8. September 1943. Kaum jemandem in Deutschland wird dieses Datum etwas sagen. An diesem Tag schloss Italien einen Waffenstillstand mit der der Anti-Hitler-Koalition. Für das Naziregime war dies eine besondere Schmach. War das Mussolini-Regime doch Vorbild für die NS-Bewegung und spätestens seit 1935 enger Verbündeter. Dass Italien nun ausscherte, lag an den Machtkämpfen im herrschenden Regime nach den ersten Niederlagen des Bündnisses mit Deutschland. Die deutsche Wehrmacht griff nun direkt in Italien ein, Mussolini wurde nun als Regent eines deutschen Marionetten-Regimes wieder eingesetzt und viele der ehemals verbündeten Soldaten wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet. Im Berliner Bezirk Schöneweide erinnert eine Gedenkstätte an die lange wenig bekannte Geschichte der Zwangsarbeit für die deutsche Industrie. Davon profitierten auch Rüstungskonzerne wie Rheinmetall. Deshalb nahmen die antimilitaristische Initiative Rheinmetall Entwaffnen und die Organisation Migrant Strikers Berlin, die Lohnabhängige aus anderen Ländern mobilisiert, den 80. Jahrestag des Beginns der Zwangsarbeit für tausende italienische Soldaten zum Auftakt für ein …
… antimilitaristisches Wochenende.
Kontakt mit ukrainischen Linken, die nicht Ja zum Krieg sagen
Hier saßen nicht Linke aus Deutschland zusammen, die sich über ihre Haltung zum Krieg in der Ukraine streiten, wie das in den letzten 18 Monaten häufig vorgekommen ist. Hier gab es auch kein „Westsplaining“, wie der Vorwurf der Linken heißt, die manchmal für mehr Waffen in die Ukraine eintreten, als sie die Bundesregierung erlaubt. Dabei wird immer wieder auf die Wünsche von Linken in der Ukraine verwiesen.
Dass es auch andere Stimmen gibt, zeigte sich bei dem Internationalen Ratschlag „Wir müssen handeln. Die Linke und der Krieg“. Dafür wurden im ersten Block Linke aus der Ukraine und aus Russland zugeschaltet. Sie gehörten den eher kleinen kommunistischen Gruppen „Arbeiterfront der Ukraine“ (RFU) und Revolutionärer Kommunistischer Jugendverbandes (Bolschewiki) an. Beide Organisationen kämpfen gegen den Nationalismus in ihren jeweiligen Ländern und die Politik ihrer Regierungen.
So wendet sich die RKSM(b) entschieden gegen den russischen Imperialismus, lehnt es aber ebenso wie ihre ukrainischen Genossen von der RFU ab, in diesem Krieg Partei zu ergreifen. „Das ist nicht unser Krieg. Lasst uns gegen den Nationalismus und die Angriffe auf die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter in unseren Ländern kämpfen“.
Darin waren sich die russischen und ukrainischen Aktivist:innen einig. So schilderte eine Aktivistin der RFU, wie in der Ukraine verstärkt Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte ausgehebelt werden. Diese Entwicklung ist gibt es schon länger, sie hat aber nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine noch einmal zugenommen.
Gewerkschafter und Feministinnen gegen Krieg und Militarismus
Zwei zugeschaltete Rednerinnen des Kollektivs Non Una di Meno aus Mailand berichteten über ihre antimilitaristische Arbeit, die sie aus der trans- und queerfeministischen Perspektive beschreiben. Ein zentraler Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der Kampf gegen Militärbasen, aber auch gegen die Militarisierung des Bildungswesen, die sich in Italien unter der aktuellen Rechtsregierung verstärkt.
Die Aktivistinnen schilderten anschaulich, wie sie in ihren Kampagnen den Kampf gegen die steigenden Militärausgaben mit dem aktuellen Widerstand gegen hohe Inflation und die Abwälzung der Krisenkosten auf die Bevölkerung verbinden. „So kann es auch gelingen, Menschen aus der Arbeiterklasse für den Kampf gegen Militarismus gewinnen, wie das in der alten Arbeiterbewegung bis in die 1990er-Jahre noch gute Praxis war.“
Dieses Ziel hat auch Kollektiv CALP, in dem sich Hafenarbeiter aus Genua organisiert haben, die zusätzlich meist noch in linken Basisgewerkschaften aktiv sind. Maurizio Gueglio berichtete, wie die organisierten Hafenarbeiter schon seit mehreren Jahren Aktionen gegen den Transport von Rüstungsgütern über italienische Häfen in kriegführende Staaten organisieren.
Mehrmals haben die Arbeiter Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien, aber auch in die Ukraine blockiert. Daneben organisieren die italienischen Antimilitaristen auch große Demonstrationen, in denen der Zusammenhang zwischen den Kürzungen im sozialen Bereich und der Aufrüstung in den Mittelpunkt gestellt wird.
Wie steht es um den Antimilitarismus in Deutschland?
Diese Frage ist auch in Deutschland aktuell, doch wesentlich schwieriger zu vermitteln, wie Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung sehr anschaulich dargelegte. So sei er regelrecht beschimpft worden, als er bei einem Treffen des globalisierungskritischen Netzwerks Attac wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine auf antimilitaristischen Positionen bestanden habe.
Über ähnliche Erfahrungen in der außerparlamentarischen Linken berichteten auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Ratschlags in der Abschlussrunde, in der um „Vernetzung und Praxis“ ging. Dort wurde auch von einem Generationsproblem gesprochen. So habe man mit den jüngeren Menschen vom Bündnis Zwangsräumung verhindern in Berlin, das sich dagegen engagiert, dass Menschen mit wenig Geld aus ihren Wohnungen geworfen werden, nicht über antimilitaristische Positionen reden können.
Da stellt sich die Frage nach dem Grund gerade in außerparlamentarischen linken Bündnissen, in denen ja durch eine gemeinsame Praxis schon ein gewisses Vertrauensverhältnis bestehen müsste. Liegt es an der Angst, sich mit einen gesellschaftlich heiklen Thema zu beschäftigten? Oder ist es die Wirkung des deutschen Nationalismus, der paradoxerweise auch und gerade in linken Kreisen Einzug gehalten hat, die sich mit ihrer besonderen Beschäftigung mit der deutschen Geschichte Verdienste erworben hatten?
So berichtete Jürgen Wagner, dass er sich in der eher antideutsch orientierten Antifa-Bewegung politisiert habe. Da habe es schon vor bald 25 Jahren einen Bruch gegeben, weil ein Großteil seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter schon Ende der 1990er-Jahre den Krieg gegen Jugoslawien unterstützt habe.
Damals aber gab es auch im Umfeld von Zeitungen wie der Jungle World noch einen klaren Widerstand dagegen, dass ausgerechnet Deutschland wieder in den Ländern Krieg führt, in denen die Wehrmacht schon schwere Verwüstungen und Massengräber hinterlassen hat.
Das war noch ein Abglanz der „Deutschland- Halts-Maul“ Position der 1990er-Jahre. Davon ist heute bei Zeitungen wie der Jungle World nichts mehr übriggeblieben. Noch schlimmer: darüber wird nicht einmal mehr kritisch diskutiert.
Und wo bleibt das Handeln?
Daher war der internationale Austausch in Berlin schon ein Wert an sich. Denn dort wurde miteinander geredet. Wenn nun das Motto des Ratschlags lautet „Wir müssen handeln“ war es natürlich ein hoher Anspruch. Aber gerade die Beiträge aus Italien können ein gutes Beispiel sein.
Auch in Deutschland wird im sozialen Bereich gekürzt und die Hetze gegen Menschen, die Lohnersatzleistungen ziehen und angeblich gar nicht oder nicht um jeden Preis arbeiten wollen, beziehen, wird von bürgerlichen Parteien von der AfD bis zur FDP verstärkt. Da muss man nur an die Debatte um das Bürgergeld und die Kindergrundsicherung denken.
All dies sind Schritte zur Formierung einer militarisierten Gesellschaft, die kriegsbereit gemacht werden soll: Während die Aktien der Rüstungskonzerne steigen, sollen Menschen mit wenig Einkommen den Gürtel enger schnallen. Dieser Zusammenhang sollte bei jeden Sozialprotest, bei jeder Kundgebung gegen Sozialabbau und Teuerung klargestellt werden. So könnte der Kampf gegen Militarisierung und Krieg auch wieder in größeren Teilen der Gesellschaft in Deutschland an Boden gewinnen.(Peter Nowak)