Verschiebung des NSU-Prozesses ist Katastrophe für die Opfer

Das nach den Verfassungsgerichtsurteil neue Akkreditierungsverfahrens könne, so das Gericht, bis zum geplanten Hauptverhandlungsbeginn zeitlich und organisatorisch nicht mehr durchgeführt werden

Am Mittwoch sollte das Verfahren gegen die Beate Zschöpe und Andere vor dem Münchner Oberlandesgericht beginnen. Doch zwei Tage vor dem international mit Spannung erwarteten Prozessbeginn wurde das Verfahren auf den 6. Mai verschoben.

Begründet wird die Verschiebung mit der nötig gewordenen Neuvergabe der Presseplätze, nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass in dem Verfahren drei Plätze für die Presse aus dem Ausland freigehalten werden müssen.

Zuvor hatte es wochenlang eine Debatte über das Anrecht türkischer Medienvertreter bei diesem Prozess. Sie waren bei dem vom Gericht gewählten Prozedere bei der Pressezuteilung leer ausgegangen und sahen das als politischen und juristischen Skandal. Dass sie vom Gericht recht bekommen hatte, ist nur der Gipfel einer abstrusen Debatte. Denn zunächst einmal wird von den türkischen Zeitungen ganz selbstverständlich die ethnische Karte gezogen. Warum sollen für Menschen, nur weil sie einmal in der Türkei geboren worden sind, automatisch die türkische Politik und Presse besonders zuständig sein? Ein solches Argument kann nur verwenden, wer ganz selbstverständlich von ethnischen Prämissen ausgeht. Wären unter den NSU-Opfern auch Kurden, hätte dann die kurdische Presse ebenso ein Anrecht auf einen Pressesitz? Schließlich gibt es genug Medienvertreter mit Sitzplätzen, die sicher auch für die türkischen Medien geschrieben haben, auch wenn sie vielleicht keine türkische Geburtsurkunde vorweisen können. Aber soll die ernsthaft ein Kriterium für die Vergabe der Presseplätze sein?

Die absurde Debatte der türkischen Medien wurde noch getoppt von dem Verhalten des zuständigen Oberlandesgerichts, das auf das deutsche Hausrecht beharrte, bis das Bundesverfassungsgerichts drei Stühle dazu stellen wollte. Dabei hatten mehrere Zeitungen den türkischen Kollegen ihre Sitze angeboten. Doch nach der Lesart des Gerichts war das ebenso wenig möglich wie eine Videoübertragung des Verfahrens in einen größeren Saal. So war es nur konsequent, dass das Gericht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht nicht etwa drei weitere Plätze geschaffen, sondern gleich das gesamte Verfahren verschoben hat.

Vertrauen in den deutschen Rechtstaat gestärkt

Die Reaktionen auf die Prozessverschiebung sprechen für sich. Politiker unterschiedlicher Parteien äußerten sich sehr zufrieden. Die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl Katrin Göring Eckardt brachte vielleicht unfreiwillig den eigentlichen Grund für das Lob zur Sprache. Es gehe darum, Zweifel am deutschen Rechtsstaat in der Türkei zu zerstreuen: „Wenn die Verschiebung dazu beiträgt, dass es noch Vertrauen in den Rechtsstaat gibt, dann ist es positiv.“ Damit verriet die Politikerin, dass es bei der gesamten Diskussion um das Bild Deutschlands im Ausland geht.

Für die Opfer der NSU-Morde und ihre Angehörigen ist die Prozessverschiebung hingegen eine Katastrophe, bemerkte die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Morde: „Viele Angehörige hätten sich emotional auf den sie belastenden Prozessbeginn eingestellt. Außerdem hätten sie sich praktisch vorbereitet, etwa durch den Kauf von Fahrkarten oder indem sie Urlaub genommen hätten. Viele Angehörige könnten am neuen Prozessbeginn nun gar nicht teilnehmen.“

Hier wird die Absurdität der gesamten Debatte der letzten Wochen deutlich. Pressevertreter, die aus ethnischen Gründen ihr angemaßtes Recht auf einen Presseplatz erstreiten, erschweren einen Prozessbesuch für die Menschen, die alles Recht der Welt hätten, an dem Prozess teilzunehmen. Es sind die Angehörigen der Opfer, die von den deutschen Behörden und der Polizei zu Tätern gestempelt, verdächtigt und abgehört worden sind. Sie wollten den Prozess nutzen, um im Gerichtssaal den Menschen gegenüberzustehen, die wahrscheinlich für den Tod ihrer Angehörigen verantwortlich sind. So setzt die jüngste Entscheidung des Justiz nur die Ignoranz gegenüber den Opfern der NSU fort, die mit dem ersten Toten der Naziterroristen begonnen hatte.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154105
Peter Nowak


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