AfD fährt in Niedersachsen zweistelliges Ergebnis ein. Dabei musste sie kürzlich noch Angst vor der Sperrklausel haben. Werden die objektiven Probleme vernachlässigt, besteht die Gefahr, dass die Niederlage der gesellschaftlichen Linken noch größer wird.

AfD-Phänomen: Wie ein scheinbar zerstrittener Haufen von Protestwahlen profitiert

Es greift daher zu kurz, immer nur danach zu fragen, was hat die parteiförmige oder auch die gesellschaftliche Linke organisationspolitisch falsch gemacht und wo sie sich intern – wenn auch mit medialer Außenwirkung – gezofft hat. Es suggeriert nämlich, dass Die Linke als Partei und die Linken allgemein nur besser mobilisieren, besser organisieren müssten, um wieder erfolgreicher zu sein.

Niedersachsens Wahlsieger Stephan Weil (SPD), der vermutlich mit den Grünen als Juniorpartner weiterregieren wird und Ministerpräsident bleibt, kam am Sonntagabend nicht umhin, das AfD-Ergebnis von 10,9 Prozent als „großen Wermutstropfen“ zu bezeichnen. Mehrheitlich sei diese Partei wohl aus Protest gewählt worden, befand er. „In der Krise mobilisiert …

… die Rechte die Unzufriedenen im Land. Sie hat die soziale Frage gekapert. Dabei hat sie überhaupt keine Antwort.“ Diese Zustandsbeschreibung des taz-Journalisten Erik Peters bezog sich auf die außerparlamentarische Protestbewegung gegen die Energiepreiserhöhungen.

Peters hat richtig beobachtet, dass sich mehrere linke Bündnisse in den letzten Monaten bemühten, den Unmut der Bevölkerung gegen steigende Energiepreise, gegen Inflation und Verarmung zu organisieren. Doch bisher ist der Funke nicht auf die große Masse der Betroffenen übergesprungen. Den linken Bündnissen gelang es vor allem, ihre eigene Klientel zu mobilisieren.

Erfolgreicher ist da schon die AfD, die am vergangenen Samstag bis zu 10.000 Personen in Berlin auf die Straße bringen konnte – darunter auch Unzufriedene, die teilweise das erste Mal auf einer Demonstration waren. Andere hatten ihre Protesterfahrungen bei Aktionen gegen die Corona-Maßnahmen gesammelt und hätten vielleicht vor zwei Jahren noch nicht gedacht, dass sie einmal auf eine AfD-Demonstration gehen würden.

Es war schon auffällig, dass neben inhaltsleeren Parolen a la „Heißer Herbst statt kalte Füße“ oder „Unser Land zuerst“ und einer Fülle von Deutschlandfahnen ebenso Friedenstauben zu sehen waren. Dazwischen immer wieder Parolen, die sich gegen die Corona-Maßnahmen richteten. Der AfD ist es gelungen, durchaus sehr differente Protestbündnisse mit nationalistischer Rahmung zusammenzuführen.

AfD trotz desolaten Zustands Gewinner

Wie die Ergebnisse der Wahlen in Niedersachsen zeigen, gelingt es der AfD offenbar auch, die diffusen Protestszenen zur Stimmabgabe für ihre Partei zu veranlassen. Anders wäre das zweistellige Ergebnis für eine Partei nicht zu erklären, der vor einigen Monaten noch prophezeit wurde, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Schließlich ist der Landesverband der AfD in Niedersachsen in der letzten Legislaturperiode vor allem durch internen Streit aufgefallen.

Am Ende waren so viele Landtagsabgeordnete aus der Partei ausgetreten, dass die AfD in Niedersachsen ihren Fraktionsstatus verlor. Zudem hat auch in Niedersachsen der besonders rechte Flügel an Einfluss gewonnen. Doch die Wähler interessierte das alles nicht. Sie machten trotzdem die AfD zur drittstärksten Partei.

Besonders viele Stimmen erhielt sie von früheren Wählern der CDU, die insgesamt 5,5 Prozent ihres Stimmenanteils von 2017 verlor und jetzt bei 28,1 Prozent liegt, aber auch von solchen der FDP, die sogar aus dem Landtag flog. Zudem gelang es der AfD, Nichtwähler zu mobilisieren. Ist es also eine reine Protestwahl, wie es sie schon in den Nuller-Jahren gab, als die NPD in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern einzog?

Meistens zerstritten sich die Abgeordneten schnell und die Partei verlor ihre Mandate. Doch es wäre leichtfertig, der AfD auch ein so schnelles Ende zu bescheinigen. Das haben politische Beobachter der Rechtspartei schon zu oft prophezeit. Bereits als der wirtschaftskonservative Parteichef Bernd Lucke zurücktreten musste, sahen manche das Ende der Partei, ebenso als Frauke Petry dann schließlich auch aufgab.

Die Partei sei nur durch ihre populistische Kampagne gegen die Migrationspolitik noch mal gerettet worden, hieß dann die Erklärung für ihr Überleben. Dann gab auch noch Jörg Meuthen auf und trat aus der Partei aus – und wieder gab es Grabreden auf die AfD.

Zudem wurde ihr eine Ost-West-Spaltung attestiert, nachdem sich der Verfassungsschutz intensiver mit der Partei befasst hatte. Während der AfD im Osten weiter Chancen eingeräumt wurden, werde sie im Westen zur Splitterpartei, die sich vor der Fünf-Prozent-Hürde fürchten musste, lauteten die Prognosen.

Als dann die Rechtspartei bei der Wahl in Schleswig-Holstein tatsächlich nicht mehr ins Parlament kam, schienen die Voraussagen einzutreffen. Und dann kommt sie ausgerechnet im zutiefst westdeutschen Niedersachsen auf ein zweistelliges Ergebnis.

Desaster der Linken hat objektive Ursachen

Gleichzeitig verliert die Partei Die Linke noch einmal fast zwei Prozent. 2017 war sie recht knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, aktuell steht sie in Niedersachsen bei 2,7 Prozent. Nun werden alle sofort auf den innerparteilichen Streit verweisen und jeder Beteiligte wird jeweils die parteiinternen Gegner dafür verantwortlich machen.

Die Anhänger von Sahra Wagenknecht werden als Grund nennen, dass ihr Idol im Niedersachsen-Wahlkampf nicht auftreten konnte, ihre Gegner wiederum werden ihre umstrittene Rede im Bundestag, in der sie der Bundesregierung einen Wirtschaftskrieg gegen Russland vorwarf, als Sargnagel für Die Linke ansehen.

Doch das Deprimierende für Die Linke besteht darin, dass diese einfachen Schuldzuweisungen nicht recht greifen. Bei der vorherigen Landtagswahl hatte sich in der Schlussphase Wagenknecht noch besonders engagiert und trotzdem kam sie nicht mehr ins Parlament.

Zudem fragt man sich, wo denn die Massen bei der Demonstration unter dem Motto „Heizung, Brot und Frieden“ am 3. Oktober in Berlin geblieben waren, nachdem Sahra Wagenknecht in einem Kommentar in der jungen Welt ausdrücklich dazu aufgerufen hatte?

Gerade, weil das Bündnis auch innerhalb der Linken umstritten ist, hätte doch die Unterstützung groß sein müssen, wenn es tatsächlich ein Potential von Menschen gibt, die sich der Linken angeblich zuwenden würden, wenn sie sich wieder mehr sozialen Themen zuwenden und „Identitätspolitik“ weiter unten einsortieren würde. Das Motto und des Bündnis-Aufrufs von „Heizung, Brot und Frieden“ war zumindest so verfasst, dass es allgemein verständlich ist.

Trotzdem sind nicht dort die Protestierenden in fünfstelliger Zahl zu finden gewesen, sondern bei der AfD. Es gibt objektive Gründe im Spätkapitalismus, die zu einer massiven Schwächung der gesellschaftlichen Linken weltweit führte. Hier liegt auch der Grund, dass von einer Proteststimmung die Rechten profitieren.

Es greift daher zu kurz, immer nur danach zu fragen, was hat die parteiförmige oder auch die gesellschaftliche Linke organisationspolitisch falsch gemacht und wo sie sich intern – wenn auch mit medialer Außenwirkung – gezofft hat. Es suggeriert nämlich, dass Die Linke als Partei und die Linken allgemein nur besser mobilisieren, besser organisieren müssten, um wieder erfolgreicher zu sein.

Tatsächlich muss eine Reorganisation linker Politik jedoch über die Stadtteile laufen, wie es in Berlin die Stadtteilorganisation „Hände weg vom Wedding“ erfolgreich vormacht. Auch eine konfliktorientierte Betriebsarbeit kann die Grundlage dafür legen, dass linke Vorschläge überhaupt wieder gehört werden. Werden die objektiven Probleme vernachlässigt, mit der die gesellschaftliche Linke heute konfrontiert ist, besteht die Gefahr, dass die Niederlage noch größer wird. (Peter Nowak)