… oder das Dilemma der parlamentarischen und außerparlamentarischen Linken

Unteilbar: „Für eine solidarische Gesellschaft“…

Hier liegt im Kern die Auseinandersetzung, die die Linke auch bei den aktuellen Wahlen lähmt und dafür sorgt, dass sie sich in Umfragen noch immer gefährlich nahe an der Fünfprozenthürde bewegt. In der Person von Wagenknecht und Oskar Lafontaine drückt sich das ganze Dilemma der Linken aus. Diese Personen mobilisieren Menschen bei ihren Wahlveranstaltungen wie kürzlich in Thüringen. Trotzdem weigern sich viele Ortsgruppen der Linken, mit Wagenknecht und Lafontaine Wahlkampf zu machen.


Am gestrigen Samstag sind Tausende Menschen in Berlin „für eine solidarische Gesellschaft“ auf die Straße gegangen. So lautete zumindest …

… der Slogan der Unteilbar-Demonstration. Man kann sagen, dass es eine Manifestation von gesellschaftlichen Gruppen links von der Union war, die ja schon seit Jahrzehnten immer wieder angeführt werden, wenn es darum geht, eine angebliche nicht-rechte Mehrheit anzuführen.

Im Parlament gibt es bekanntlich keine Mehrheit links von der Union mehr. Ob es die gesellschaftlich gibt, kann auch durch die Demonstration, an der nun auch politische Parteien – allerdings im hinteren Bereich – teilnehmen konnten, nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden. Wie es bei solch großen Bündnissen nun mal nötig ist, kommt es schnell zu Formelkompromissen. Strittiges wird ausgeblendet, beispielsweise der Umgang mit der Bundeswehr und ihren weltweiten Einsätzen.

Das Thema wurde bei der Unteilbar-Pressekonferenz, die am 1. September stattfand, ausgespart. Weil die Pressekonferenz schon nach einer halben Stunde beendet war, blieb auch die Nachfrage, ob es denn im Unteilbar-Bündnis eine Position zu den Bundeswehreinsätzen gibt, unbeantwortet. Diskussionen und Streit will man aus Bündnisraison aus dem Weg gehen. Dabei sorgte die Unteilbar-Demonstration vor zwei Jahren noch für Auseinandersetzungen bei der Links-Partei.

Die damalige Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht sprach sich gegen die Teilnahme des Bündnisses „Aufstehen“, das sie auch repräsentierte, an der Unteilbar-Demonstration aus. Aber nicht etwa, weil das Bündnis zu Militäreinsätzen keine klare Position hat, sondern weil es aus der Sicht von Wagenknecht für offene Grenzen eingetreten ist. Dabei war die Formulierung dazu auch ein Formelkompromiss, hinter den sich sogar Sozialdemokraten und Grüne stellen konnten.

Es ist natürlich bezeichnend, dass Wagenknecht, die einmal als das junge Gesicht der Kommunistischen Plattform in der PDS galt, die auf antimilitaristische Prinzipienfestigkeit zumindest in den Beschlüssen besteht, nicht etwa die unterbelichteten Positionen beim Unteilbar-Bündnis störte, sondern der Formelkompromiss, der offene Grenzen natürlich ebenfalls nur auf dem Papier nicht ausschloss.

Welche Wähler für die Linke?

Nun gibt es viele, die Wagenknecht unterstellen, Positionen zu vertreten, die auch in der AfD mehrheitsfähig sind. Dabei wird aber vergessen, dass Politiker eine Rolle spielen, wie es in dem Begriff der Charaktermasken zum Ausdruck kommt. Wenn vor einigen Jahren der bayerische Ministerpräsident Söder zeitweilig in seiner Rhetorik die AfD imitieren wollte und dann umgeschaltet und die CSU grüner gemacht hat, ist das kein Einzelfall.

Er zeigt eben, dass die meisten Politiker als Taktiker sehr wendig sind in ihren Positionen. Dieses taktische Verhältnis sollte man auch bei den Positionswechseln von Sahra Wagenknecht zugrunde legen. Es ist natürlich möglich, dass Wagenknecht tatsächlich fast alle Positionen, die sie einmal als junge Politikerin und Vertreterin der Kommunistischen Plattform vertrat, über Bord geworfen hat.

In ihrem jüngsten viel diskutierten Buch „Die Selbstgerechten“ kommen kommunistische Überzeugungen nicht einmal in Spurenelementen mehr vor. Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass Wagenknecht da auch nach dem Kalkül handelt, Menschen, die heute AfD wählen, für die Linke zurückzuholen. Das ist ja ihre erklärte Absicht, sie hat mehrmals darauf hingewiesen, dass es diese Wählerwanderung von der Linken und ihrer Vorgängerpartei ins Lager der AfD gab.

Für Wagenknecht ist eine versuchte Rückgewinnung kein Problem, weil sie argumentiert, wenn sie vorher Linke gewählt haben, können sie keine Rassisten sein, weil damals schon die PDS, beziehungsweise die Linke, kein rechtes Programm hatte. Nur liegt hier ein Denkfehler vor. Die Menschen können auch als Wählerinnen und Wähler linker Parteien rassistische oder homophobe Einstellungen gehabt haben.

Nur waren andere Themen, beispielsweise der Kampf gegen Hartz IV, für diese Menschen zeitweise wichtiger, sodass die Teile des Programms, mit denen sie nicht übereinstimmten, bei ihrer Wahlentscheidung nicht ausschlaggebend war. Das beschreibt der Soziologe Didier Eribonim Buch „Rückkehr nach Reims“ am Beispiel seiner Eltern für das Milieu der Wählerinnen und Wähler der Kommunistischen Partei Frankreichs.

Sie waren homophob, die Parteiprogrammatik war es nicht. Aber diese Frage war für sie nicht wahlentscheidend. Dass für manche linken Wähler nun Fragen von Migration, Minderheitenrechte etc. wahlentscheidend wurden, hat sicher viele Gründe. Konkret liegt es sicher daran, dass Kampagnen wie „Weg mit Hartz IV“ heute nicht mehr in der Gesellschaft dominant sind.

Dass da vor ca. 15 Jahren anders war, zeigt die Gründungsgeschichte der Linken, die es ohne die starke Bewegung gegen Hartz IV so nicht gegeben hätte. Es gab dann noch andere linke Mobilisierungen mit Beteiligung der Linken, beispielsweise gegen die Austeritätspolitik der „Deutsch-EU“, vor 10 Jahren nach dem Wahlsieg von Syriza in Griechenland, die mit einer politischen Niederlage endeten.

Linke Niederlage und rechte Wahlalternative

In dieser Auseinandersetzung etablierte sich auch die rechte Gegenbewegung, altmodisch könnte auch man von Konterrevolution sprechen. Die AfD gründete sich zunächst als Partei von rechten Ökonomen, die kein Geld aus Deutschland für die europäische Peripherie ausgeben wollten.

Bild und andere Medien lieferten den populistischen Hintergrund und Menschen, die noch Jahre vorher gegen Hartz IV auf die Straße gegangen sind, konnten nun posten, dass sie „kein deutsches Geld für die Pleitegriechen“ locker machen wollten. Mit der AfD bot sich ihnen im wahrsten Sinne des Wortes eine rechte Wahlalternative.

Ihre Ablehnung von Migration und Minderheitenrechte, die sie bisher abspalteten, fand nun ihren Platz auf dem Stimmzettel. Es ist mindestens naiv, wenn Wagenknecht und ihr nahestehende Politiker den Eindruck erwecken, sie ließen sich relativ einfach wieder zu Wählerinnen und Wählern der Linken machen, ohne dass die Partei ihre Programmatik und ihr Außenbild verändern müsste.

Hier liegt im Kern die Auseinandersetzung, die die Linke auch bei den aktuellen Wahlen lähmt und dafür sorgt, dass sie sich in Umfragen noch immer gefährlich nahe an der Fünfprozenthürde bewegt. In der Person von Wagenknecht und Oskar Lafontaine drückt sich das ganze Dilemma der Linken aus. Diese Personen mobilisieren Menschen bei ihren Wahlveranstaltungen wie kürzlich in Thüringen. Trotzdem weigern sich viele Ortsgruppen der Linken, mit Wagenknecht und Lafontaine Wahlkampf zu machen.

Diese Teile der Linken wissen, dass eine Konzentration auf die Rückkehr von Wählern, die bei der AfD ihr Kreuz gemacht haben, auch eine veränderte Partei bedeutet. Sie wollen keine Linke, die am rechten Stammtisch mehrheitsfähig ist. Aber auch sie stehen vor einem Dilemma. Sie müssen dann ihre Wähler in einem Segment suchen, das mit Grünen, SPD und verschiedenen Kleinstparteien wie Klimaliste, Urbane etc. viele Alternativen hat.

Wen diese Angebote gar nicht überzeugen, kann immer noch Die Partei wählen, die immerhin verspricht „am 27.9. werden wir Corona beenden“.

Die Kampagne gegen Deutsche Wohnen enteignen und Co

Ein Ausweg aus dem Dilemma besteht für die Linke darin, ein soziales Thema zu finden, das ähnlich wie vor 15 Jahren der Kampf gegen Hartz IV bei vielen Menschen mehrheitsfähig ist. Mit dem Kampf für niedrige Mieten könnte die Linke ein solches Thema gefunden zu haben, das sogar eine Grundlage bieten würde, Menschen, die entweder gar nicht wählen oder rechts gewählt haben, wieder zu einer linken Stimmabgabe zu bewegen, ohne rechte Themen zu übernehmen.

Die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel ist ein wichtiges Element in dieser Kampagne. Er ist auch ein Ergebnis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das den Berliner Mietendeckel mit der Begründung gestoppt hat, das Land wäre nicht zuständig. Zu einem bundesweiten Mietendeckel hat es sich erst gar nicht geäußert.

Ein weiteres Element einer sozialen Mietenpolitik ist das Mittel des Rückkaufs von Wohnungen, die etwas verkürzt auch „Enteignung“ genannt wurden. In dem kürzlich im Mandelbaum-Verlag erschienen, von Philipp Metzger herausgegebenen Buch „Wohnkonzerne enteignen“ gibt es dazu gute Hintergrundinformationen.

Als Pilotprojekt für diese Strategie kann das Berliner Bündnis Deutsche Wohnen und Co. Enteignen gelten. Es hat schon jetzt den Erfolg zu verbuchen, dass das Thema hoher Mieten von fast allen Parteien aufgegriffen werden muss.

Zudem gibt Umfragen, die die Forderung nach dem Rückkauf von Wohnkonzernen sogar als mehrheitsfähig bei der Abstimmung sehen. Für manche Interessenvertreter der Wirtschaft ist das fast schon Kommunismus. Daher nutzen sie auch interne Diskussionen im Bündnis, die nach dem Vorwurf eines sexuellen Übergriffs durch einen DW-Funktionsträger entstanden sind.

Dabei wird in der Berichterstattung nicht zufällig die Interventionistische Linke (IL) besonders angegriffen, eine postautonome Gruppierung, die es am Beispiel der Enteignungsfrage von Wohnkonzernen geschafft hat, linke Themen mehrheitsfähig zu machen.

Der Verfassungsschutz hat die Gruppierung gerade deswegen auf dem Schirm, weil sie in die Gesellschaft wirkt. Jetzt beteiligen sich auch manche Linke am IL-Bashing, weil sie ihr vorwerfen, sie sei zu identitätspolitisch orientiert. Der Auslöser der jüngsten Debatte ist die Tatsache, dass die IL als postautonome Gruppe bei Vorwürfen von sexueller Übergriffigkeit vom Definitionsrecht der Frau ausgeht.

Natürlich muss kritisch diskutiert werden, welche Probleme und Grenzen damit verbunden sind. Allerdings sollte dabei zumindest auf die Gründe und Argumente von pro-feministischer Seite eingegangen werden und nicht einfach behauptet werden, diese Praxis wäre undemokratisch oder gar verfassungsfeindlich.

Zumal es bei der Definitionsmacht der Frau eben nicht um ein juristisches Urteil geht, sondern um den Umgang in linken Zusammenhängen. So kann man hier an dieser Debatte sehen, dass auch die außerparlamentarische Linke ihre Probleme hat, nicht zwischen einer angeblichen „Identitäts-Linken“ und den Verteidigern des Klassenkampfs zerrieben zu werden.

Da erweist sich allerdings, dass manche auch aus dem Klassenkampf eine Identität machen und gleich alles abräumen wollen, was in den letzten Jahrzehnten auf theoretischen und praktischen Grundlagen auf den Feldern Antirassismus und Feminismus erarbeitet wurde. Damit schafft man jedenfalls keine linken Erfolge weder auf parlamentarischer noch auf außerparlamentarischer Ebene, wie Elisabeth Voss richtig feststellte. Peter Nowak