Die Unverletzlichkeit der Wohnung gilt auch in Erstaufnahmeeinrichtungen. Geflüchtete haben dort ein Recht auf Privatsphäre. »Was eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, stellte der Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit einem Urteil endlich klar«, sagte Sarah Lincoln, Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die zivilgesellschaftliche Organisation hatte gemeinsam mit Pro Asyl und weiteren flüchtlingspolitischen Gruppen sechs Geflüchtete unterstützt, die gegen …
… die restriktiven Hausordnungen in Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Baden-Württemberg klagten. Der Verwaltungsgerichtshof hat kürzlich entschieden, dass die dort geregelten Befugnisse des Sicherheitsdienstes, die Zimmer der Geflüchteten jederzeit zu kontrollieren und zu betreten, unwirksam sind. Das Gericht bestätigte, dass die Schlafzimmer in den Unterkünften grundrechtlich geschützte Wohnräume sind. Der Verwaltungsgerichtshof stützt sich mit dieser Entscheidung auf den weiten Wohnungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts. Der Schutz der Wohnung ist eng mit der Menschenwürde verbunden. Geschützt sind nach der Karlsruher Rechtsprechung alle Räume, in denen das Privatleben stattfindet. Der rechtspolitische Referent bei Pro Asyl, Peter von Auer, sieht denn auch eine Bedeutung der Entscheidung über das Bundesland hinaus: »Dieses Urteil ist von bundesweiter Bedeutung, denn es macht klar, dass die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 Grundgesetz auch in Sammelunterkünften gilt. Das gibt geflüchteten Menschen ein Stück Eigenständigkeit und Würde zurück.«
Der regionale Flüchtlingsrat kritisiert, dass das Land dafür überhaupt Nachhilfe durch ein Gericht brauchte: »Es ist bezeichnend, dass ein Gericht die Landespolitik zu einer grundgesetzkonformen Ausgestaltung der Unterbringung von Geflüchteten zwingen muss. Das zeigt, wie es um die Rechte von Schutzsuchenden in Baden-Württemberg bisher bestellt war«, erklärte der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg, Sean McGinley. Er forderte die von Ministerpräsident Wilfried Kretschmann (Grüne) geführt Landesregierung auf, die systematische Entrechtung von Menschen umgehend zu beenden. Dabei geht es McGinley allerdings nicht um kosmetische Änderungen, sondern um eine grundsätzliche Änderung der Flüchtlingsunterbringung. »Wir fordern selbstbestimmte Wohnformen, die die Rechte eines jeden Menschen achten und ein Ende der repressiven Massenunterbringung«, betonte McGinley.
Das Verwaltungsgericht Baden-Württemberg hatte festgestellt, dass die weitreichenden Grundrechtseingriffe nicht per Hausordnung geregelt werden können, wie es bisher geschah. Das Land muss Einschränkungen gesetzlich festlegen, nur dann sind Grundrechte und Demokratieprinzip gewahrt, lautet der Tenor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs. Die Pressesprecherin der GFF, Maria Scharlau, betonte im Gespräch mit dem »nd«, dass das Gericht mit seiner Betonung, dass auch in Erstaufnahmeeinrichtungen die Unverletzlichkeit der Wohnung gilt, deutlich gemacht habe, dass Sicherheitsdienste die Zimmer der Bewohner*innen nicht jederzeit betreten können. Sollten die repressiven Regelungen auch in einem zukünftigen Gesetz Eingang finden, könnte es erneut vor dem Verwaltungsgericht Baden-Württemberg landen.
Auf eine schnelle Verbesserung ihrer Situation hoffen die Kläger*innen. Dazu gehören Emmanuel Annor und Ba Gando: »Das Urteil macht Hoffnung auf Veränderung und ist für uns ein wichtiges Signal. Es bestärkt uns, weiter für uns und unsere Rechte einzustehen«, erklärten sie. Ob sich die Hoffnung schnell erfüllt, muss sich zeigen. Es ist noch unklar, wie die grün-schwarze Landesregierung auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts reagiert. Die Revision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wurde zugelassen. Peter Nowak