Mit dem griechischen Ex-Finanzminister Varoufakis hatte diese Republik eine Rechnung offen. Der Antisemitsmusvorwurf wirkt vorgeschoben. Ein Kommentar.

Einreise- und Sprechverbote: Deutschland als illiberale Demokratie

Varoufakis zog sich den Hass all derer zu, die die "Pleite-Griechen" via Bild aufforderte, doch "ihre Inseln zu verkaufen", wenn sie kein Geld hätten. Dass Varofakis dann auch noch in Richtung Deutschland den Stinkefinger gezeigt haben soll, hat den Hass auf ihn verschärft. So kann das Vorgehen gehen ihn auch als späte Rache gesehen werden.

In den meisten Medien ist der aufgelöste Palästina-Kongress auf die hinteren Seiten gerutscht und wird als polizeitaktisches Problem angesehen. Insofern können sich die repressiven Staatsapparate als Sieger sehen. Schließlich ging die Auflösung dieser Veranstaltung in deren Sinne reibungslos über die Bühne. Auch die Protestdemonstrationen gingen ohne …

… große Vorkommnisse zu Ende. Das heißt, in Deutschland im Jahr 2024, auf einer friedlichen Demonstration werden Menschen festgenommen, weil sie etwas Falsches gesagt oder gezeigt haben.

Das sind Kennzeichen von illiberalen Demokratien und da unterscheidet sich, wenn es drauf ankommt, Deutschland wenig von Ungarn. Das hat der Journalist Daniel Bax in der taz gut auf den Punkt gebracht.

Palästina-Kongress: Methoden, eine Veranstaltung zu verhindern

Es gibt viele Möglichkeiten, eine Veranstaltung zu verhindern. Man kann versuchen, sie zu verbieten. Man kann die Organisatoren unter Druck setzen und ihnen das Konto sperren lassen. Man kann das Bauamt, das Gewerbeamt und die Feuerwehr beauftragen, Gründe zu finden, warum die Veranstaltung nicht stattfinden kann.

Man kann im Vorfeld massive Auflagen verfügen, um sie zu erschweren. Man kann Teilnehmer an der Anreise hindern oder daran, in den Veranstaltungssaal kommen. Und man kann einen Anlass suchen, um die Veranstaltung vorzeitig aufzulösen. All das haben der Senat und die Polizei in Berlin getan, um einen umstrittenen „Palästina-Kongress“ zu unterbinden.Daniel Bax, taz

Wie das Handelsblatt unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtete, sollte der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit einem Einreiseverbot an der Teilnahme an dem Palästina-Kongress gehindert werden. Das hat er selbst auch bestätigt, es wurde aber teilweise angezweifelt.

Varoufakis: Betätigungsverbot auch via Zoom

„Das deutsche Innenministerium hat gegen mich ein ‚Betätigungsverbot‘ verhängt, ein Verbot jeglicher politischer Betätigung. Nicht nur ein Verbot, Deutschland zu besuchen, sondern auch die Teilnahme über Zoom“, schrieb Varoufakis auf der Plattform X.

Dass ein leitender Springer-Redakteur wie Ulf Porschardt, dessen Social-Media-Beiträge regelmäßig von Ultrarechten wie Julian Reichelt geliket werden, an einem autoritären Staat nichts auszusetzen hat, wenn es gegen Linke geht, dürfte wenig überraschend sein.

Rache, weil er Deutschland den Stinkefinger gezeigt haben soll?

Dass aber sicher nicht nur er mit Varoufakis noch eine Rechnung offen hatte, zeigt sich an Poschardts Worten auf der Plattform X: Vielleicht, meint er, sollte sich „die Linke bis weit in die Mitte“ inklusive vieler Medien „daran erinnern, wie dieser Mann verklärt wurde und wer mit ihm alles aufgetreten ist“.

Schließlich war der frühere griechische Finanzminister das Gesicht des „Oxi“, des klaren „Nein“ zur Austeritätspolitik jener Deutsch-EU, für die Wolfgang Schäuble (CDU) stand.

Dieser Mann fürs Grobe in der Ära Kohl und Merkel, der sein Insiderwissen um die vielen Verbrechen diese Ära mit ins Grab genommen hat, stand damals einem eloquenten griechischen Politiker gegenüber, der für Reformen innerhalb der EU eintrat und deshalb mit plausiblen Argumenten die deutsche Austeritätspolitik auseinander nahm.

Varoufakis zog sich den Hass all derer zu, die die „Pleite-Griechen“ via Bild aufforderte, doch „ihre Inseln zu verkaufen“, wenn sie kein Geld hätten. Dass Varofakis dann auch noch in Richtung Deutschland den Stinkefinger gezeigt haben soll, hat den Hass auf ihn verschärft. So kann das Vorgehen gehen ihn auch als späte Rache gesehen werden.

Antisemitismus-Vorwurf als Allzweckwaffe deutscher Staatsräson

Dass abweichende Meinungen mit einem Ismus-Begriff versehen zum Fall für Polizei werden, hat in Deutschland Tradition. In der alten BRD war der Vorwurf des Kommunismus und Sozialismus schon immer ein adäquates Mittel, um Grundrechte einzuschränken.

Einreiseverbote gab es übrigens nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD. Betroffen war davon unter anderem der antistalinistische jüdische Marxist Ernest Mandel in den 1970er-Jahren: „Entsprechend dem Ersuchen des Landes Berlin ist Professor Mandel in die Grenzüberwachungsliste aufgenommen und heute Vormittag beim Versuch der Einreise mit dem Ziel Berlin auf dem Flughafen Frankfurt a. M. zurückgewiesen worden.“

Auch Mandel war übrigens aus einer trotzkistischen Perspektive Antizionist und Kritiker Israels. Es wäre durchaus möglich, dass er, wenn er noch leben würde, zu den linken Juden und linken Jüdinnen gehört hätte, die auf dem Palästina-Kongress, Probleme mit der Polizei bekommen haben.

Es ist eine sehr eigenwillige Interpretation des Antisemitismusbegriffs, wenn sie nach Maßgabe der deutschen Staatsraison ausgelegt wird. Das bedeutet konkret, israelkritischen Jüdinnen und Juden wird vermehrt abgesprochen, dass sie Opfer von Antisemitismus werden können.

Mangelware: Differenzierte Ansätze in Sachen Israel-Palästina

Doch wer die Parole „Gegen jeden Antisemitismus“ ernst nimmt, muss auch für ihre Rechte kämpfen, in Deutschland eine Meinung vertreten zu können, die ich für falsch halte.

Das habe ich in Bezug auf die Inhalte des Palästina-Kongresses bereits formuliert. Diese Kritik schließt auch große Teile der Abschlusserklärung des Palästina-Kongresses mit ein.

Ich halte es in der Tat für falsch, mit der Brille der Kolonialismuskritik an Israel heranzugehen. Ich halte es für falsch, den Zionismus nicht als Ausdruck der jüdischen Nationalbewegung zu verstehen, da Jüdinnen und Juden ebenso wie die Palästinenser ein Recht haben, in der Region zu leben.

Rassismus jenseits der „Color Line“

Ich begrüße differenzierte Ansätze, wie sie Urs Linder n Bezug auf die Shoah-Forschung und den Postkolonialismus in einem taz-Beitrag herausgearbeitet. Er zeigt am Beispiel von Frantz Fanon und W.E.B. Du Bois, auf, dass eine Empathie mit den jüdischen Opfern des Antisemitismus kein Widerspruch zu einer postkolonialen Perspektive sein muss.

Dagegen hat W. E. B. Du Bois, nachdem er die Trümmer des Warschauer Ghettos besichtigt hatte, für ein Verständnis von Rassismus jenseits der „color line“ geworben, das Antisemitismus einschließt. Im (deutschen) Insistieren darauf, dass Antisemitismus kein Rassismus ist, wird regelmäßig eine Dichotomie zwischen „dem“ Antisemitismus und „dem“ Rassismus konstruiert, die weder antisemitischen Dynamiken noch der Heterogenität der verschiedenen Rassismen angemessen ist.Urs Lindner, taz

Eine solche differenzierte Herangehensweise hätte auf dem Palästina-Kongress keinen Platz gehabt. Daher ist es notwendig, über den Kongress und seinen expliziten Antizionismus zu streiten. Die repressiven deutschen Staatsapparate mit ihrer Politik der Verbote sind für eine solche Auseinandersetzung ein großes Hindernis.

Das bedeutet aber nicht, dass jetzt keine Kritik an der Ausrichtung der Palästina-Konferenz und die Mitte Mai angekündigten Demonstrationen mehr geübt werden sollte. Doch diese Kritik heißt nun nicht, den illiberalen deutschen Staat und seine Repression zu affirmieren.

Ein Deutschland, das Höcke, aber nicht Varoufakis erträgt

Es ist erst wenige Tage her, dass ein sehr großes Publikum ein TV-Duell zwischen dem Thüringer AfD-Rechtsaußen Höcke und dem CDU-Fraktionschef verfolgen konnte. Ausgerichtet worden war dieser Talk von Rechten und Ultrarechten von dem Springer-Medium Welt TV.

An der Auswahl wird schon deutlich, was sich Rechtskonservative wünschen: eine politische Konstellation zwischen Rechts und Rechtsaußen, wo Kräfte links von der CDU gar keine Rolle mehr spielen. Die Welt ist auch das Blatt eines Ulf Porschardt, der repressive Maßnahmen gegen Varoufakis begrüßt, aber keineswegs meint, dass die Debatte zwischen Höcke und Voigt hätte verboten werden müssen. Der Feind steht in Deutschland im Zweifel immer noch links. Peter Nowak