot keine Sache von Monaten wäre. Der Weg durch sämtliche juristischen Instanzen in Deutschland und der EU wäre eine zeitraubende Angelegenheit. Es ist nämlich nicht so einfach, eine Partei zu verbieten, nur weil sie in Teilen vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird.

Um das festzustellen, bräuchte man bei weitem keine demokratisch nicht legitimierte Behörde wie den deutschen Inlandsgeheimdienst, der sich im vermeintlichen Kampf gegen Rechts bisher nicht mit Ruhm bekleckert hat.

Rechts liegt in der EU im Trend

Da haben antifaschistische und zivilgesellschaftliche Gruppen viel gründlichere Arbeit geleistet. Aber das interessiert vielleicht potenzielle AfD-Wähler gar nicht – oder sie finden genau dieses Programm gut. Damit liegen sie im Trend vieler EU-Staaten. In der Niederlande wurde kürzlich mit Geert Wilders eine Partei stärkste Partei, die eng mit der AfD verbündet ist.

Es könnte sein, dass er sogar Premierminister wird. Und selbst in Frankreich ist bei den nächsten Wahlen eine Präsidentin Marine Le Pen keineswegs ausgeschlossen; aktuell orientiert sie sich an der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni. Auch in Österreich könnte die FPÖ von Herbert Kickl – auch ein Freund der AfD – bei den nächsten Wahlen stärkste Partei werden.

Und in einem solchen, bereits deutlich nach rechts gerückten EU-Raum diskutieren einige als neuen deutschen Sonderweg ein AfD-Verbot. Sie haben wohl noch gar nicht registriert, welche Diskussionen es in diesen europäischen Ländern auslösen wurde, wenn tatsächlich konkrete Schritte zu einem AfD-Verbot eingeleitet würden. Das dürfte ziemlich sicher spätestens vor den EU-Gerichten scheitern.

Gescheitertes AfD-Verbot würde Rechte in der gesamten EU stärken

Gewinner dieser gesamten Diskussion wären die AfD und ihre Verbündeten in der gesamten EU. Es ist schon merkwürdig, dass gerade SPD-Politiker, denen sonst immer so sehr daran gelegen ist, schon am Beginn einer Gesetzesinitiative zu fragen, was denn wohl Brüssel dazu sagt, bei der AfD-Verbotsdiskussion die EU-Ebene völlig ausblenden.

Das aber ist auch ein Anzeichen dafür, dass es sich um Symbol- und Schaufensterpolitik handelt, von der auch Esken und Co. wissen, dass sie gar nicht ernst gemeint ist. Oder: Was ist von dem vor einem halben Jahr mit Verve angekündigten Antrag des CDU-Bundestagsabgeordneten Carsten Wanderwitz für ein AfD-Verbot eigentlich geworden?

Im Dezember letzten Jahres ruderte er schon zurück und wollte noch Gerichtsurteile abwarten. Wenn er ehrlich wäre, müsste er sagen: Damit ist das Projekt gestorben, weil eben am Ende ein EU-Gericht entscheidet.

Auch Wanderwitz hatte im Gespräch mit der taz deutlich gemacht, worum es ihm eigentlich geht. Es droht die Gefahr, dass es in mehreren Bundesländern keine Regierungsbildung ohne AfD möglich ist – oder es müsste eine ganz große Koalition von Linken bis zur CDU gebildet werden. Dabei sind das neue Bündnis Sahra Wagenknecht oder irgendwelche Bürgerbündnisse noch gar nicht mit eingerechnet.

Bürgerbündnis gegen Brandmauern

In Thüringen kandiert ein Bürgerbündnis für Thüringen, das ganz klar mit der Forderung „Brücken bauen statt Brandmauern“ für eine Kooperation mit der AfD eintritt. Dort ist von der Ex-CDU-Politikerin Vera Lengsfeld über den Ex-Geheimdienstchef Hans-Georg Maaßen bis zur ehemaligen FDP-Politikerin Ute Bergner ein Querschnitt des rechten Bürgertums versammelt. Mit Ralf Ludwig sitzt auch ein Anwalt mit im Boot, der als Kritiker der Corona-Maßnahmen bekannt wurde.

Es ist auffällig, dass auch in der Debatte um die AfD dieses Bürgerbündnis bisher ignoriert wird. Es könnte allerdings die nötigen Stimmen einsammeln, damit die AfD in Thüringen tatsächlich an die Regierung kommt.

Höchste Zeit, aus einer emanzipatorischen Perspektive darauf zu reagieren. Das bedeutet aber eben nicht, sich zum Sprachrohr von Parteienvertretern zu machen, die über ein AfD-Verbot reden, weil sie Angst haben, dass ihnen die Pfründe abhanden kommen.

Linke sollten rechte Politik allgemein statt nur die AfD bekämpfen

Eine unabhängige Linke würde vielmehr versuchen, die soziale Frage mit dem Kampf für die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen und effektiveren Klimaschutz zu verbinden. Wo bleibt denn der Aufschrei gegen die Angriffe auf Bürgergeldbezieher durch eine sehr breite Allianz von SPD bis AfD, die dafür gar nicht formell zusammenarbeiten muss?

Warum werden keine Aktionen vor den Jobcentern organisiert und nicht im großen Stil Rechtsberatung für Betroffene angeboten? Hier könnte eine parteiunabhängige Linke deutlich machen, dass es ihr um Kampf gegen rechte Politik aller Parteien nicht nur um die AfD geht.

Haben nicht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und verschiedene weitere Regierungspolitiker in den letzten Monaten eine Abschiebe-Rhetorik genutzt, die sich kaum von der der AfD unterscheidet?

Wenig linke Kritik an bürgerlichen Medien

Es war Bernd Drücke, der in der gewaltfrei-libertären Zeitung Graswurzelrevolution auf ein rassistisches Spiegel-Titelbild aufmerksam machte und auf die historischen Wurzeln hinwies. Andere Medien haben dies nicht aufgegriffen, auch in der außerparlamentarischen Linken will man die bürgerlichen Medien und ihre Politik aus Angst vor der AfD nicht zu viel kritisieren, weil ja die Rechten so gern „Lügenpresse“ rufen.

Das dürfte auch für das zivilgesellschaftliche Bündnis „Weltoffenes Thüringen“ gelten, das sich im Wahlkampf gegen die AfD positionieren will. Daran sind verschiedene Thüringer Hochschulen sowie die Gewerkschaften ver.di und GEW beteiligt, aber auch Teile der Wirtschaft. Eine inhaltliche Zuspitzung zugunsten der sozialen Frage ist also bestimmt nicht zu erwarten.

Am Ende soll auch noch auf die Diskussion um ein AfD-Verbot eingegangen werden, wie sie von Menschen geführt wird, die zu marginalisierten Gruppen gehören, die von der AfD noch mehr an den Rand gedrückt werden würden. Ihnen geht es, anders als irgendwelchen SPD- oder CDU-Politikern, nicht um die Angst vor dem Machtverlust.

Auch glaubwürdiges Argument ignoriert Umsetzungsproblem

Exemplarisch sei hier Tadzio Müller genannt, der in der Wochenzeitung Freitag für ein AfD-Verbot als „Schutz für marginalisierte Gruppen“ plädierte. Am Ende wird er doch sehr allgemein, wenn er schreibt:

Letzter Punkt: Warum steht das in einer queeren Kolumne? Weil, you know, Klaus Theweleits Männerfantasien: schwule Nazis, Röhm, Kühnen und natürlich Alice Weidel. Aber wer nach Russland schaut, in die USA, nach Ungarn, Polen, Italien, nach Brasilien unter Bolsonaro, in die deutsche Vergangenheit, sieht: Der Faschismus, vor allem der Klerikalfaschismus, ist der natürliche Feind aller Queers. Wird sein stärkstes Bollwerk im Land verboten, kann das für uns nur gut sein.Tadzio Müller, Wochenzeitung Freitag

Modell Fulda, oder wie man gegen Rechte Widerstand leisten kann

Auch hier werden natürlich die schon erwähnten Probleme der juristischen Durchsetzung eines AfD-Verbots ausgespart. Abgesehen davon, dass es auch bei der deutschen Polizei mehr Rechtsextreme als Linksradikale zu geben scheint, wenn man sich Berichte über aufgeflogene Chatgruppen anschaut.

Dabei könnte doch ein Blick auf die genannten Länder auch etwas anderes zeigen: Diskriminierte Minderheiten organisieren sich und können auch den Rechten Niederlagen beibringen.

Hier würde auch ein Prozess der Selbstorganisation einsetzen, die sich nicht nur gegen die AfD, sondern gegen rechte Politik überhaupt richten könnte. Dazu ein Beispiel aus eigenen Erleben. Die Politik der AfD kann durchaus mit der rechten CDU um den langjährigen rechtskonservativen Politiker Alfred Dregger verglichen werden.

Widerstand gegen eine unheilige Allianz

Dieser Dregger war über viele Jahre Oberbürgermeister von und später Bundestagsabgeordneter aus Fulda in Osthessen. Ihm zur Seite stand mit Bischof Dyba ein Klerikaler, auf den durchaus Müllers Verdikt des Klerikalfaschismus zutrifft. Dyba war berüchtigt für seine Ausfälle gegen Schwule und andere sexuelle Minderheiten.

Doch es entwickelte sich bundesweit eine Protestbewegung, die in den 1990er-Jahren auch auf dem Fuldaer Domplatz protestierte. Das sorgte für eine Polarisierung in der Fuldaer Stadtgesellschaft, aber es entstand in der Stadt auch eine Zivilgesellschaft.

Das Modell Fulda unter Dregger und Dyba kann durchaus als Maßstab für eine Politik unter AfD-Regierungsbeteiligung gelten. Ein erheblicher Teil der Dregger-Anhänger in der CDU, unter anderem sein Ziehkind Martin Hohmann gingen später zur AfD.

Dies ist auch ein Plädoyer, unter einer rechten Hegemonie nicht auf Staat und Justiz zu vertrauen, sondern vor allem auf die eigene Kraft.

Der Autor hat gemeinsam mit Lukas Larbig und Alex Waldmann die Broschüre „Fuldaer Verhältnisse – über rechtsradikale Strukturen in Fulda und im Raum Osthessen“ herausgegeben , die hier heruntergeladen werden kann.