Kommentar: Linke planen zu Silvester unter dem Motto "Back to the Future" in Berlin eine Demonstration

Kein Lockdown für die Grundrechte auch am 31. Dezember

Nun meinen manche Linke, es sehe nicht gut aus, wenn auch die linken Demo-Organisatoren gegen das Demonstrationsverbot an diesem Tag klagen würden. Doch genau umgekehrt müsste nach meiner Auffassung argumentiert werden. Die linken Demoorganisatoren müssen in der Öffentlichkeit deutlich machen, dass für sie die Verteidigung der Grundrechte gegen den autoritären Staat eine zentrale Angelegenheit ist. Damit würden sie den Eindruck widerlegen, Teile der Linken würden in Corona-Zeiten Grundrechte hintenanstellen.

Mit einer kämpferischen Demonstration wollen linke Gruppen am 31. Dezember 2020 in Berlin für ein solidarisches Jahr 2021 auf die Straße gehen. Im Aufruf wird klar gesagt, dass es in diesem Jahr nicht an Menschen gefehlt hat, die aus ihren Fenstern Beschäftigten im Einzelhandel oder im Gesundheitswesen applaudierten, sondern vielmehr an Menschen, die für

eine grundsätzliche Gesellschaftsveränderung auf die Straße gegangen sind.

Laut waren 2020 vor allem jene, die an den bestehenden Missständen nichts ändern wollen, die weder die Gesundheits- noch die soziale Krise erkennen. Selbst ernannte Querdenker*innen und andere Corona-Leugner*innen arbeiten daran, Gesellschaft und Solidarität zu zerstören, gegenseitiges Vertrauen zu untergraben und den Egoismus zur Handlungsmaxime aller werden zu lassen. Sie sprechen von Grundrechten und Demokratie, meinen aber das Recht des Stärkeren – die Allianz mit den Rechtsextremen ist die Folge.

Aus dem Demonstrationsaufruf „Back to the Future“

Arbeitswelt auch im „Corona-Winter“ kein Thema

Es wird dort auch klar formuliert, was in der Öffentlichkeit kaum erwähnt wird. Während Menschen im „Corona-Winter“ als unsolidarisch bezeichnet werden, weil sie mit Freunden einen Glühwein im Freien trinken, gehört es zur kapitalistischen Normalität, dass Menschen in engen Bussen und Bahnen zum Arbeitsplatz fahren müssen und dort auch mit vielen Menschen zusammen ihrer Lohnarbeit nachgehen müssen.

Das liegt daran, dass die Lohnarbeit im Kapitalismus schon immer außerhalb des öffentlichen Interesses lag. Auch die bürgerliche Demokratie endete meist vor den Fabrikmauern. Es sei denn, eine kämpferische Arbeiterbewegung hat die Lohnarbeit ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Dafür standen beispielsweise Arbeitskämpfe, die nicht nach den rituellen Gesetzen der Sozialpartnerschaft abliefen. Aktuell gibt es in Deutschland keine kampfstarke Arbeiterbewegung. Daher ist auch in Corona-Zeiten die Lohnarbeit kein Thema, wie der Journalist Johannes Hauer gut beschreibt:

Im Lockdown dürfen sich nur Menschen aus zwei Haushalten treffen, „dritte Orte“ wie Cafés oder Bibliotheken müssen schließen. Wo Ausgangsbeschränkungen gelten, darf nur noch in „Ausnahmen“ das Haus verlassen werden, etwa für Spaziergänge, zum Einkaufen oder für die Arbeit. Dieses kurze Wörtchen „Arbeit“ steht ganz unschuldig in den Aufzählungen, irgendwo zwischen Gassigehen und dem Wocheneinkauf. Dabei bringen der Arbeitsplatz sowie An- und Abfahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln ungezählte Kontakte zu Menschen fremder Haushalte mit sich, und das zumeist in geschlossenen Räumen. Der neuerliche Lockdown ändert hier nichts.

Johannes Hauer, ND am Wochenende

Hauer zeigt auch an zwei historischen Zitaten, dass die Arbeitswelt in der bürgerlichen Welt seit jeher der Öffentlichkeit verborgen blieb.

Das Desinteresse der bürgerlichen Öffentlichkeit an dieser Lebenswirklichkeit hat System. Marx kontrastiert im „Kapital“ die Zirkulationssphäre als „geräuschvolle, auf der Oberfläche hausende und aller Augen zugängliche Sphäre“ mit der Fabrik als „verborgenen Stätte der Produktion“ – Eintritt nur in Geschäftsangelegenheiten. 

Das Privateigentum strukturiert die Arbeitswelt als ein Archipel nicht öffentlicher Domänen, die von der Allgemeinheit abgeschirmt werden. Zäune, fensterlose Fassaden, Werkschutz und Kameraverbote sichern einen Zustand, in dem der Betrieb „Arkanbereich“ ist, wie Oskar Negt und Alexander Kluge 1978 in ihrer Studie „Öffentlichkeit und Erfahrung“ gezeigt haben.

Johannes Hauer, ND am Wochenende

So ist es nur konsequent, dass auch in der Coronakrise die Freizeit und nicht die Arbeitswelt in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung geriet. Daher ist es sehr positiv, dass im Aufruf zur Demonstration „Back to the Future“ die Arbeitswelt, wenn auch nur recht oberflächlich, angesprochen wird.

Dass Arme viel eher an Corona sterben ist nicht hinnehmbar. Dass Pfleger*innen beklatscht statt bezahlt werden und auch noch die Folgen des Corona-leugnenden Wahnsinns ausbaden müssen, der blanke Hohn. Dass vor allem Frauen unbezahlte Sorgearbeit leisten müssen und der ärmere Teil der Welt von sozialem und Gesundheitsschutz außerhalb der Grenzen der westlichen Welt abgeschottet bleibt, ist ein Skandal. Dass kleine Läden und Betriebe pleite gehen, während große Konzerne gerettet werden, ist Ausdruck dafür, wie der Staat Einzelne allein lässt.

Aus dem Aufruf: Back to the Future

Arbeiten ja – demonstrieren nein?

Unterstützt wird die Demonstration von Sozial- und Mieterinitiativen, aber auch vom Bündnis „Gesundheit ohne Profite“, in dem auch Beschäftigte im Gesundheitssystem mitarbeiten. Sie müssen schließlich auch rund um die Uhr unter oft besonders prekären Bedingungen arbeiten. Warum soll dann keine Demonstration auch in Corona-Zeiten möglich sein? Doch es gab ein Problem. Im Rahmen der Corona-Eindämmungsmaßnahmen wurde für den 31. Dezember ein generelles Demonstrationsverbot verfügt.

Dagegen wollen die Organisatoren der Demonstration „Back to the Future“ klagen. „Das pauschale Verbot aller Versammlungen an Silvester und Neujahr ist ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das auch nicht mit Infektionsschutz begründet werden kann“, begründete Bündnissprecher Kim Huber diesen auch im Bündnis umstrittenen Schritt. Auch rechtsoffene Querdenker haben für den 31. Dezember eine Demonstration in Berlin angekündigt wie auch eine Klage gegen das Demoverbot an diesem Tag.

Nun meinen manche Linke, es sehe nicht gut aus, wenn auch die linken Demo-Organisatoren gegen das Demonstrationsverbot an diesem Tag klagen würden. Doch genau umgekehrt müsste nach meiner Auffassung argumentiert werden.

Die linken Demoorganisatoren müssen in der Öffentlichkeit deutlich machen, dass für sie die Verteidigung der Grundrechte gegen den autoritären Staat eine zentrale Angelegenheit ist. Damit würden sie den Eindruck widerlegen, Teile der Linken würden in Corona-Zeiten Grundrechte hintenanstellen. Dann spielen sich plötzlich rechte und irrationale Gruppierungen als vermeintlicher Verteidiger der Grundrechte auf. Dabei erstritten anarchistische Gruppen wie die Projektwerkstatt Saasen im April 2020 ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Allerdings wurde das medial oft so wenig wahrgenommen, wie andere linke Aktivitäten in der Corona-Zeit. Damit wird der Eindruck erweckt, Rechte und Rechtsoffene wären die einzigen, die sich für Grundrechte einsetzen. Daher wäre es schon ein wichtiger politischer Schritt, wenn die Organisatoren der Demonstration den angekündigten Lockdown der Grundrechte am 31. Dezember politisch und juristisch bekämpfen würden. Das wäre ganz im Sinne des Demo-Mottos „Back to the Future“. (Peter Nowak)