Deutschland als Modell einer ungleichen Gesellschaft

Die Entstehung einer größeren sozialen Bewegung in Deutschland könnte mehr zur Lösung der Euro-Krise beitragen als all die hektischen Projekte des Duos Merkel/Sarkozy

Dass die Reichen immer reicher und die Armen in Deutschland immer ärmer werden, wird gerne als linke Propaganda abgetan. Doch jetzt wurde dieser schlichte Befund von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD bestätigt und statisch untermauert.

Danach ist die Einkommensungleichheit in Deutschland seit 1990 stärker als in den meisten vergleichbaren Industrieländern gestiegen. Die obersten zehn Prozent verdienen etwa achtmal soviel wie die untersten zehn Prozent. Im Jahr 2008 hätten demnach die obersten 10 Prozent in Deutschland durchschnittlich 57.300 Euro verdient, die untersten zehn Prozent kamen auf 7.400 Euro. Noch in den neunziger Jahren hätten die Bestverdiener nur sechsmal so viel verdient wie die Unterklassen. Dieser Trend dürfte sich in den letzten Jahren sogar noch verschärft haben.

Die Studie benannte auch die Ursachen für die zunehmende Ungleichheit. Die Etablierung von tarifvertragsfreien Zonen mit Dumpinglöhnen, die Ausweitung des Niedriglohnsektors auf immer mehr Arbeitsverhältnisse ist auch seit Jahren in der deutschen Innenpolitik ein Thema. Stichworte wie „Arm trotz Arbeit“ haben längst die Mainstream-Medien erreicht. Einige Zeit lang wird in Talkshows über die Gerechtigkeitslücke geredet werden, bis das Thema wieder aus dem Blickfeld verschwindet. Auch die Ergebnisse der OECD-Studie werden schnell zu den Akten gelegt, wenn nicht gesellschaftliche Bewegungen das Thema aufgreifen.

Das zeigte sich bei der erfolgreichen Emmely-Kampagne, über die jetzt ein Buch erschienen ist. Dort resümiert Kampagnenmitbegründer Gregor Zattler, dass das Schicksal der wegen eines angeblich unterschlagenen Kassenbons gekündigten Kaiser’s-Kassiererin auch deshalb die Republik wochenlang beschäftigte, weil dort gerade über hohe Managerabfindungen gestritten wurde und der Umgang mit Emmely als ungerecht empfunden wurde.

Auch der Anfang der Woche erzielte Durchbruch beim Tarifkonflikt der seit Mitte September streikenden Beschäftigen des nichtmedizinischen Personals der Berliner Charité, ist ein Beispiel dafür, wie die Gerechtigkeitsdebatte von Teilen der gewerkschaftlichen Bewegung aufgegriffen wurde. Nach einer wochenlangen Weigerung des CFM-Managements, über die Forderungen der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften auch nur zu verhandeln, haben diese nun eine beachtliche Lohnerhöhung erkämpft. In den letzten Wochen wurde der Arbeitskampf von den Unterstützern zunehmend als gesellschaftliche Auseinandersetzung gegen Billiglöhne interpretiert.

Offensive Lohnpolitik in Deutschland Beitrag zur Eurorettung?

Die Entstehung einer größeren sozialen Bewegung in Deutschland könnte mehr zur Lösung der Euro-Krise beitragen als all die hektischen Projekte des Duos Merkozy. Denn es ist gerade die von der OECD beschriebene Gesellschaft der Ungleichheit, die jetzt als europäisches Modell empfohlen und vielleicht bald sogar oktroyiert wird. Der Soziologe Oliver Nachtwey hat beschrieben, wie das Dogma der Spardiktate die Demokratie immer mehr aushöhlt. Die Sparkommissare verweisen dabei immer auf Deutschland, wo es gelungen sei, den Arbeitsmarkt so weit zu deregulieren, dass die Wirtschaft in der Lage andere EU-Länder nieder zu konkurrieren.

Daher werden die Stimmen lauter, die den Kampf gegen dieses deutsche Niedriglohnsystem als wichtigen Beitrag zur Minimierung der Eurokrise betrachten. Die OECD-Studie hat dafür Argumente geliefert und könnte die Frage auf die Tagesordnung setzen, ob die Gesellschaft der Ungleichheit nicht eher ein Auslaufmodell als ein EU-Exportprodukt sein sollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/150982
Peter Nowak