Nicht freiwillig

Die Räumung des Szeneladens M99 in Kreuzberg ist verschoben

Der »M99 – Laden für Revolutionsbedarf« sollte diese Woche geräumt werden. Nach einer Vereinbarung mit dem Vermieter wurde der Räumungstitel nicht vollzogen. Es gibt eine Gnadenfrist bis Mitte September.

Für Dienstag war in Berlin-Kreuzberg die Zwangsräumung der Ladenwohnung des auf den Rollstuhl angewiesenen Hans-Georg »HG« Lindenau angekündigt, doch die Räumung fand nicht statt. Wochenlang hatten das Bündnis »Zwangsräumung verhindern« und die Stadtteiliniaitive »Bizim Kiez« zu einer Blockade mobilisiert, um die Räumung des weit über Berlin hinaus bekannten Ladens »für Revolutionsbedarf« zu verhindern. Das M99 ist nicht nur Einkommensquelle, sondern auch Unterkunft seines Betreibers. Mittlerweile ist es selbst in Reiseführern aufgeführt. Der Laden und sein Betreiber stehen wie kaum etwas anderes für das rebellische Kreuzberg der achtziger Jahre. Unterstützung bekam Lindenau aber auch von jüngeren Nachbarn. In Kreuzberg ist die Furcht vor der Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen groß. »Wenn selbst ein so bekannter Laden wie das M99 nicht bleiben kann, droht uns allen die Verdrängung«, sagt eine Nachbarin der Jungle World. Umgekehrt zeige erfolgreicher Widerstand gegen eine geplante Räumung, dass diese Entwicklung verhindert werden kann.

Will bleiben: Hans-Georg »HG« Lindenau in seinem Laden, der ihm auch als Wohnung dient

Will bleiben: Hans-Georg »HG« Lindenau in seinem Laden, der ihm auch als Wohnung dient (Foto: Pa / dpa / Wolfram Kastl)

Nun wurde die für Dienstag anberaumte Räumung kurzfristig ausgesetzt, doch von einem Erfolg kann noch nicht die Rede sein. Nach dem Willen des Hauseigentümers, der den Räumungstitel aufrechterhält, soll Lindenau bis zum 20. September freiwillig ausziehen. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben«, heißt es denn auch in einer Erklärung, die die Stadtteilinitiative »Bizim Kiez« in Zusammenarbeit mit Lindenau verfasst hat. In dem Text wird betont, wie schwer der Druck gewesen sei, der auf Lindenau durch die drohende Räumung lastete. »Er hat seinen Anwalt den Deal in kürzester Zeit aushandeln lassen, mit dem Motiv, die Zwangsräumung über den 9. August hinaus zu verschieben«, heißt es in der Erklärung. Jede weitere Verzögerung der Räumung eröffne neue Möglichkeiten, sie zu verhindern. »So sehen auch wir das, weil wir sechs Wochen mehr Zeit haben, um weiter zu mobilisieren« – für Aktionen und für weitere Verhandlungen.

Doch bei einem Teil von Lindenaus Unterstützern sorgten die Umstände der Einigung in letzter Minute für Irritationen und Kritik. Schon wenige Stunden nach der Bekanntgabe wurde ihm auf dem Internetportal Indymedia vorgeworfen, einen schlechten Deal mit dem Eigentümer gemacht zu haben. Manche erklärten, sie seien von Lindenau enttäuscht, und drohten, die Solidaritätsarbeit einzustellen.

Für Davis Schuster ist das unverständlich. »Wir finden, dass Betroffene immer selbst über ihre Räumungsangelegenheiten entscheiden sollten«, sagte das Mitglied des Berliner Bündnisses »Zwangsräumung verhindern« der Jungle World. Schuster betonte, dass weiter die Räumung drohe und Lindenau daher auch in Zukunft Solidarität brauche. Die Aussetzung der Räumung sei auch eine Folge des Drucks von stadtpolitischen Initiativen. Tatsächlich ist es in letzter Zeit nicht nur im Fall von M99 gelungen, in großen Mieterauseinandersetzungen wenigstens Teilerfolge zu erzielen. So war die Wiener Immobiliengesellschaft Citec bereit, mit den Mietern des Haues Friedelstraße 54 in Berlin-Neukölln über einen Verkauf des Gebäudes zu verhandeln, nachdem die Mieter ihren Protest sogar in die österreichische Hauptstadt getragen und das Kaufangebot persönlich überbracht hatten. Doch nach mehrwöchigen Verhandlungen wurden die Hausbewohner per E-Mail darüber informiert, dass nicht sie, sondern eine andere Immobilienfirma den Zuschlag bekommen hätten. Beim ehemals besetzten Haus Rigaer Straße 94 brachte eine Gerichtsentscheidung, die die mit einem großen Polizeiaufgebot durchgesetzte Teilräumung für rechtswidrig erklärte, zumindest kurzfristig Entspannung. Da aber neben den Mieterprotesten weitere starke soziale Bewegungen fehlen, sind bisher immer nur temporäre Erfolge erreicht worden.

Lindenau sieht für seinen Laden M99 zwei mögliche Szenarien, wie er der Jungle World sagte. »Entweder jemand ermöglicht mir, dass ich in einem anderen Laden den Verkauf fortsetzen kann. Dann würde ich das M99 verlassen.« Doch das sei unwahrscheinlich. Wenn er keinen gleichwertigen Ersatz in Kreuzberg finde, werde er den Laden »am 20. September nicht freiwillig verlassen«. Dann könnte der Räumungscountdown von Neuem beginnen.

http://jungle-world.com/artikel/2016/32/54634.html

Peter Nowak


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