Verdi lud anlässlich des 50. Jahrestages der Berufsverbote zu einer Diskussionsveranstaltung

Sorge vor neuem »Radikalenerlass«

Das Enga­ge­ment anti­fa­schis­ti­scher Grup­pen und nicht ein neu­er Radi­ka­len­er­lass sei das bes­te Mit­tel gegen Rechts, erklär­te die Bun­des­vor­sit­zen­de der VVN-Bund der Antifaschist*innen, Cor­ne­lia Kerth, in ihrem Bei­trag. Sie erin­ner­te dar­an, dass ihre Orga­ni­sa­ti­on über Jah­re wegen eines Ein­trags im baye­ri­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­richt der Ent­zug der Gemein­nüt­zig­keit drohte.

Am 28. Janu­ar 1972 wur­de vom dama­li­gen Bun­des­kanz­ler Wil­ly Brandt gemein­sam mit den Minis­ter­prä­si­den­ten der Bun­des­län­der der soge­nann­te Radi­ka­len­er­lass ver­kün­det. Er sah vor, dass sämt­li­che Bewerber*innen für den öffent­li­chen Dienst dar­auf­hin über­prüft wur­den, ob sie vor­be­halt­los zur frei­heit­lich demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung ste­hen. Das Kür­zel fdgo wur­de in den 1970er Jah­ren zum Syn­onym für einen auto­ri­tä­ren Staat, die Über­wa­chung von Lin­ken der unter­schied­li­chen Cou­leur und die Zer­stö­rung von Lebens­per­spek­ti­ven vie­ler jun­ger Men­schen in der BRD. Das wur­de am 17. Mai auf einer Ver­an­stal­tung in der Bun­des­zen­tra­le der Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft Ver­di in Ber­lin deut­lich. Ursprüng­lich war sie zum …

… 50. Jah­res­tag Ende Janu­ar 2022 geplant, muss­te aber pan­de­mie­be­dingt ver­scho­ben werden. Die stell­ver­tre­ten­de Ver­di-Vor­sit­zen­de Andrea Kocsis bat die Betrof­fe­nen um Ent­schul­di­gung dafür, dass auch die Füh­run­gen von meh­re­ren DGB-Gewerk­schaf­ten den »Radi­ka­len­er­lass« damals weit­ge­hend mit­ge­tra­gen haben und inner­halb ihrer Orga­ni­sa­tio­nen sel­ber mit Aus­schlüs­sen gegen lin­ke Kritiker*innen vor­ge­gan­gen sind. Sie bezog sich dabei vor allem auf die Vor­gän­ger­ge­werk­schaf­ten von Ver­di, wie die ÖTV und die Bahn- und Post­ge­werk­schaft im DGB. Kocsis erteil­te allen Plä­nen für eine neue Regel­an­fra­ge für Beamt*innen im öffent­li­chen Dienst als Bei­trag im Kampf gegen Rechts, wie aktu­ell in Bran­den­burg geplant, eine Absa­ge. Auch die ehe­ma­li­ge Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin Her­ta Däub­ler-Gme­lin warn­te davor, dass wie schon vor 50 Jah­ren wie­der in ers­ter Linie kri­ti­sche Lin­ke betrof­fen wären. Die Rechts­an­wäl­tin führ­te den Fall eines jun­gen Wis­sen­schaft­lers an, der in Bay­ern, wo die Regel­an­fra­ge schon ein­ge­führt wur­de, um eine Ein­stel­lung an einer Uni­ver­si­tät kämp­fen muss, weil er Mit­glied der lin­ken Gefan­ge­nen­so­li­da­ri­täts­be­we­gung Rote Hil­fe ist. 

Däub­ler-Gme­lin mach­te deut­lich, dass der Radi­ka­len­er­lass nicht kon­kre­te Taten und Äuße­run­gen sank­tio­nier­te, son­dern sich auf Pro­gno­sen berief, nach denen sich Men­schen in Zukunft ver­fas­sungs­feind­lich betä­ti­gen könn­ten. Das aber sei ein Bruch mit rechts­staat­li­chen Grund­sät­zen, beton­te die Juris­tin und lang­jäh­ri­ge Sozi­al­de­mo­kra­tin, die beton­te, dass sie bereits in den 1970er Jah­ren in der SPD zu den Gegner*innen des Radi­ka­len­er­las­ses gehör­te. Mit Hin­rich End­er­lein war auch ein pro­fi­lier­ter FDP-Poli­ti­ker, der sich früh gegen den Radi­ka­len­er­lass ein­setz­te, auf der Ver­an­stal­tung zu Gast.

Das Enga­ge­ment anti­fa­schis­ti­scher Grup­pen und nicht ein neu­er Radi­ka­len­er­lass sei das bes­te Mit­tel gegen Rechts, erklär­te die Bun­des­vor­sit­zen­de der VVN-Bund der Antifaschist*innen, Cor­ne­lia Kerth, in ihrem Bei­trag. Sie erin­ner­te dar­an, dass ihre Orga­ni­sa­ti­on über Jah­re wegen eines Ein­trags im baye­ri­schen Ver­fas­sungs­schutz­be­richt der Ent­zug der Gemein­nüt­zig­keit drohte.

Aller­dings wur­de an dem Abend deut­lich, dass neben der his­to­ri­schen Auf­ar­bei­tung auch mate­ri­el­le Ent­schä­di­gung für die Betrof­fe­nen der Berufs­ver­bo­te geleis­tet wer­den muss. Vie­le müs­sen heu­te mit einer gerin­gen Ren­te leben, weil ihnen die Ein­stel­lung ver­wehrt wur­de. Selbst in Nie­der­sach­sen, das Vor­bild bei der Auf­ar­bei­tung der Berufs­ver­bots­pra­xiswar, ist die Fra­ge der Ent­schä­di­gung noch nicht geklärt. Ent­täuscht zeig­te sich Däub­ler-Gme­lin über den Grü­nen-Minis­ter­prä­si­den­ten von Baden-Würt­tem­berg, Win­fried Kret­sch­mann, der als ehe­ma­li­ges Mit­glied einer mao­is­ti­schen Par­tei sel­ber vom Radi­ka­len­er­lass betrof­fen war, die­se Pra­xis heu­te ver­tei­digt. Die Arbeits­er­geb­nis­se eines For­schungs­pro­jekts über die Pra­xis des soge­nann­ten Radi­ka­len­er­las­ses in Baden-Würt­tem­berg an der Geschichts­fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg konn­ten bis­her wegen der Erkran­kung eines der betei­lig­ten Pro­fes­so­ren nicht vor­ge­stellt wer­den. Es bleibt also noch viel zu tun für die Betrof­fe­nen der Berufs­ver­bo­te und dafür brau­chen sie auch Unter­stüt­zung der jün­ge­ren Genera­ti­on, die aller­dings bei der Ver­an­stal­tung nur schwach ver­tre­ten war. Am kom­men­den Frei­tag lädt die Ber­li­ner VVN-BdA um 19 Uhr zu einer Ver­an­stal­tung ins Rat­haus Schö­ne­berg ein.