Parteilich für die Leidenden

Zum 30. Todestag des langsam wieder entdeckten Sozialpsychologen und APO-Aktivisten Peter Brückner

Es gibt in diesem Jahr gleich zwei Gründe, an den Sozialpsychologen Peter Brückner zu erinnern. Der linke Wissenschaftler starb vor 30 Jahren, am 11. April 1982, mit 59 an Herzversagen. Am 12. Mai 2012 wäre er 90 Jahre alt geworden.

Brückner, der in Hannover lehrte und die 68er Jugendrevolte unterstützte, war in der Bundesrepublik eine Art »Symbolfigur für den linken Professor«. Bis kurz vor seinem Tod war er wegen seines politischen Engagements politischen Drucks ausgesetzt. Nicht nur die Springerpresse und konservative Politiker sahen in ihm einen Linken, der sich unter dem »Schutz« des Professorenstatus staatsfeindlich betätige. Bis weit in das liberale und sozialdemokratische Lager wurde Brückner als »Radikaler im öffentlichen Dienst« geschmäht. Gleich zweimal wurde Brückner als Professor vom Dienst suspendiert und seine Bezüge gekürzt. Die Universität verhängte sogar ein Hausverbot gegen ihn.

Es war die Zeit des sogenannten deutschen Herbstes, als im Zuge der Terrorismushysterie kritische Forschung und Lehre ins Visier der Staatsorgane gerieten. Wie vielen Linken wurde Brückner Unterstützung der RAF vorgeworfen. Distanzierung von jeglichem subversiven Gedankengut war angesagt. Doch Brückner lehnte das ab. Er verteidigte öffentlich den umstrittenen Buback-«Nachruf« eines anonymen Göttinger Studenten, bekannt als »Mescalero-Affäre«. Wegen dieser Schrift fanden damals Razzien, Hausdurchsuchungen und Ermittlungsverfahren statt. Intellektuelle, die mit der Herausgabe der Schrift ein Zeichen gegen die Repression setzen wollten, wurden eingeschüchtert und zogen ihre Unterschrift zurück. Brückner stand dazu.

Der Mann, der sich selbst als »antiautoritärer Sozialist« bezeichnete, war 1922 als Sohn einer jüdischen Künstlerin und eines liberalen Demokraten in Dresden geboren worden. Die Mutter und der Halbbruder konnten sich im Nationalsozialismus durch Emigration retten, der Vater hangelte sich von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten. Diese Familiensituation hat ihn politisch geprägt. »Ein so gebildetes Kind wird durch seine sozialen Erfahrungen auf dem Spielplatz, im Kindergarten und in der Schule zur Parteilichkeit genötigt: für die je Leidenden und gegen die Gewalt, die ihnen rücksichtslos angetan wird«, schrieb Brückner zwei Jahre vor seinem Tod in dem Aufsatz »Über linke Moral«.

Parteinahme für die Leidenden, das war auch das Credo seiner wissenschaftlichen und politischen Arbeit. Brückner gehörte zu den jungen linken Intellektuellen, die mit viel Hoffnung und Engagement nach 1945 für einen demokratischen Neuanfang eintraten. Als KPD-Mitglied beteiligte er sich am Neuaufbau der Leipziger Universität. Abgestoßen von autoritären Parteistrukturen ging er 1949 in den Westen. Bei aller Kritik, die er in vielen seiner Schriften am Realsozialismus übte, ließ er sich jedoch nicht zum Kronzeugen gegen die DDR machen. Brückner, der 1967 einen Lehrstuhl für Psychologie in Hannover annahm, wurde zu einem wichtigen Bezugspunkt der außerparlamentarischen Bewegung. »Was heißt Politisierung der Wissenschaft und was kann sie für die Sozialwissenschaften heißen« war der Titel seiner 1972 veröffentlichten, sehr populären Schrift. »Wie kein anderer machte er sich zum Interpreten linker Erneuerung und wie kein anderer beobachtete und analysierte er ihren widersprüchlichen und langsamen Zerfall«, beschrieb der Historiker Christoph Jünke das Verhältnis Brückners zur antiautoritären Revolte der späten 60er Jahre, die weit über das studentische Milieu hinausging.

Wie viele linke Intellektuelle dieser Zeit war auch Brückner lange vergessen, bis er in den letzten Jahren wieder entdeckt wurde. So gab der Sozialpsychologe Klaus Weber 2004 Brückners Buch »Sozialpsychologie des Kapitalismus« neu heraus. Im Vorwort schrieb Weber, die Neuauflage solle Brückner und dessen Werk »dem Vergessen entreißen, für diejenigen, die immer die Befreiung der Menschen aus unmenschlichen Verhältnissen sich zum Ziel setzen«. Anfang März dieses Jahres ging die Neue Gesellschaft für Psychologie bei einem Kongress in Berlin der Frage nach, was an Brückners Erkenntnissen heute noch aktuell ist. An der Tagung nahmen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch linke Aktivisten teil. Der Berliner Psychologe Klaus-Jürgen Bruder wies dabei darauf hin, dass sich Brückner intensiv mit den Reaktionen der Menschen auf Krisen auseinandergesetzt habe. Demnach nimmt in Krisenzeiten die Loyalität der Menschen mit dem Staat zu, autoritäre Krisenlösungsmodelle stoßen dagegen auf mehr Zustimmung. Für das nächste Jahr ist ein weiterer Kongress geplant.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/223691.parteilich-fuer-die-leidenden.html

Peter Nowak