Vor 29 Jahren wurden 13 besetzte Häuser in der Mainzer Straße geräumt

Als in Friedrichshain die Barrikaden brannten

Die Räumung der Häuser in der Mainzer Straße hatte auch Auswirkungen über die Besetzer*innenszene hinaus. In zahlreichen Interviews während der zwei Barrikadentage äußerten auch viele Anwohner*innen, dass sie das massive Polizeiaufgebot als Bedrohung empfunden hatten. Im November 1990 stand die Privatisierung der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die Demontage der DDR-Industrie durch die Treuhandgesellschaft noch bevor. Die Räumung konnte auch als Warnung an Mieter*innen und Beschäftigte verstanden werden, dass Widerstand gegen diese Politik zwecklos sei.

Barrikaden in Friedrichshain? Manche Geschichtsbewusste werden an die Kämpfe im März 1919 denken, als Arbeiter*innen für eine Räterepublik auf der Straße waren. Dabei ist es gerade einmal 29 Jahre her, als Hausbesetzer*innen aus der Mainzer Straße mit dem Bau von Barrikaden die Räumung verhindern wollten. Sie wurden am 12. November 1990 errichtet, nachdem die Polizei….

…. nach Protesten gegen Räumungen in Lichtenberg im naheliegenden Friedrichshain Wasserwerfer eingesetzt hatte.
Schwerbewaffnete Polizeieinheiten aus der ganzen Bundesrepublik räumten am 14. November insgesamt 13 besetzte Häuser in der Mainzer Straße. Es gab über 400 Festnahmen. Mindestens 13 Menschen wurden bei der Straßenschlacht verletzt. Für einen Großteil der Medien und Politiker*innen war klar, dass die Polizei mit der gebotenen Härte gegen Chaot*innen vorgegangen sei und die staatliche Ordnung wiederhergestellt habe.
Dabei wird gerne verschwiegen, dass sich ein Großteil der Besetzer*innen vor der Räumung verzweifelt um eine Deeskalation der Lage bemüht hatte. Doch diese Mühen blieben vergeblich.

Für die Ostberliner Besetzer*innenbewegung war der 14. November 1990 ein Tag der Niederlage. Bereits wenige Tage danach akzeptierten Besetzer*innen der umliegenden Häuser Einzelverträge. Vorher hatte der Besetzer*innenrat immer eine Gesamtlösung für sämtliche besetzten Häuser gefordert. »Die Räumung der Mainzer Straße war nicht nur Anlass für den Bruch der damals regierenden SPD-Grüne-Koalition in Berlin, sie läutete auch den Niedergang der Squatter-Bewegung Ostberlins ein. Die Strukturen zerfallen in rasantem Tempo. In den meisten Häusern wird nur noch um das eigene Projekt verhandelt«, heißt es in dem 2003 im Verlag Assoziation A erschienenen Buch »Autonome in Bewegung«. Doch die Räumung der Häuser in der Mainzer Straße hatte auch Auswirkungen über die Besetzer*innenszene hinaus. In zahlreichen Interviews während der zwei Barrikadentage äußerten auch viele Anwohner*innen, dass sie das massive Polizeiaufgebot als Bedrohung empfunden hatten.Im November 1990 stand die Privatisierung der Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und die Demontage der DDR-Industrie durch die Treuhandgesellschaft noch bevor. Die Räumung konnte auch als Warnung an Mieter*innen und Beschäftigte verstanden werden, dass Widerstand gegen diese Politik zwecklos sei. In seinem kürzlich im Selbstverlag erschienenen Buch »STINO – Von West nach Ost durch Berlin 1990« beschreibt der Autor unter dem Alias-Namen Antonio Pareto die damalige Stimmung in der Berliner Bevölkerung. Vor der Räumung sei die Sympathie mit den Besetzungen groß gewesen, danach hätte man auf der Straße vor allem Tiraden gegen die Chaot*innen gehört.
»Die Gewalt der Räumung schüchterte extrem ein. Menschen die die Besetzungen zuvor unterstützten, trauten sich nicht mehr, sich zu ihrer Meinung zu bekennen. Menschen die für Räumungen waren, hatten weniger Hemmungen; sie hatten jetzt vor der Staatsgewalt ja nichts zu fürchten«, erklärt der Autor im Gespräch mit »nd« diesen Meinungsumschwung. Auch Neonazis aus der Umgebung konnten nach der Räumungsaktion triumphieren. Sie hatten bereits vor den Ereignissen des 14. November 1990 immer wieder besetzte Häuser im Viertel angegriffen.

Peter Nowak

Das Buch „Stino. Von West nach Ost – durch Berlin 1990“ (260 S., 18 Euro) ist im Selbstverlag erschienen und kann über www.berlin1990.de bestellt werden. Am 6. Dezember, 19 Uhr, stellt der Autor das Buch in der Liebigstraße 34 vor. Infos zum Buch gibt es unter www.berlin1990.de