Kritikern gelingt es nicht, das Wesen des Ukraine-Kriegs in den Mittelpunkt zu stellen. Mobilisierungskraft massiv geschwunden, Unmut in Bevölkerung vorhanden.

G-7-Proteste in Elmau: Der große Auftaktflop der Gipfelgegner

Vor 25 Jahren hatten auch theoretische Schriften wie Empire von Toni Negri und Michael Hardt Konjunktur, die eine weltweite Multitude als neue Protestbewegung ausmachten, der sich viele der damals Aktiven gerne zuordneten.Es ist schon auffällig, wie schnell die Diskussionen um Schriften wie Empire, mit denen sich damals viele progressive Strukturen beschäftigten, vergessen wurde. Das ist bedauerlich, nicht weil die Theorien so überzeugend waren. Dem entgegen zeigte sich, dass die linken Kritiker recht hatten, die erklärten, dass es hier eben nicht um eine neue linke Kapitalismuskritik geht.

Ein großes Polizeiaufgebot rund um die Münchner Theresienwiese kündigte am Samstag in der bayerischen Landeshauptstadt die zentrale Demonstration gegen den G-7-Gipfel an, der in Elmau begonnen hat. Viele Medien wiesen später darauf hin, dass die Teilnehmerzahl mit knapp 7.000 Personen hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Die Süddeutsche Zeitung fügte hinzu, der Schwarze Block habe sich zurückgehalten.Noch einige Tage zuvor waren Brandstiftungen in München von der Polizei umgehend mit dem G-7-Gipfel in Verbindung gesetzt, obwohl in der eigenen Pressemitteilung ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass die Hintergründe noch gar nicht geklärt sind. Für Aufregung in der Politik sorgte ein Leak. Vertrauliche Dokumente …

… zum G-7-Gipfel von 2015, darunter das Einsatzkonzept der Polizei, waren auf der Online-Plattform Indymediadokumentiert.

Mittlerweile hat die Polizei Daten von Servern der Münchner Piratenpartei beschlagnahmt. Die linksliberale Partei, die in München noch aktiv ist, spricht davon, dass auch Daten von Mitgliedern darunter sind.

Bundesweit hat weder die Veröffentlichung der Daten noch die Polizeimaßnahmen einen größeren Mobilisierungseffekt in außerparlamentarischen Bewegungen ausgelöst. Die Linkspartei hatte ihren Bundesparteitag ausgerechnet auf das gleiche Wochenende gelegt. Mit ihrer Präsenz konnte nicht gerechnet werden.

Außerparlamentarische Linke nicht mobilisierungsfähig

Erklärungsbedürftiger ist, warum auch viele der Gruppen der außerparlamentarischen Linken, die noch 2015 gegen den damaligen Gipfel nach Elmau mobilisiert hatten, dieses Jahr nicht dabei waren.

Einige Demonstranten erklärten das damit, dass sich die außerparlamentarische Linke vom Corona-Lockdown noch nicht erholt hat. Viele der Gruppen haben danach nicht wieder ihre frühere Handlungsfähigkeit hergestellt. Weitere Gründe für die Protestflaute hat Christian Jakob in der taz benannt. Er beschreibt die Wurzeln der globalisierungskritischen Linken in den 1990er-Jahren und benannt dabei den Aufstand der Zapatisten in Mexiko als eine wichtige Inspiration.

„Multitude“ oder „Subalterne“, das waren Begriffe aus der Theorie, mit denen manche die neue, globale Massenbewegung zu fassen versuchten. Spürt man ihren Ideen nach, landet man im mexikanischen Urwald 1994, als die indigene Zapatista-Guerilla ihre frohe Botschaft der Machtergreifung von unten verkündete. (…) Akteure wie Attac, Peoples Global Action, Ya Basta oder La Via Campesina wurden geboren und machten gemeinsame Sache mit Gewerkschaften, Kirchen, Umweltverbänden, Autonomen.

Christian Jakob, taz

Jakob macht auch klar, dass die Themen, die damals angesprochen waren, von Kritik an einer marktradikalen Wirtschaftspolitik bis zur Abnutzung von Mensch und Natur aktueller denn je sind. Trotzdem kommt er zu dem Schluss:

Aktueller könnte eine Agenda kaum sein. Massen, die mit ihr zu den Gipfeln ziehen, gibt es aber keine mehr. „Die Kette ist abgerissen. Es gibt keine kollektive Identität als globalisierungskritische Bewegung mehr“, sagt der Protestforscher Simon Theune.

Dieser Bewertung kann kaum widersprochen werden. Auch bei den Protesten gegen das Treffen des Weltwirtschaftsforums in Davos, die vor 20 Jahren immer wieder für mehrere Tage die Schweiz in Atem hielten, sind sehr geschrumpft.

Theorie aus linker Globalisierungskritik verschwunden

Jakob benannt einige der Gründe für die schnelle Flaute der globalisierungskritischen Bewegung. Dazu gehört eine verkürzte Kapitalismuskritik, der Aufstieg einer Rechten, die eine eigene reaktionäre Globalisierungskritik popularisierte, aber auch die massive Repression. Höhepunkt waren Terror und Folter gegen Globalisierungskritiker in Genua im Juli 2001.

Hier hat der globale Westen gezeigt, dass er auch weiterhin über Instrumente des Faschismus verfügt, wenn eine Oppositionsbewegung nicht kooperiert. Viele haben diese Drohung verstanden.

Bald entstanden viele moderate Nichtregierungsorganisationen und der Anspruch eines globalen Bruchs mit dem System des globalen marktradikalen Kapitalismus verlor immer mehr an Bedeutung.

Vor 25 Jahren hatten auch theoretische Schriften wie Empire von Toni Negri und Michael Hardt Konjunktur, die eine weltweite Multitude als neue Protestbewegung ausmachten, der sich viele der damals Aktiven gerne zuordneten.

Es ist schon auffällig, wie schnell die Diskussionen um Schriften wie Empire, mit denen sich damals viele progressive Strukturen beschäftigten, vergessen wurde. Das ist bedauerlich, nicht weil die Theorien so überzeugend waren.

Dem entgegen zeigte sich, dass die linken Kritiker recht hatten, die erklärten, dass es hier eben nicht um eine neue linke Kapitalismuskritik geht.

Bedauerlich ist auch, dass genau dieses Versagen nicht theoretisch erfasst wurde, was ja auch zu einer guten Theorie gehört. So kann man an dem kurzen Hype und dem schnellen Vergessen von Büchern wie Empire auch die Entwicklung der globalisierungskritischen Linken verfolgen. Sie hat keine Antworten gerade in der einer Zeit, in der die Verhältnisse im Grunde überreif für theoretische und praktische Kritik wären.

Warum nicht ein Protest gegen den Kriegskapitalismus?

Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass der Kapitalismus noch genauso in kriegerische Krisen führt wie zu den Zeiten, zu denen Rosa Luxemburg und andere Theoretikerinnen und Theoretiker der Arbeiterbewegung ihn so kritisierten.

Doch statt hieran anzuknüpfen und diese Theorien weiterzuentwickeln, schwenken große Teile der Linken auf die von Luxemburg kritisierte Linie der Vaterlandsverteidigung ein und stellen sich im Krieg zweier nationalistischer und kapitalistischer Staatenblöcke auf eine Seite.

Insofern wurde die Chance verpasst, den G-7-Gipfel zu einem transnationalen Protest der Linken zu machen. Doch eben damit wäre sie auf der Höhe der Zeit gewesen. Schließlich geht es auf dem Gipfel auch und vor allem darum, auf globaler Ebene Bündnispartner des globalen Westens in diesen Konflikt zu suchen.

Daher wurde der rechtskonservative indische Ministerpräsident Modi auf dem Gipfel auch besonders umworben. Die Kritik vor allem an seiner autoritären Herrschaft in Indien prägte die Demonstration in München.

Darin aber hätte sich der Protest hätte erschöpfen dürfen. Er hätte deutlich machen müssen, dass sich eine Linke nicht in die Kriegsfront einreihen lässt, um die Auseinandersetzung als Ausdruck des Kapitalismus zu begreifen und zu kritisieren.

Bürgerlicher Unmut über G7 in Elmau

Die geringe Teilnehmerzahl auf der Großdemonstration und auch bei den dezentralen Aktionen rund um Elmau, die noch in den nächsten Tagen weitergehen, bedeutet nun nicht, dass der Gipfel auf große Zustimmung in der Bevölkerung stößt. Der Tweet eines eher konservativen Münchner Radiomoderatoren und die große Zustimmung, die er dafür erhalten hat, zeigen deutlich die diffuse Ablehnung der Großereignisse in Teilen der Bevölkerung.

Das wird auch durch eine Resolution der Freien Wähler in Garmisch-Partenkirchen deutlich, die verhindern will, dass der Ort weiterhin für solche Gipfeltreffen genutzt wird. Schon vorher haben Einwohner der Region über Staus, Unruhe und Einnahmeverluste durch den Gipfel geklagt. Dahinter steckt der Ärger, dass die für sie gewinnbringende Tourismussaison durch einen solchen Großevent geschmälert wird.

Die verantwortlichen Politiker müssen sich rechtfertigen und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, nicht er, sondern Bundeskanzler Scholz (SPD) habe den Gipfel einberufen.

Es kann also durchaus sein, dass ein weiterer Gipfel zumindest in Elmau nicht mehr stattfindet. Die Veranstaltung in diesem Jahr aber zeigte wieder einmal die Schwäche der Linken – aber auch ein unterschiedlich motiviertes kritisches Bewusstsein in Teilen der Bevölkerung. Peter Nowak