Friedensratschlag in Kassel sieht kommende Ostermärsche als Gradmesser, ob es gelingt, den Kampf gegen Aufrüstung auf die Straße zu tragen

Hegemonie bei den Protesten gegen Aufrüstung

Eine zentrale Frage wird dabei sein, ob es gelingt, jüngere Kriegsgegner*innen zu erreichen. Schließlich hatten erst im letzten September größtenteils jüngere Antimilitarist*innen in Kassel unter dem Motto »Krieg beginnt hier« ein mehrtägiges Camp organisiert und für einige Stunden die Rüstungsproduktion blockiert. Es wäre für die Bewegung gegen Krieg und Militär notwendig, diese jüngeren Kriegsgegner*innen in die Planung künftiger Aktionen mit einzubeziehen

»Unterwegs zu einer neuen Weltordnung – Weltkrieg oder Wende zur sozialökologischen Wende zum Frieden?« lautete die zentrale Frage des bundesweiten Friedensratschlags, der am Wochenende zum 29. Mal im Kasseler Philipp-Scheidemann-Haus tagte. Der Andrang war nach Angaben des Mitorganisators, des langjährigen Friedensaktivisten Willi van Ooyen, sehr hoch. »In den vergangenen zwei Jahren mussten wir …

… den Friedensratschlag wegen der Corona-Pandemie virtuell organisieren. Das Bedürfnis, sich zu einer Präsenzveranstaltung zu treffen, zu diskutieren und sich auszutauschen, ist dieses Mal besonders groß gewesen.«

Dabei stand die Analyse der weltpolitischen Lage im Vordergrund. Schließlich kann damit vielleicht auch die Frage beantwortet worden, warum anders als in den 1980er Jahren, heute nicht die Massen gegen weitere Aufrüstung auf die Straße gehen. Viele der Organisator*innen des Ratschlags wurden in dieser bundesweiten Friedensbewegung der 1980er Jahre politisiert. Dazu gehört auch Reiner Braun, der leidenschaftlich dafür warb, dass die Friedensbewegung wieder die Hegemonie bei den Protesten gegen Aufrüstung erringen müsse. In der letzten Zeit gibt es auch rechtsoffene Kundgebungen und Proteste gegen die neue Aufrüstungsrunde nach dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine. Auf dem Friedensratschlag gingen mehrere Referent*innen auf die geopolitischen Aspekte dieses Konflikts ein. Dabei betonten alle Redner*innen, dass es sich um eine Auseinandersetzung zwischen der kapitalistischen Macht USA und dem ebenso kapitalistischen Russland handele. Die Friedensbewegung solle sich dabei auf keine Seite stellen, aber die Devise »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« zur Grundlage ihrer Arbeit nehmen, so Christin Bernhold. Das bedeutet aus seiner Sicht, dass man den Kampf gegen die Nato hierzulande in den Mittelpunkt stellen müsse.

Lühr Henken, der für den erkrankten Joachim Wernicke einsprang, zog in dem von ihm verlesenen Beitrag Vergleiche zur Nachrüstungsdebatte der frühen 1980er Jahre. Damals wollten die USA Pershing-2-Raketen auf dem Territorium von West-Europa stationieren, die das Territorium der Sowjetunion hätten erreichen können. Offiziell war die Stationierung die westliche Antwort auf die Stationierung von sowjetischen Mittelstreckenraketen in Osteuropa. Die Krise wurde durch den Start2-Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion entschärft. Henken sah in der Annullierung des Start2-Vertrags durch die Trump-Administration im Jahr 2019 die Weichen gestellt für den neuen Versuch, mit Raketen in Europa das Territorium Russlands zu erreichen. Die Dark Eagle-Raketen seien ein wichtiges Element in dieser Strategie. Allerdings ist die Diskussion über ihre Stationierung noch sehr verhalten. 

Die britische Zeitung »The Sun« veröffentlichte am 21. November 2021 eine Grafik, auf der eine Mittelstreckenrakete aus Deutschland Moskau in einem »Blitzkrieg« angreift. »Die Rakete kann Russland in 21 Minuten und 30 Sekunden treffen«, titelte das Boulevardblatt reißerisch. Als Abflugort der Rakete »Dark Eagle« war das 56. US-Artillerie-Kommando in Mainz-Kastel angegeben. Könnte die Gefahr ihrer Stationierung der Friedensbewegung neue Impulse und vor allem mehr Zulauf bringen? Diese Hoffnung haben die Aktivist*innen des Friedensratschlags. Die Ostermärsche im nächsten Jahr, die jetzt vorbereitet werden, könnten einen Hinweis geben, ob das Interesse steigt, den Kampf gegen die Aufrüstung auch wieder auf die Straße zu tragen. Eine zentrale Frage wird dabei sein, ob es gelingt, jüngere Kriegsgegner*innen zu erreichen. Schließlich hatten erst im letzten September größtenteils jüngere Antimilitarist*innen in Kassel unter dem Motto »Krieg beginnt hier« ein mehrtägiges Camp organisiert und für einige Stunden die Rüstungsproduktion blockiert. Es wäre für die Bewegung gegen Krieg und Militär notwendig, diese jüngeren Kriegsgegner*innen in die Planung künftiger Aktionen mit einzubeziehen. Das würde mehr praktischen Antimilitarismus und weniger geopolitische Debatten bedeuten.  Peter Nowak