Helge Döhring, Konflikte und Niederlagen des Syndikalismus in Deutschland, Edition AV, Bodenburg 2022, 225 Seiten, 18,00 Euro, ISBN: 978-3-86841-237-6

Zwischen ADGB-Terror, Repression und internem Streit

Unbekannte Geschichte des Syndikalismus Ein besonders gelungenes Kapitel des Buches widmet sich den im Nationalsozialismus ermordeten Anarchosyndikalist*innen. Hier kann die weitere Syndikalismusforschung anschließen

„Im Zuge systematischer Vergeltung für einen Anschlag auf die Nazi-Ausstellung ‚Das Sowjetparadies‘ im Jahre 1942 ermordete die SS in ihrer Kaserne in Berlin-Lichterfelde den unermüdlichen Redner und Agitator Berthold Cahn“ (S. 117), schreibt Helge Döhring in seinem kürzlich im Verlag Edition AV veröffentlichten Buch „Konflikte und Niederlagen des Syndikalismus in Deutschland“. Wie notwendig das Buch war, zeigt sich an dem langen Vergessen eines in der anarchistischen Bewegung so bekannten Mannes wie Cahn, der im Alter von 71 Jahren den Nazischergen zum Opfer fiel. Es bleibt offen, warum es …

… keine Bemühungen von im Ausland lebenden Anarchist*innen gab, dem Mann, den sie aus langen gemeinsamen Kämpfen kannten, eine Flucht ins Ausland zu ermöglichen. Und warum konnte erst 2018 geklärt werden, wie er starb, sodass jetzt doch noch ein Stolperstein an seinem Geburts- haus in Berlin an diesen Anar- chosyndikalisten erinnert?

Forschung als politische Arbeit

Wer das Buch des Syndikalismusforschers Döhring liest, bekommt einige Antworten. Er macht aus seiner Sympathie für die syndikalistische Strömung des Anarchismus kein Geheimnis und geht auch politische Gegner*innen zuweilen hart an. Dazu gehört für ihn auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Da hätte man sich manchmal mehr Differenzierungen gewünscht. Wenn Döhring über Erich Mühsams Position Anfang 1933 schreibt, dass er „unaufhörlich vor den Gefahren des Zentralismus, wie er besonders vom Bolschewismus und Faschismus ausging“ (S. 105), warnte, lässt er unerwähnt, dass gerade Erich Mühsam von anarchistischer Seite einer mangelnde Distanz zum Kommunismus geziehen wurde und ab 1932 mehrmals für eine Kooperation auch mit der KPD eingetreten ist.

Doch man muss Döhring positiv bescheinigen, dass er nicht für die Geschichtsbücher oder für einen akademischen Titel schreibt. Er betont schon im Vorwort, dass er seine Forschungsarbeit als Beitrag im Kampf für den freiheitlichen Sozialismus versteht, der keine akademischen Auszeichnungen braucht. Dabei hat er mit dem Kapitel „ADGB-Terror gegen Syndikalisten 1919/1920“ Pionier*innenarbeit geleistet. Auch in vielen linken Geschichtsaufarbeitungen wurde die syndikalistische Strömung der Gewerkschaftsbewegung weitgehend ignoriert.

Döhring beschreibt, wie der SPD-nahe Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), der im Ersten Weltkrieg die Burgfriedenspolitik mitgetra- gen hat, in der frühen Weimarer Republik gegen syndikalisti- sche Kolleg*innen vorgegangen ist. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) wurde vom ADGB nicht als Gewerk- schaft anerkannt, und teilwei-

se sorgten ADGB-Mitglieder dafür, dass Syndikalist*innen ihren Arbeitsplatz verloren. Oft kooperierten die staatsna- hen Gewerkschaften mit derPolizei, um die rebellischen Kolleg*innen zu verfolgen. Dafür liefert Döhring viele bisher unbekannte Beispiele.

Kritik am syndikalistischen Sektierer*innentum

„Wahrscheinlich liegt in solchem massivem Druck von Zentralisten und Staatsgewalt der Hauptgrund für die Stagnation des Syndikalismus in Deutschland“ (S. 54), schreibt Döhring. Doch in weiteren Kapiteln beschreibt er auch die Eigenverantwortung der syndikalistischen Organisationen für ihre zunehmende Einflusslosigkeit in der Weimarer Republik. Wie schon in anderen historischen Schriften dokumentiert er deren oft sektiererische Politik, die auch zu autoritären Strukturen in den eigenen Reihen führte.

Das führte dazu, dass sich manche langjährig engagierte Anarchist*innen der Kommunistischen Partei zuwandten. Der spätere SPD-Funktionär Herbert Wehner ist recht prominent. Döhring geht auf weitere bekannte Anarchisten (nur Männer) ein, die in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren Anhänger der Kommunistischen Partei wurden, darunter auch der als „König der Vagabunden“ bekannt gewordene Gregor Gog und der Künstler Heinrich Vogeler. Der langjährige Vorsitzende der Mannheimer FAUD Karl Schild fand im NS-Konzentrationslager, wo er wegen syndikalistischer Widerstandsaktionen inhaftiert war, zur KPD. Er und sein ebenfalls aus der FAUD kommender Kollege Karl Gültig waren später bekannte DKP-Aktivisten, verschwiegen aber ihre syndikalistische Vergangenheit nicht.

Ein besonders gelungenes Kapitel des Buches widmet sich den im Nationalsozialismus ermordeten Anarchosyndikalist*innen. Hier kann die weitere Syndikalismusforschung anschließen. Peter Nowak

Peter Nowak

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