Die Initiative "Organisieren, Kämpfen, Gewinnen" soll gewerkschaftliche Handlungsfähigkeit in den Betrieben stärken. Auf ihrem Kongress ging es auch um die Rolle der Gewerkschaften bei den anstehenden Sozialprotesten.

„Nieder mit den Waffen – hoch mit den Löhnen“

Für den 2. Dezember ist ein landesweiter Streik in Italien geplant, der unter dem Motto "Nieder mit den Waffen – hoch mit den Löhnen" den Kampf gegen Militarismus mit dem gegen Verarmung verbinden will. Unterstützung aus dem Ausland ist ausdrücklich erwünscht. Es ist jetzt knapp zehn Jahre her, dass angesichts der Krisenproteste vor allem in südeuropäischen Ländern auch über europaweite Streiks diskutiert wurde. Damals gab es auch in Deutschland ein Unterstützernetzwerk, das allerdings schnell wieder eingeschlafen ist. Vielleicht sollte darauf Bezug genommen und parallel zum Streik in Italien am 2. Dezember auch in anderen Ländern Solidaritätsaktionen gegen Verarmung und Militarismus vorbereitet werden.

Im letzten Jahr gab es einen Hype um ein Phänomen, das zu Corona-Zeiten zunächst in den USA und dann auch in anderen Teilen der kapitalistischen Welt zu beobachten gewesen sein soll. Millionen von US-Amerikanern hätten in Pandemie-Zeiten ihren Job gekündigt. Sofort wurde über die Sozialen Netzwerke eine neue Widerstandsstrategie ausgerufen und Begriffe wie „Great Resignation“ wurden geprägt. Schließlich erfreut sich die Figur des Bartleby, der Figur aus Herman Melvilles Erzählung, vor allem im akademisch-bürgerlichen Milieu schon lange hoher Wertschätzung. Seine Haltung, am liebsten nicht zu machen und dem Lauf der Dinge zuzusehen, entspricht ihrer Stellung in der Gesellschaft. Doch der Hype um die Arbeitsverweigerer ist schon beendet. Viele sind bereits wieder zurück am alten Arbeitsplatz. „Warum ist die Great Resignation aus linker Sicht verpufft? Vermutlich aus dem gleichen Grund, aus dem …

… Bartleby mit seiner Ich-Verweigerung keinen Aufstand angezettelt hat. Das Problem ist die Vereinzelung“, schreibt der USA-Korrespondent Lukas Hermsmeier in der Wochenzeitung Freitag.

„Hot Labor Summer“ in den USA

Er hat auch richtigerweise erkannt, dass Proteste, wenn sie nachhaltig sein wollen, ein Druckmittel brauchen. „Und sie entstehen allermeist dadurch, dass man sich im Kollektiv organisiert. So nachvollziehbar das Auflehnen, Entziehen, Resignieren, so wenig baut sich dadurch wirkliche Macht für die Mehrheit der Lohnabhängigen auf.“ Das haben in den USA viele Beschäftigte erkannt. Sie gründen Gewerkschaften und versuchen, organisiert ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu verändern.

Die erste Amazon-Gewerkschaft in den USA hat auch an Deutschland für Aufsehen gesorgt. Auch in anderen Branchen gründeten sich Gewerkschaften und die Beschäftigten führen auch Arbeitskämpfe. Mittlerweile trenden die Infodienste der Betroffenen wie #hotlaborsommer. Und auch in Deutschland gibt es schon Initiativen, die vor allem die betriebliche Basis für selbstorganisierte Kämpfe stärken wollen.

Dabei stützen sie sich auch auf gewerkschaftliche Organizing-Methoden, die in den USA entwickelt wurden. Die Gewerkschaft als Bewegung, nicht als Dienstleistungsunternehmer mit angeschlossener Rechtsschutzversicherung aufzubauen, ist das Ziel der bundesweiten Initiative „Organisieren – Kämpfen – Gewinnen“, die am Wochenende im Berliner IG-Metall-Haus ihren Kongress zur Stärkung der gewerkschaftlichen Basis in den Betrieben veranstaltet hat.

Sie orientieren sich an dem US-amerikanischen Gewerkschaftsnetzwerk Labor Notes. Einige Texte wurden ins Deutsche übersetzt im Schmetterlingsverlag unter dem Titel „Geheimnisse einer erfolgreichen Organizerin“ veröffentlicht. Ein wichtiger Impulsgeber ist auch der sozialdemokratische Gewerkschaftsaktivist Kim Moody.

Besonders relevant ist dabei, dass diese Basisorientierung der US-Gewerkschaftsbewegung schon seit einigen Jahrzehnten läuft. Zudem ist das Ziel der Basisorganisierung oft nicht so recht klar, wenn es über unmittelbare gewerkschaftliche Alltagsprobleme hinaus geht. Soll nach sozialdemokratischen Strohhalmen gegriffen werden, die ja immer wieder in verschiedenen Ländern auftauchen und verschwinden? Als Stichworte seien nur Bernie Sanders in den USA und Jeremy Corbyn in Großbritannien genannt. Solche Personalien stehen in Deutschland nicht zur Verfügung, was sicherlich auch ein Glück für die Kampagne ist.

Geschichten von kleinen Erfolgen im Betriebsalltag

Tatsächlich kamen auf dem zweitägigen Kongress Beschäftigte aus ganz Deutschland zu Wort, Alte und Junge aus den unterschiedlichsten Branchen. Sie berichteten von ihrem Arbeitsalltag, völlig ohne die modischen Floskeln, die heute verschleiern sollen, dass wir noch immer in einer Klassengesellschaft leben. Die Menschen, die da redeten, benutzten keine akademische Soziologensprache, um ihren Arbeits- und Lebensalltag zu beschreiben.

Was sie beschreiben, ist der Kampf, in einer von der Kapitallogik vereinnahmten Welt ihre menschliche Subjektivität zu bewahren oder zurückzuerobern. Da erzählt der über 50-jährige Beschäftigte von Amazon-Hersfeld, wie er es erfolgreich verhinderte, dass ihm sein Vorgesetzter das obligatorische „Feedback“ gibt. Das ist bei Amazon eine Methode der Disziplinierung und Kontrolle und dementsprechend bei vielen Beschäftigten eher verpönt.

Eine Krankenpflegerin aus Nordrhein-Westfalen erzählt noch immer begeistert, wie sie im mehrwöchigen Streik an verschiedenen Kliniken die Kolleginnen und Kollegen kennengelernt und gemerkt hat, dass man eine Macht hat, wenn man zusammenhält und sich nicht spalten lässt. Ein Beschäftigter des Berliner Lieferdienstes Lieferando berichtete über den langwierigen Kampf in der Branche um einen Betriebsrat und stellte damit auch manche linke Mythen infrage.

Demnach ist eine Betriebsratsarbeit der erste Schritt zur Anpassung. Der Lieferando-Fahrer hingegen verwies darauf, dass ihnen erst der Status als Betriebsräte in ihrem Arbeitskampf Schutz bietet. Es war an diesen zwei Tagen von vielen solchen Geschichten vom alltäglichen Kampf am Arbeitsplatz, den vielen Demütigungen, aber auch den Siegen die Rede, die dann eintraten, wenn sich die Beschäftigten gegen die Zumutungen ihrer Chefs wehrten, wenn sie sich nicht spalten und auch von Drohungen nicht einschüchtern ließen.

Genug ist genug

Neben den vielen kleinen, aber wichtigen Kämpfen, ging es auf einer Podiumsdiskussion auch um die Rolle der Betriebsaktivisten im viel zitierten heißen Herbst der Sozialproteste. Dort stelle Ines Schwerdtner die Initiative „Genug ist Genug“ vor, die Sozialproteste mit gewerkschaftlichen Kämpfen verbinden will. Mit sehr konkreten sozialpolitischen Forderungen will sie Menschen gewinnen, die sich gegen die Inflation wehren wollen.

Dabei sollen besondere Rallyes die klassischen Demonstrationen ersetzen. Worin dann der Unterschied besteht, muss sich dann erst noch zeigen. Schwerdtner betonte, dass die Initiative nicht in Konkurrenz zu Protestbündnissen wie Umverteilen oder Heizung, Brot und Friedensteht. Genug ist Genug will vor allem in Gegenden aktiv sein, die sich nicht den Luxus von gleich mehreren Protestbündnissen leisten können.

Europäische Sozialproteste am 2. Dezember

Um eine europäische Dimension der Sozialproteste ging es bei der Abschlussdiskussion des Kongresses, bei dem die Amazon-Beschädigte Agniezka Ruda von der anarchosyndikalistischen polnischen Gewerkschaft IP und ein Mitglied des autonomen Hafenarbeiterkollektivs CALP aus Genua teilgenommen hatten.

Der CALP-Vertreter berichtete dort, dass seine Organisation in sämtlichen 13 Betrieben des Hafens von Genua vertreten und Teil der italienischen Basisgewerkschaft USB ist. In der Vergangenheit wurde diese Gewerkschaft auch dadurch bekannt, dass sie Waffenlieferungen in verschiedene Kriegsgebiete der Welt – sowohl nach Saudi-Arabien als auch in die Ukraine – bestreikt hatte.

Für den 2. Dezember ist ein landesweiter Streik in Italien geplant, der unter dem Motto „Nieder mit den Waffen – hoch mit den Löhnen“ den Kampf gegen Militarismus mit dem gegen Verarmung verbinden will. Unterstützung aus dem Ausland ist ausdrücklich erwünscht.

Es ist jetzt knapp zehn Jahre her, dass angesichts der Krisenproteste vor allem in südeuropäischen Ländern auch über europaweite Streiks diskutiert wurde. Damals gab es auch in Deutschland ein Unterstützernetzwerk, das allerdings schnell wieder eingeschlafen ist. Vielleicht sollte darauf Bezug genommen und parallel zum Streik in Italien am 2. Dezember auch in anderen Ländern Solidaritätsaktionen gegen Verarmung und Militarismus vorbereitet werden.

Schließlich traf sich Mitte September erstmals nach Corona wieder das europäische Netzwerk für einen transnationalen europäischen Streik, dieses Mal in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. In der Einladung hieß es zum Ukraine-Konflikt:

Die wirtschaftlichen Opfer, die die erhöhten Militärausgaben mit sich bringen, werden den Arbeitnehmern auferlegt, die auch die Kosten für unbezahlbare Energie-, Lebensmittel- und Mietpreise zu tragen haben; die Flüchtlingswelle aus der Ukraine wird von den Regierungen genutzt, um rassistische Hierarchien zu verstärken und neue zu etablieren, während der Krieg die patriarchalische Gewalt verschärft. Die Militarisierung der Industrie widerspricht selbst der sanftesten „grünen“ Politik angesichts des weltbedrohenden Klimawandels.


Aus der Einladung für das Treffen des Netzwerkes für Transnationalen Social Strike

Dies wäre doch eine gute Gelegenheit, rund um den 2. Dezember einen Aufschlag für eine solche europäische Solidaritätsaktion zu machen.

Peter Nowak