Mit dem Politologen Wolf Dieter Narr ist Mitte Oktober ein wichtiger Protagonist des Sozialistischen Büros gestorben. Die Geschichte dieser 1969 gegründeten und bis in die 90er Jahre aktiven, netzförmig strukturierten Organisation ist heute – zu Unrecht – weitgehend vergessen. Dabei spielte sie eine wichtige Rolle, nachdem sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund 1969 aufgelöst hatte. Aktivist*innen der Außerparlamentarischen Opposition (Apo), die nicht den Weg in die spätstalinistischen K-Gruppen antreten wollten, trafen dort auf ältere ….
….. Linkssozialist*innen und Antimilitarist*innen. Es ist ein Verdienst des Politikwissenschaftlers Carsten Prien, dass das 50. Gründungsjubiläum des Sozialistischen Büros nun nicht gänzlich unerwähnt geblieben ist. Unter dem Titel »Rätepartei« hat er eine kurze Geschichte des Büros herausgegeben. In seiner selbsterklärten Funktion als theoretischer Nachlassverwalter des charismatischen Apo-Aktivisten Rudi Dutschke kritisiert Prien darin das Sozialistische Büro aus dessen Sicht.
Erst 1976 eingetreten, wollte Dutschke die Mitglieder des Büros für sein Projekt einer Parteigründung gewinnen, das Apo-Aktivist*innen und Umweltbewegte miteinander verbinden sollte. Zur selben Zeit begann, bekämpft von allen im Bundestag vertretenen Parteien, der Aufstieg der außerparlamentarischen Antiatomkraftbewegung.
Im Buch wurden Zeichnungen rekonstruiert, die Dutschke mit Freund*innen bei seinen intensiven Diskussionen über das Modell einer Rätepartei angefertigt hatte. Diese zeigen auch, wie abstrakt und theoretisch das Projekt war; einen geschäftsführenden Arbeitsausschuss sollte es ebenso geben wie einen Delegiertenrat, regionale Zentren und Arbeitsfelder. Doch Dutschkes Pläne stießen im Sozialistischen Büro auf Kritik. Vor allem ältere Genoss*innen sahen die Stärke ihrer Organisation darin, für Menschen mit und ohne Parteizugehörigkeit offen zu sein. Von Prien wird dieser Konflikt sehr parteiisch dargestellt – bei ihm ist Dutschke immer im Recht, seine Kritiker*innen werden teils unsachlich abgewatscht. Auch im Dutschkismus scheint Kritik am Ideengeber nicht erwünscht.
So wird der Psychologieprofessor Peter Brückner »zum Vertreter einer organisationsfeindlichen, hedonistischen Linken« gestempelt, weil er für die Selbstorganisation und gegen die Gründung einer neuen Partei argumentierte. Völlig ausgeblendet wird da- bei Brückners wichtige Rolle im sogenannten Deutschen Herbst nach 1977, als er die ge- forderte Distanzierung von Gruppen der ra- dikalen Linken verweigerte und deswegen so- gar seine Professur verlieren sollte.
Plausibel ist hingegen die vorgebrachte Kritik an dem im Sozialistischen Büro einflussreichen Philosophen Oskar Negt. Dem späteren kulturpolitischen Berater von Bundeskanzler Gerhard Schröder wird zu Recht vorgeworfen, schon in den 70er Jahren wie ein Sozialdemokrat ohne Parteibuch agiert zu haben. Dokumentiert wird das durch beigefügte Briefwechsel zwischen Dutschke und Negt.
Doch auch die von Prien nicht geteilten Argumente der Gegner*innen einer Parteigründung sind bis heute nachvollziehbar. Die linkskommunistische Gruppe »Kritik und Klassenkampf« hat kürzlich in ihrem Beitrag »Der kommende Aufprall« die netzförmige Struktur des Büros ausdrücklich als Modell für heutige Organisierungsansätze am Arbeitsplatz und im Stadtteil herangezogen. Mit der Zeitung »express« existiert noch immer eine vom Sozialistischen Büro initiierte »Zeitung für Betriebs- und sozialistische Gewerkschaftsarbeit«, in der zunehmend auch jüngere Linke mitarbeiten.
Peter Nowak
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1127366.sozialistische-buero-raete-netz-partei.html