Als Mitglied der Partei Die Linke für Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet zu sein, erfordert eine ausgefeilte Begründung – und die klingt so: „Wer die demokratische Entscheidung der ukrainischen Bevölkerung gegen eine Unterwerfung unter die russische Vormundschaft nicht respektieren will, betrachtet Menschen nicht als Subjekte, sondern als Insassen imperialer Interessensphären und als eine Art Verschiebemasse großer Mächte. Für demokratische Sozialisten ist das inakzeptabel“. So begründet Berlins Kultursenator Klaus Lederer im taz-Interview sein Plädoyer für Waffenlieferungen an die Ukraine.Doch wie steht es um die demokratische Entscheidung einer Bevölkerung in einem Land, in dem zahlreiche Oppositionsparteien verboten sind? …
… Erst vor wenigen Tagen bestätigte ein Gericht deren Verbot. Merkwürdiger ist die Kritik an diesen Parteienverboten gerade bei Menschen, die immer beschwören, in der Ukraine die westliche Freiheit zu verteidigen, sehr verhalten.
Aversion gegen ukrainische Pazifisten
Denis Pilash kritisiert das Verbot von insgesamt elf Parteien sowie die massive Einschränkung der Gewerkschafts- und Arbeiterrechte, die in der Ukraine im Windschatten des Krieges mit Russland per Dekret durchgesetzt wurden. Er gehört der Organisation Sotsialnyi Rukh an, was übersetzt Soziale Bewegung heißt, an – den Linken in der Ukraine, die noch legal arbeiten können. Pilash gehörte zu den ukrainischen Linken, die kürzlich von einer Delegation von Aktivisten aus verschiedenen westeuropäischen Staaten in Lwiw besucht wurden.
Die Bandbreite dieser legalen linken Opposition war groß. Darunter ist Yana Wolf von der NGO Women’s Perspectives, die in Kriegszeiten keinen Kontakt zu russischen Feministinnen haben will, auch wenn die Kriegspolitik des Regimes vielleicht gar nicht unterstützen. Auch die Aversion gegen die wenigen ukrainischen Pazifisten ist bemerkenswert.
Der Wissenschaftler Yurii Sheliazhenko lebt in Kiew. Er ist Vorsitzender und laut der in Lwiw Anwesenden auch einziges Mitglied der „Ukrainischen Pazifistischen Bewegung“. In Online-Videos sprach er sich gegen den von Russland begonnenen Krieg, aber auch gegen die bewaffnete Verteidigung des Landes aus.
„Sheliazhenko, ein Linker?“ – Denis Pilashs Augenbrauen rutschen nach oben, als wir ihn am Abend des zweiten Tages darauf ansprechen. »Dazu kann ich zwei Sachen sagen: Erstens ist Yurii Sheliazhenko ein Einzelgänger, der keinerlei Verbindung zur Linken hat. Er ist niemand, den man bei linken Veranstaltungen treffen würde. Und zweitens bezeichnet er sich nicht mal selbst als links.
Aus dem Reisebericht in der Zeitschrift Analyse und Kritik
Natürlich stimmt es, dass Pazifisten in Kriegszeiten besonders isoliert sind und wie auch der ukrainische christliche Pazifist Ruslan Kotsaba besonders bedroht sind. Es ist auch die Position der Vaterlandsverteidiger, Pazifisten im eigenen Land immer besonders zu diffamieren und ihre Kriminalisierung nicht zu erwähnen. Auch die Ablehnung von Kontakten auch zu Organisationen im Land der gegnerischen Kriegspartei, auch wenn sie gegen die Regierungspolitik sind, war immer wieder Praxis der Vaterlandsverteidiger aller Länder.
Linke Kriegsgegner haben dagegen immer die Kooperation mit Kriegsgegnern anderer Länder gesucht. Besonders die Kooperation mit Kriegsgegnern aus dem Land, dessen Regierung gerade Krieg führt, müsste ein besonderes Anliegen von linken Gruppen sein. Erinnert sei an die Zimmerwalder Linke im Ersten Weltkrieg, die gerade betont hat, dass der Krieg der Herrschenden nicht ihr Kampf ist, egal wo sie leben.
Für Kooperation der Bevölkerung gegen die Regierungen
Einer solchen Position kommt unter den in Lwiw besuchten ukrainischen Linken der Eisenbahngewerkschafter Aleksandr Skiba am nächsten.
„Sobald wir anfangen, die russischen und die ukrainische Bevölkerung zu Feinden zu erklären, wird das die Russen mehr für den Krieg zusammenschweißen“, glaubt der Lokführer. Auch unter den russischen Besatzungssoldaten gebe es Menschen, die sich anständig verhielten. Zudem seien viele enttäuscht davon, dass sie als Kanonenfutter verheizt würden, hätten ihm Bekannte erzählt, die mit russischen Soldaten ins Gespräch gekommen seien. Wenn man die demoralisierten Soldaten stärker „aufwiegeln“ und ihnen die Wahrheit aufzeigen könne, gebe es vielleicht die Möglichkeiten, den Krieg schneller zu beenden.
Aleksandr Skiba / Analyse und Kritik
Die Linken, die nicht besucht werden
Es ist also sehr sinnvoll, diese unterschiedlichen, bisher noch legalen Linken in der Ukraine zu besuchen Denn dadurch wird auch deutlich, dass der Mythos vom geschlossen gegen Russland kämpfenden ukrainischen Volk auch nur eine nationalistische Erzählung ist. Das zumindest wird aus den Stellungnahmen der Gesprächsteilnehmerinnen und Gesprächsteilnehmer deutlich.
Dabei sollte immer betont werden, dass es sich hier eben nur um einen Ausschnitt der ukrainischen Gesellschaft handelt. Warum wurde eigentlich nur über den Pazifisten Yurii Sheliazhenko gesprochen? Warum wurde nicht auch er besucht und kritisch befragt? Oder war dies wegen der drohenden Repression nicht möglich? Und was ist mit den Anhängern der verbotenen Parteien, die insgesamt einen beträchtlichen Teil der ukrainischen Bevölkerung betreffen?
Auch dort gibt es Menschen, die sich als Linke verstehen. Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe, auch die zu besuchen? Sollte die globale Linke nicht die Einteilung in prowestliche und prorussische Ukrainer überwinden? Es fällt auf, dass gerade die, die jetzt so sehr betonen, man müsse jetzt auf die Menschen in der Ukraine oder den osteuropäischen Ländern hören, immer den Teil der Bevölkerung vergessen, der nicht als Anhänger der EU und des globalen Westens gilt.
Es sind dann fast automatisch immer die Natofreunde, die als Argument herangezogen werden, dass auch antinationale Linke hierzulande, endlich zu Realpolitikern werden sollen, und ihre Kritik an Staat, Nation und Nato aufgeben soll.
Rettung der polnischen Sprache und Kultur
Ein Beispiel dafür ist ein Beitrag der polnischen Sozialdemokratin Renata Kaminiska in derJungle World. Dabei wird zu erwähnen vergessen, dass die Partei Razem bei allem verdienstvollen Engagement für feministische und soziale Interessen immer schon eine nationale Rhetorik hatte.
Das lag einfach daran, dass sie mit der nationalkonservativen Regierung in Konkurrenz um die Wählerstimmen treten musste, die auch eine sozialpatriotische Linie fährt. Nur gab es lange Zeit auch von Linken in Polen und Deutschland Kritik an dieser nationalen Orientierung von Razem. Die wird nun dem Beitrag von Kaminiska besonders deutlich: Das beginnt schon mit dem Lamento über Gebietsabtretungen:
Ich stamme aus Zamość, einer polnischen Stadt nahe der ukrainischen Grenze, dem Geburtsort Rosa Luxemburgs. Außerhalb Polens ist kaum bekannt, dass die Grenzen, die nach dem Zweiten Weltkrieg für das Land festgelegt worden waren, noch im Nachhinein von der sowjetischen Führung unter Stalin verschoben worden sind. 1951 kam es zum Polnisch-Sowjetischen Gebietsaustausch, der nur offiziell von polnischer Seite initiiert worden war.
Renata Kaminska, Jungle World
Dabei wird ausgeblendet, dass die Grenzverschiebungen komplexe historische Gründe haben, die in den Auseinandersetzungen zwischen Polen und Russland nach der Oktoberrevolution liegen. Zudem knüpft Kaminska hier an einen Diskurs der deutschen Vertriebenenverbände an, die immer wieder beklagten, dass Polen angeblich deutsche Gebiete besetzt hat und damit für den Verlust der Gebiete im Osten entschädigt wurde.
Es stimmt eben nicht, dass über die Gebietsabtretungen in Deutschland nicht geredet wurde. Doch es war ein revisionistischer Diskurs der Vertriebenenverbände und er ist auch nicht davon zu trennen. Wenn die Autorin betont, sie ist in der gleichen Stadt wie Rosa Luxemburg geboren, wäre es doch sinnvoll gewesen, sie hätte die Kritik am Nationalismus zur Kenntnis genommen, für die diese Sozialistin bekannt war. Rosa Luxemburg hat immer betont, dass eine Linke nicht die nationale, sondern die soziale Befreiung in den Mittelpunkt stellen soll.
Zudem hat sie immer betont, dass es egal ist, ob Kapitalisten, die menschliche Arbeitskraft ausbeuten, deutsch, russisch oder Polnisch sprechen. Bei Kaminska heißt es hingegen:
Polen wurde über einen Zeitraum von 123 Jahren von Deutschen, Russen und Österreichern okkupiert, die polnische Sprache unterdrückt. Das sind etwa vier Generationen. Oftmals reicht es aus, die Sprache eine Generation lang zu unterdrücken, um sie aussterben zu lassen. Die Leute wollen eben ein normales, bequemes Leben haben und akzeptieren dann, dass sie sich einer anderen Sprache bedienen müssen.
Renata Kaminska, Jungle World
Hier bedient die Autorin eine klassisch nationalistische Argumentation, mit der Menschen, die eben nicht so viel Wert darauf legen, eine bestimmte national korrekte Sprache zu sprechen, dafür kritisiert werden, dass sie angeblich nur ein schönes Leben wollen und dafür verantwortlich sind, dass eine Sprache ausstirbt. Linke hingegen sollten sich vielleicht eher um eine Verbesserung um ihre soziale Situation kümmern und sich nicht im Kampf um Sprache, Heimat und Tradition verzetteln.
Eine solche Postion wurde bisher in der Jungle World beispielsweise auch in der Auseinandersetzung mit linken katalanischen Nationalisten hochgehalten, die plötzlich den Kampf um eine Sprache, die auszusterben drohte, begonnen haben. Mit dieser Kritik standen sie nahe an den Vorstellungen von Rosa Luxemburg. Es bleibt die Frage, warum Linke auch in Deutschland sich nicht weiter an den Vorstellungen dieser linken Kosmopolitin orientieren und die nationalistischen Diskurse damit kritisieren sollen, wo immer sie auftreten.
https://www.heise.de/tp/features/Wer-sind-die-Linken-in-der-Ukraine-7152146.html