Anlässlich ihres fünfjährigen Bestehens veröffentlicht die Berliner Dokumentationsstelle Antiziganismus eine umfangreiche Broschüre. Diese zeigt vor, wie Jobcenter Sinti und Roma diskriminieren.

Kein Grund zum Feiern

In der Dokumentation wird an Hand von Falleispielen gezeigt, wie sich das EuGH-Urteil und die Debatten in Deutschland in einer antiziganistische Behördenpraxis niedergeschlagen hat.

Die krisengeschüttelte NPD konnte Mitte September erzielte Mitte September einen juristischen Erfolg verbuchen. Das Verwaltungsgericht München urteilte, dass ein Wahlkampfplakat der NPD mit dem Spruch „Geld für Oma statt für Sinti und Roma“ nicht als Volksverhetzung gewertet werden kann. Obwohl die Darstellung einen diskriminierenden Charakter habe, überschreite sie nicht die Grenze zur Strafbarkeit, erklärten die Münchner Richter und wiesen damit eine Klage des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma gegen die Stadt Ingolstadt zurück. Der Zentralrat hatte die Stadtverwaltung aufgefordert, die zur Bundestagswahl 2017 aufgehängten Plakate abzuhängen. Die Kommune lehnte das mit Verweis auf die fehlende Rechtsgrundlage ab. Der antiziganistische Spruch wird inhaltlich auch von Kreisen geteilt, die niemals mit der NPD in Verbindung gebracht werden wollen. Es sind auch….

….. staatliche Behörden und Verwaltungen, die den Geist des Spruches umsetzen. Dafür lieferte die Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) in einer Broschüre viele Beispiele, die sie zum fünften Jubiläum ihres Bestehens herausgegeben hat. Dosta ist es mit ihrer Arbeit gelungen, in linken Kreisen auf den auch dort lange vernachlässigten Antiziganismus aufmerksam zu machen. Für Merdjan Jakupov, den Vorsitzenden der Jugendorganisation Amaro Foro e.V., die für die Dokumentation verantwortlich ist, bedeutet das fünfjährige Jubiläum angesichts der Zahlen keinen Grund zu Feiern. Schließlich wurden in den Zeitraum insgesamt 699 Vorfälle mit antiziganistischem Bezug dokumentiert. Zwischen 2014 und 2018 steigerte sich die Zahl um 50 Prozent. 2018 wurden  161 antiziganistische Vorfälle gemeldet. Die Dokumentation macht deutlich, dass Antiziganismus eben kein Problem am rechten Rand ist. Er findet sich vielmehr im Handeln von Schulen, Jobcentern, aber auch bei der Polizei und Justiz. In der Dokumentation wird am Beispiel der Verweigerung von SGBII-Leistungen bei EU-Migranten aufgezeigt, wie durch Politik und Justiz Antiziganismus gefördert wird, der dann in konkrete Entscheidungen umgesetzt wird. Bis 2014 war rechtlich stark umstritten, ob eine solche Verweigerung möglich ist. In diesem Jahr änderte sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Hatte er bis dahin stets das Gleichbehandlungsgebot für alle EU-Bürger betont, erklärte er 2014 mit dem Urteil im Fall Dano den Ausschluss von Migranten für rechtens, die weder erwerbstätig noch auf Arbeitsuche waren. „In der Broschüre wird daran erinnert, dass die Rücknahme sozialer Rechte für EU-Migranten von antiziganistische Debatten in Deutschland begleitet wurde. Verwiesen wurde auf die Debatte um die sogenannte „Armutszuwanderung“ in den 2013 und 2014. Erinnert wurde auch an die CSU-Kampagne „Wer betrügt, fliegt“, in der Arbeitsmigration aus Bulgarien und Rumänien diskursiv mit »Sozialleistungsmissbrauch« verknüpft wurde. In der Dokumentation wird an Hand von Falleispielen gezeigt, wie sich das EuGH-Urteil und die Debatten in Deutschland in einer antiziganistische Behördenpraxis niedergeschlagen hat. So sei eine serbische Familie, die einen Antrag auf Leistungen nach SGB II stellen wollte, von der Sachbearbeiterin am Schalter mit den Worten abgewiesen worden: „Ich will deine Unterlagen nicht sehen. Ich will mit Zigeunern nichts zu tun haben.“ Danach sei die weinende Frau vom Sicherheitspersonal des Jobcenters aus dem Gebäude verwiesen worden. Dokumentiert sind auch Beispiele für eine subtilere antiziganistische Behördenpraxis durch die Ausgabe von falschen oder irrelevanten Unterlagen. So sei einer Frau aus Rumänien, die Leistungen nach dem SGB II beantragen wollte, ein Anhörungsschreiben zur beabsichtigten Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechtes in der Bundesrepublik Deutschland überreicht worden, obwohl die Frau erwerbstätig und damit freizügigkeitsberechtigt war. In einem anderen Fall sei vom Jobcenter für die Bearbeitung eines Antrags auf Betreuungsgeld ein Nachweis über die Mitgliedschaft in einer Krankenkasse verlangt worden, obwohl dieses Dokument für die Bearbeitung des Antrags hat nicht benötigt wurde. Solche Maßnahmen sind nach Ansicht von Dosto keine Fehler oder Versehen einzelner Mitarbeiter. Sie werden vielmehr als bewusste Versuche interpretiert, Roma und Sinti Leistungen vorzuenthalten, die ihnen rechtlich zustehen. Auch Polizei und Ermittlungsbehörden würden „immer wieder antiziganistische Wissensbestände kommunizieren“, heißt es in der Broschüre mit Verweis auf eine Studie des Antiziganismusforschers Markus End. Als Beispiel wird eine Passage aus der Berliner Kriminalstatistik des Jahres 2017 herangezogen, in der es heißt: „Zu dem Phänomen Trickdiebstahl in Wohnung‹ konnten insgesamt 86 Tatverdächtige ermittelt werden, davon 33 weibliche. (…) Bei den hierzu durch die Fachdienststelle ermittelten Tatverdächtigen handelt es sich überwiegend um Angehörige der Volksgruppe der Sinti und Roma. Diese Familienclans leben mittlerweile seit Jahren in Deutschland und besitzen größtenteils die deutsche Staatsangehörigkeit.“ Grobe fachlicher Unkenntnis bezüglich der Minderheit attestiert Merdjan Jakupov den Verfassern dieser Passage. Zudem würden die beschriebenen Menschen, obwohl sie die deutsche Staatsangehörige besitzen, als Fremde markiert. Peter Nowak

Erstveröffentlichungsort:
https://jungle.world/inhalt/2019/41 In der Dokumentation wird an Hand von Falleispielen gezeigt, wie sich das EuGH-Urteil und die Debatten in Deutschland in einer antiziganistische Behördenpraxis niedergeschlagen hat.