
Jemand wird ohne Ticket im öffentlichen Nahverkehr erwischt – aber keine Sorge, das erhöhte Beförderungsentgelt wird von seiner Versicherung erstattet. Eine Utopie? Keineswegs. Vom September 2022 bis zum 23. Februar 2025 tat der …
… 9-Euro-Fonds genau das: Er erstattete die Ausgaben zurück, wenn Menschen ohne Ticket belangt wurden. Dafür mussten sie sich im Internet für den Fonds anmelden und monatlich 9 Euro einzahlen. »Wenn die Politiker*innen das 9-Euro-Ticket nach drei Monaten wieder abschaffen, dann führen wir es eben in Eigenregie weiter« lautete die Devise. In knapp zweieinhalb Jahren wurden aus dem Fonds 4000 erhöhte Beförderungsgelder bezahlt und 35 000 Tickets ersetzt.
Die Wurzeln dieser Initiative der Selbstermächtigung im Nahverkehr gehen auf August 2022 zurück, als das abrupte Ende des 9-Euro-Tickets in der ganzen Bundesrepublik für Protest sorgte. Höhepunkt jener Demonstrationen war ein Aktionstag am 27. August zum Erhalt des günstigen Verkehrstarifs. Damals gingen überall in Deutschland Menschen mit Schildern auf die Straße. »Wir wollen das 9-Euro-Ticket for ever«, also für immer, stand mitunter darauf. Nicht nur in Großstädten wie Berlin, Hamburg und München, auch in Mittel- und Kleinstädten protestierten Menschen für den Erhalt des günstigen Tarifs im Nahverkehr.
Für Menschen mit wenig Besitz war das Ticket zu einer Art Sommermärchen 2022 geworden. Für 9 Euro im Monat konnten sie mit den Regionalzügen durch die gesamte Republik fahren. Dafür nahmen sie auch viele Nachteile in Kauf, wie überfüllte Züge, schlechten Service und defekte Toiletten. Ende August 2022 setzten sich neben sozialen Initiativen auch Gruppen der Klimagerechtigkeitsbewegung für den Erhalt des kostengünstigen öffentlichen Nahverkehrs ein. Ihre Forderungen lauteten »Mobilität für alle« und »Verkehrswende jetzt«. Die große Resonanz, die das 9-Euro-Ticket in der Bevölkerung fand, war für sie ein Ansporn. Sie hofften, dass sich viele Menschen diesen günstigen Tarif nicht wieder nehmen lassen würden und stattdessen für eine grundlegende Umstellung des öffentlichen Verkehrs mit ökologischen Zielvorstellungen zu motivieren seien.
In dieser euphorischen Stimmung entstand auch der 9-Euro-Fonds. »Wir wollten uns die gute Mobilität für alle nicht mehr nehmen lassen – und das 9-Euro-Ticket selbst fortsetzen«, erinnern sich die Initiator*innen. Dafür mussten sie erst organisatorische und juristische Hürden überwinden. So schlüpfte der Fonds unter das Dach von Die Partei. »Parteien genießen durch ihre Rolle bei der politischen Meinungs- und Willensbildung rechtlich besonderen Schutz. Als Teil von Die Partei war der Fonds somit gegen Strafverfolgung abgesichert«, begründen die Initiator*innen des Fonds diese Entscheidung. Zudem erhielt die Initiative staatliche Förderungen, weil ihre Gelder als Parteispenden angesehen wurden.
2025 folgte die Ernüchterung. Dass das staatliche 9-Euro-Ticket wieder eingeführt wird, erscheint den Initiator*innen des Fonds inzwischen selbst unwahrscheinlich. Deswegen lösen sie ihn auf. Inzwischen kostet das Deutschlandticket monatlich 58 Euro, und es könnte im nächsten Jahr noch teurer werden. »Übrig geblieben ist von dem visionären Projekt nur die Digitalisierung und Entbürokratisierung – für unsere Forderungen nach klimafreundlicher und sozial gerechter Mobilität gibt es aktuell kein realpolitisches Fenster mehr«, lautet das Fazit der Organisator*innen des Fonds.
Sie betonen, dass die Herstellung von Mobilitätsgerechtigkeit eine staatliche Aufgabe ist, die von unten erkämpft werden muss. Gerechte Mobilität bedeutet, dass jeder Mensch unabhängig von seiner sozioökonomischen Stellung, Alter, Geschlecht oder Herkunft selbstbestimmt mobil sein kann. Dafür war der Druck aus der Bevölkerung bisher nicht groß genug, so die Initiator*innen.
In der Erklärung zum Ende des 9-Euro-Fonds wird zur Unterstützung von Initiativen aufgerufen, die größere politische Wirkung entfalten konnten. Das ist zum einen die Initiative Sanktionsfrei, die unter anderem ein Klimageld für Bürgergeldbezieher*innen finanzieren soll. So könnten die Kosten gestiegener CO2-Preise umverteilt werden. Auch der Freiheitsfonds soll unterstützt werden. Mit diesem werden Menschen aus Justizvollzugsanstalten freigekauft, die inhaftiert werden, weil sie Geldstrafen nicht zahlen können. Darunter sind viele Personen, die wegen Fahrens ohne Tickets angeklagt wurden. Schätzungen zufolge werden jährlich 8000 bis 9000 Personen deshalb inhaftiert. Mit dem Ende des 9-Euro-Fonds gibt es nun keine Versicherung mehr, die davor schützt. Peter Nowak
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