„Obdachlosigkeit beenden. Leerstand sinnvoll nutzen“, lautet die Forderung einer Petition, die von Aktivisten des Bündnisses Mietenwahnsinn Nord aus Berlin gestartet wurde. Sie haben in den letzten Monaten immer wieder auf leerstehende Häuser in den Stadtteilen hingewiesen, die sofort bezogen werden könnten. Ein Musterbeispiel für den Leerstand von völlig intakten Wohnungen war der Gebäudekomplex …
… Habersaathstraße 40-46 in Berlin-Mitte in unmittelbarer Nähe zur BND-Zentrale. Nur noch knapp zehn Wohnungen sind bewohnt. Die übrigen 95 Wohnungen in dem 1984 als Schwesternwohnheim mit öffentlichen Mitteln gebauten Ensemble stehen schon seit Jahren leer. 2004 wurden die Gebäude privatisiert.
Seit 2017 sind sie im Besitz der Arcadia Estates. Sie hat einen Abrissantrag gestellt und will dort hochpreisige Appartements errichten. Das Bezirksamt hingegen will die Gebäude als schützenswerten Wohnraum erhalten. Dagegen klagt der Eigentümer vor Gericht und die Häuser standen bisher weiter leer.
Die letzten Mieterinnen und Mieter haben sich zu einer Initiative zusammengeschlossen, die dafür kämpften, dass die Häuser wieder ihren Zweck zugeführt, d.h. bewohnt werden. Sie wird unterstützt von Stadtteilaktivisten wie der Initiative „Hände weg vom Wedding und der Initiative „Leerstand- Hab-ich-Saath“. Die hat jetzt einen Erfolg zu vermelden. In einer Pressemitteilung vom vergangenen Samstag heißt es:
Heute, am Samstag, den 18. Dezember 2021 wurde ein historischer Erfolg errungen! Nach der Aneignung von leerstehenden Wohnungen in der Habersaathstraße durch wohnungs- und obdachlose Menschen wurde eine Einigung mit dem Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel gefunden. Der Leerstand wurde heute beseitigt und die Besetzer*innen, wohnungs- und obdachlose Menschen vor dem Haus sowie Mitglieder der „Plattengruppe“ kriegen ein neues Zuhause. Der Bezirk Mitte wird die Menschen in die leerstehenden Wohnungen einweisen.
Pressemitteilung der Initiative Leerstand-Hab-ich-Saath
Noch viele Details offen
Tatsächlich wäre es ein großer Erfolg, wenn ein Gebäude mit einem solch großen Symbolgehalt wieder bewohnt werden könnte. Hätte es dort nicht aktive Mietrebellen und Unterstützer aus dem Stadtteil gegeben, wären die Gebäude schon längst abgerissen. Dass der Bezirk nach einer erfolgreichen Klage des Eigentümers gegen das Urteil, das den Abriss besiegelt hatte, in Berufung ging, ist ebenfalls ein Erfolg einer außerparlamentarischen Mieterbewegung.
An dem Gebäudekomplex in der Habersaathstraße zeigen sich auch die Folgen der Privatisierungspolitik, die damals von allen Parteien im Abgeordnetenhaus unterstützt wurde. Wäre das Haus 2004 nicht unter der Ägide des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin privatisiert worden, gäbe es jetzt nicht die Probleme mit dem Eigentümer. Deshalb sollte man bei allen Erfolgsmeldungen nicht zu früh euphorisch werden. Denn noch ist der Leerstand nicht beseitigt.
Nach der kurzzeitigen Besetzung am Samstag mussten die Wohnungslosen das Haus wieder verlassen. Im Unterschied zu einem Besetzungsversuch des Gebäudes Ende Oktober 2020gab es keine Räumung und keine Strafanträge, sondern die Zusicherung des grünen Bezirksbürgermeisters, dass die Wohnungen bezogen werden sollen.
Doch entgegen der Diktion der Pressemitteilung und auch mancher Presseartikel ist aktuell der Leerstand in der Habersaathstraße noch nicht beseitigt.
Welche Obdachlosen haben Anspruch auf die Wohnungen?
Gestern haben sich mehrere Wohnungslose registrieren lassen. Nun wird erst einmal geprüft, ob sie Anspruch haben, in die Wohnungen in der Habersaathstraße zu ziehen. Dabei spielt auch eine Rolle, ob sie schon in Berlin Mitte lebten. Nur wie will man feststellen, ob Wohnungslose in einen bestimmten Stadtteil lebten? Und warum wird dieser Unterschied überhaupt gemacht? Hat ein Wohnungsloser, der bisher in einem Camp in Wilmersdorf lebte, wo es keine so starke Mieterbewegung gibt, dann keinen Anspruch, eine leerstehende Wohnung zu beziehen?
Diese Unterscheidung erinnert an Diskussionen über Wohnungs- und Obdachlose, die von zentralen Plätzen in Stadtteilen verdrängt werden sollen. Da wird dann auch gerne argumentiert, man könne vielleicht mit den auf den Platz ansässigen Wohnungslosen zu einer Verständigung kommen, nicht aber mit den Menschen, die aus anderen Stadtteilen kommen.
Nun steht der Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel bei Obdachlosenunterstützern in der Kritik, weil er durch restriktive Maßnahmen gegen Obdach- und Wohnungslose am Hansaplatz aufgefallen war. Weil er sich despektierlich über Migranten aus Osteuropa geäußert hat wurde von Dassel auch in seiner eigenen Partei kritisiert.
Daher ist durchaus zu erwarten, dass es noch Auseinandersetzungen über die Frage geben dürfte, wer dann in die Wohnungen der Habersaathstraße einziehen kann. Zudem muss noch ein Träger gefunden werden, der dann die Verträge schließt. Nicht vergessen werden darf auch die Frage, für wie lange die Nutzung der Wohnung andauern soll und ob dem Eigentümer für seine Einwilligung Zusicherungen in anderen Bereichen, etwa beim juristischen Kampf um den Abriss der Gebäude gemacht wurden. Das wird in der nächsten Zeit genau zu beachten sein
Vor Verzögerungen wird gewarnt
Vor zu früher Euphorie warnt auch Matthias Coers: „Solche Besetzungen sind ganz wertvolle Aktionen. Aber man darf das Bestreben der Verwaltung nicht unterschätzen, das unmittelbare Bedürfnis der Wohnungslosen nach Wohnraum auf die lange Bank zu schieben. Das darf in diesem Fall nicht geschehen.“
Coers hat mit seinen in vielen Ländern gezeigten Film Mietrebellen die Proteste vieler Berliner Mieter auf den Begriff gebracht. Er hat auch für die Ausstellung und Broschüre „Mitten drin draußen“ in Berlin lebende Obdachlose über ihre Lebenssituation auf der Straße befragt.
Er kennt daher auch die Dringlichkeit der Menschen, jetzt sofort den Wohnraum zu nutzen. Es darf nicht sein, dass es über die kommenden Feiertage Verzögerungen gibt. Für die Betroffenen Menschen würde das weitere Wintertage in der Kälte bedeuten, während der Wohnraum leersteht.
Daher wäre es vielleicht besser gewesen, wenn die Initiativen ihre Presseerklärung nicht so formuliert hätten, als wäre der Leerstand aktuell schon beseitigt. Sie müssen jetzt besonders genau beobachten, dass es schnell geschieht und das Beispiel Habersaathstraße dann Nachahmer findet.
Das wäre dann tatsächlich ein großer Erfolg der Berliner Mieter- und Wohnungslosenbewegung.
Valentina Hauser von der Initiative Leerstand-Hab-ich-Saath bekräftigt gegenüber Telepolis, dass die Entwicklung um die Habersaathstraße schon jetzt ein Erfolg ist, den sie sich nicht kleinreden lassen. Sie würden natürlich genau beobachten, wenn der Bezug der Wohnungen weiter verzögert werden sollte. Doch momentan laufe das Prozedere gut an. Peter Nowak
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