Wie der Notstand Einzug in die Politik hält. Kommentar

„Wir müssen unseren Alltag ändern und zwar jetzt“

Die Ansage aus dem Bundespräsidentenamt ist eigentlich ein völliger Bruch mit der gegenwärtigen Doktrin des mündigen, selbstverantwortlichen Bürgers. Nicht dass es nicht genügend Beispiele der ideologischen Staatsapparate gab und gibt, die in die Lebensführung der Menschen eingreifen. Doch das ist meist über "Anstupsen" geschehen.

„Es ist jetzt keine Zeit zu klagen. Wir sollten uns unterordnen und den Anordnungen der Behörden folgen.“ So deutlich hat die konservative polnische Zeitung Gazetta Wyborcza ausgedrückt, wie aktuell in Zeiten des Corona-Virus die Bevölkerung zum Untertanen zurückgestuft werden soll, der nicht protestiert und den Institutionen folgt. Solche Begrifflichkeiten aus dem Wörterbuch der autoritären Regierungsführung sind jetzt ….

…. in Medien unterschiedlicher politischer Richtungen zu hören. Nicht nur konservative Zeitungen, auch die linksliberale Taz, die eigentlich immer den mündigen Bürger propagiert, betonen immer wieder, dass die Einschränkungen, die die Staatsapparate der Bevölkerung auferlegen, die fast im Stundentakt eingehenden Absagen von Konzerten, Veranstaltungen etc., völlig richtig und strikt zu befolgen sind.

Dabei verheimlichen die führenden Politiker gar nicht mehr, um was es hier eigentlich geht. „Wir müssen unseren Alltag ändern und zwar jetzt“, erklärte Bundespräsident Steinmeier, der bisher mit seinen amtsgemäß bräsigen Verlautbarungen bekannt geworden ist.

Kampfansage an die Rechte von Millionen Menschen

Die Ansage aus dem Bundespräsidentenamt ist eigentlich ein völliger Bruch mit der gegenwärtigen Doktrin des mündigen, selbstverantwortlichen Bürgers. Nicht dass es nicht genügend Beispiele der ideologischen Staatsapparate gab und gibt, die in die Lebensführung der Menschen eingreifen. Doch das ist meist über „Anstupsen“ geschehen.

Die Menschen sollten zu bestimmten Lebensführungen geführt werden und dabei das Gefühl haben, ganz selbstbestimmt zu handeln. Mit einer Kampfansage an Rechte von Millionen von Menschen hat Steinmeier nun deutlich gemacht, dass die Staatsapparate bereit sind, durchzugreifen und die Rechte von Millionen Menschen einzuschränken, weil sich viele Menschen nicht zu einer staatskonformen Lebensführung stupsen lassen.

Nun wird häufig argumentiert, dass es um Solidarität mit den Schwächsten in der Gesellschaft geht, die von der Krankheit besonders betroffen sind. Doch es gab und gibt viele Krankheiten, solche, für die es sogar Medikamente gibt, die vor allem die Ärmeren und Schwächeren treffen. Sie schaffen aber längst nicht diese Aufmerksamkeit wie das Corona-Virus und vor allem wurde da nicht propagiert, dass jetzt alle sofort ihr Leben ändern müssen.

Oder hat man nach den vielen tödlichen Autounfällen gehört, dass dann eben Autos nicht mehr in den Städten fahren dürfen? Warum nun dieses andere Herangehen an die Corona-Krise? Dabei ist zu beachten, dass es das Reden über die Krankheit ist, die das gesamte Krisenszenario erst hervorgerufen hat.

Corona-Angst und Klimakrise

In diesem Zusammenhang ist es eben unerlässlich auf das gesellschaftliche Umfeld zu verweisen, in dem dieser Paradigmenwechsel im Umgang mit der Krankheit erst erklärbar wird. Es ist die Zeit einer Umwelt- und Klimakrise, die eine globale Dimension angenommen hat. Da wird vor allem von Klimaaktivisten immer wieder betont, dass die Menschen vor allem im globalen Norden ihr Leben möglichst sofort ändern sollen.

Es wurde immer wieder beklagt, dass die Veränderungen viel zu lange dauern und daher die Klimaveränderungen nicht aufhalten würden und diese so dafür sorgen könnten, dass die Erde nicht mehr bewohnbar ist. Nun wird im Rahmen der Corona-Krise schon mal aufgezeigt, wie die Staatsapparate dafür sorgen können, dass die Menschen ihren Alltag sofort verändern.

Wenn die aktuellen Einschränkungen in Tagen oder Wochen zurückgefahren werden, bleibt für die Staatsapparate die Erfahrung, dass es machbar war und so auch wieder machbar ist. Ein großer Teil der Klimaaktivisten, die schließlich seit Monaten stolz immer neue Klimanotstände in verschiedenen Städten vermelden, werden nun die Einschränkungen im Rahmen der Corona-Krise als Modell nehmen.

Den Alltag nicht allmählich, sondern jetzt zu ändern und auf alles zu verzichten, was nicht unbedingt erforderlich ist, genau das propagiert die Umweltbewegung seit Monaten. Greta Thuenberg hat denn auch die Aktivisten aufgerufen, sich hinter die Wissenschaft und die Staatsorgane zu stellen und die Demonstrations- und Veranstaltungsabsagen strikt einzuhalten.

Zudem wurde in den letzten Tagen gerade in umweltnahen Medien mit Begeisterung berichtet, dass durch die Maßnahmen im Zeichen der Corona-Krise in China und anderen Ländern die Umwelt messbar sauberer geworden ist. Also auch von einem Großteil der Umweltbewegung wird kein Widerstand zu erwarten sein.

Sie trifft sich hier mit den Staatsapparaten, die unterschiedliche Ziele verfolgen, die in den letzten Wochen in verschiedenen Zeitungskommentaren ganz offen benannt wurden.

Nun sollen auch Public Viewings verhindert werden

Es geht den Staatsapparaten im Zeichen der Corona-Krise nicht nur um die Umwelt. Ganz deutlich hat das die Trump-Administration mit ihren Einreiseverboten für Menschen aus dem Schengen-Europa in die USA gemacht.

Großbritannien wurde davon ausgenommen, nicht weil es dort keine Corona-Fälle gibt, sondern weil das Land nach dem Brexit eine andere Rolle in der globalen Auseinandersetzung zwischen EU und den USA spielt. Die Trump-Administration hat hier eine Maßnahme getroffen, die sie schon lange geplant, aber ohne den Corona-Schock nicht durchbekommen hätte.

Da hätten sich Wirtschaftsverbände politisch, aber auch juristisch dagegen gewehrt. Doch nicht nur die Trump-Administration versucht im Zeichen der Corona-Krise politische Ziele umzusetzen. Nur wird über die anderen hierzulande weniger gesprochen.

Es geht um die Entglobalisierung der Weltwirtschaft, darum, dass die einzelnen kapitalistischen Zentren wieder ökonomisch autarker werden, es geht um die Einschränkung der Rechte von Millionen Menschen ohne Umwege, es geht darum, die Menschen noch weiter zu isolieren und zu vereinzeln, indem ihnen alle Möglichkeiten verschlossen werden, sich zu versammeln. Am Beispiel des Fußballs kann man das gut beobachten.

So sollen die Spiele nun ohne Publikum stattfinden und dann per Livestream übertragen werden. So braucht man sich dann auch nicht mehr mit renitenten Fans rumärgern. Wen soll man ausschließen, wenn gar kein Publikum mehr vorhanden ist. Da aber immer noch Fußballfans die gestreamten Spiele gemeinsam in Kneipen oder auch vor Stadien verfolgt haben, sollen jetzt auch diese Zusammenkünfte verunmöglicht werden.

Da wird schon deutlich, wohin die Forderung nach einer sofortigen Änderung des Alltags gehört. Die Menschen sollen zu Monaden werden, die nicht mehr aus den Haus gehen und nur noch über Streamingdienste mit der Außenwelt verbunden sein. So wird die Vereinzelung im Kapitalismus noch mal auf die Spitze getrieben. Schon werden auch immer mehr politische und kulturpolitische Veranstaltungen abgesagt.

Dazu zählt auch der Karneval der Kulturen am Pfingstwochenende in Berlin und das Maifest, das seit Jahrzehnten am 1. Mai von politischen Gruppen organisiert wird.

Damit wird auch deutlich, dass die Staatsapparate hier schon Wochen voraus den Notstand einplanen. Ein Absageschreiben zu einem Treffen von ehrenamtlich arbeitenden Mieteraktivisten in Berlin-Kreuzberg endete mit der Ansage, dass es um mehrere Wochen verschoben wird. Am Schluss werden die Betroffenen auf weitere Anweisungen des Senats verwiesen.

Hier wird schon bis in die Diktion der autoritäre Gestus der Staatsapparate deutlich. Da muss man sich nur fragen, warum Menschen, die oft links und antiautoritär sozialisiert sind, diese autoritäre Politik der Anweisungen so klaglos hinnehmen und nicht Widerstand leisten.

Politik der Angst und des Schreckens

Schließlich ist vielen von ihnen der von Foucault geprägt Begriff der Biopolitik nicht unbekannt. Warum wenden sie ihr theoretisches Wissen darum nicht auf die aktuelle Situation an? Es ist doch schließlich Biopolitik in Reinform, wie über eine Krankheit geredet wird, und wie damit bestimmte Politiken vorangetrieben wird.

Eine Antwort auf den ausbleibenden Widerstand liegt in der Politik der Angst und des Schreckens, von der auch von sich fortschrittlich dünkenden Menschen und Institutionen betroffen sind. So werden Menschen bei Versammlungen aus dem Raum geschickt, weil sie genießt haben, obwohl sie genau wissen, dass sie eine harmlose Erkältung haben.

So werden Konzertveranstalter mit einem Shitstorm konfrontiert, wenn sie Konzerte und Veranstaltungen nicht absagen und sich sogar noch um kreative Lösungen bemühen, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Es ist diese Politik der Angst, die durch die Schocktherapie der ständigen Absagen befördert wird, die dazu führt, dass kaum Widerstand gegen die autoritäre Durchsetzung von Staatspolitik wahrnehmbar ist.

Warnung vor Panik wird oft überhört

Dabei werden die beruhigenden Stimmen, die besonders von vielen Medizinern zu hören sind, oft überhört. So erklärte der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, der Arzt und Linksparteipolitiker Wolfgang Albers im Taz-Interview:

In Berlin haben wir momentan noch viel mehr Probleme mit Menschen, die befürchten, krank zu sein, als mit denen, die wirklich krank sind.

Wolfgang Albers, taz

Dem medizinischen Fachmann kommen Erinnerungen zur Panik um die Schweinegrippe, die sich später als unbegründet herausstellte:

Mich erinnert die öffentliche und mediale Debatte sehr an die Schweinepest 2009. Ein Riesentheater, fast noch größer als jetzt. Ich war damals schon gesundheits-politischer Sprecher der Linksfraktion; der rot-roten Koalition wurde vorgeworfen, wir würden in Berlin nicht genug tun und massenhaft Todesfälle durch die Grippe riskieren. Es gab auf der ganzen Welt, nicht nur in Berlin, Hysterie. Eine Posse, das alles.

Wolfgang Albers, Taz

Dabei wäre es an der Zeit, diese Stimmen der Beruhigung in Zeiten der Panik, die nur den Rechten in aller Welt nutzen, zu stärken.

Auch der Verlagsleiter der linken Tageszeitung Neues Deutschland, Mario Pschera, gehört zu den Stimmen der Vernunft in der Corona-Krise. Noch am vergangenen Mittwoch verteidigte er die von ihm und einer Handvoll Mitarbeitern verfolgten Idee, am Wochenende eine kleine Buchmesse auf dem Gelände des ND-Gebäudes zu veranstalten in einem Interview:

Man kann auf das Auftreten von Krankheitserregern auf zweierlei Art reagieren: Panik schieben und auf Vorrat Klopapier kaufen. Man kann aber natürlich auch elementare hygienische Standards einhalten, das „nd“ lesen und etwas entspannter sein. Wenn wir uns auf dieses Panikspiel einlassen würden, dann dürfte kein Mensch mehr U-Bahn fahren. Von daher bauen wir auf die Zivilisiertheit unserer Besucher.

Mario Pschera, Neues Deutschland

Wenige Stunden später kam die Meldung, das auch die „Plan B“ genannte kleine Buchmesse in Berlin abgesagt wurde. Es wird auf einen Plan C verwiesen. Der Zeitpunkt ist noch unbekannt.

Doch ob die kleinen Buchverlage, die nach dem Schock der Absage in Leipzig froh waren, zeitgleich in Berlin ihre Bücher zu präsentieren, sich noch einmal auf einen ganz anderen Termin verständigen können, muss sich noch zeigen. Es wäre vielmehr zu fragen, warum dieser Umschwung innerhalb weniger Stunden?

Welcher Druck wurde aufgewandt, um diesen Ausdruck der Zivilisation in Zeiten des Corona-Schocks zunichte zu machen? Es ist ein Aufruf, solche Stimmen und Initiativen zu unterstützen und sich nicht im Zuge der Biopolitik von einer autoritär werdenden Staatsmacht zu Anweisungsempfängern, sprich zu Untertanen, machen zu lassen.

Dieser Widerstand wird umso nötiger, da hier schon die Verbote und Absagen Wochen im Voraus eingetaktet sind. Zudem können wir sicher sein, hier wird im Zuge der Corina-Krise der Notstand ausprobiert, den manche sehnlich herbeisehnen. Peter Nowak