Stadtteilarbeit spielt in der außerparlamentarischen Linken eine zentrale Rolle. Das zeigte sich am Mittwochabend. 60 Personen hatten sich trotz sommerlicher Temperaturen im Nachbarschaftshaus Kiezspinne in Lichtenberg versammelt. Dort stellte das Autor*innenkollektiv Vogliamo Tutto ihr 2022 im Unrast-Verlag erschienenes Buch »Revolutionäre Stadtteilarbeit« vor. In dem Band wird die Arbeit von fünf linken Stadtteil-Initiativen aus Münster, Bremen, Hamburg und Berlin vorgestellt. Dass die Diskussion zunächst sehr akademisch geriet, verwundert nicht. Schließlich betonen die Autor*innen, …
… dass sie zu dem »überwiegend theoretisch arbeitenden Teil der radikalen Linken« gehören und selber keine Erfahrung mit Basisarbeit haben. Leider war keine der im Buch vorgestellten Stadtteilgruppen auf der Veranstaltung präsent. So konnten auch viele der Fragen aus dem Publikum nicht wirklich erschöpfend beantwortet werden. Dass die Diskussion schließlich doch noch die akademischen Bahnen verließ, lag an Interventionen aus dem Publikum.
»Ich denke, ich bin hier auf der falschen Veranstaltung«, sagte eine ältere Frau, die im Weitlingkiez wohnt und dort in einer Stadtteil-Initiative aktiv ist. Auf Nachfrage präzisierte sie ihre Kritik: »Ich muss in meinem Kiez mit allen reden, mit der Verkäuferin ebenso wie der Nachbarin oder dem Briefträger. Aber wenn ich denen etwas von revolutionärer Stadtteilarbeit oder dem Streit zwischen Kommunismus und Anarchismus erzähle, dann würden die mich fragen: Was hat das mit mir zu tun?«
Ihr Einwurf stieß durchaus auf Zustimmung im Publikum. Auch andere forderten ein, über die eigenen Erfahrungen in der Stadtteilarbeit zu sprechen. Schließlich wurde die Veranstaltung von der Kiezversammlung Lichtenberg organisiert. Das ist ein loser Zusammenschluss von Lichtenberger Bewohner*innen, der seit November 2022 in unregelmäßigen Abständen Treffen organisiert, an denen sich zwischen 60 und 100 Menschen beteiligen. Bei den bisher drei Treffen kamen etwa die Inflation, hohe Mieten, aber auch das geplante Stadtteil-Gesundheitszentrum in Lichtenberg zur Sprache.
Die Aktivist*innen haben ähnliche Erfahrungen gemacht, wie sie im Buch beschrieben werden. Es beteiligen sich immer wieder Menschen an konkreten Aktionen, wenn es beispielsweise gegen drohende Mieterhöhungen geht oder der Verkauf eines Hauses an einen Immobilienkonzern bekannt wird. Doch selten gelingt es, die Menschen für eine längerfristige politische Arbeit zu motivieren. Das bedeutet aber auch, dass der Kern der linken Gruppen kaum wächst.
Bei einer kontroversen Debatte, was eigentlich das Ziel linker Stadtteilarbeit sei, wurden schnell die unterschiedlichen Vorstellungen deutlich. »Wir müssen eine linke Szene im Stadtteil aufbauen, die sich gegenseitig vertraut. Das ist die Voraussetzung, um gemeinsam aktiv werden zu können«, sagte ein junger Aktivist, der das Konzept der autonomen Freiräume auf die Stadtteilarbeit übertragen möchte. Ihm widersprach ein älterer Linker, der betonte, es müsse darum gehen, mit der linken Szenepolitik und ihren kulturellen Codes zu brechen. »Vielmehr geht es darum, eine klassenkämpferische linke Bewegung aufzubauen, die Kämpfe gegen hohe Mieten, aber auch gegen Sanktionen im Jobcenter oder gegen schlechte Arbeitsbedingungen führen und gewinnen kann.«
Leider blieb für eine Auseinandersetzung über die Inhalte linker Stadtteilpolitik nicht mehr viel Zeit. Vielleicht wird die Diskussion fortgesetzt. Am 9. Juli findet die vierte Lichtenberger Kiezversammlung um 15 Uhr im Hubertusbad in der Hubertusstraße 47–49 statt. Peter Nowak