Die neue Formation sollte eine Linke Alternative sein. Die ersten Signale weisen in eine andere Richtung. Droht nun schon die Wagenknecht-Dämmerung?

Bündnis Sahra Wagenknecht: Auf dem Weg zur neuen politischen Mitte

Dabei besteht aber weiterhin das Paradox, dass Sahra Wagenknecht bei Traditionslinken noch immer einen guten Ruf hat, weil sie zu Beginn ihrer Karriere mit den autoritären Sozialismusmodellen kokettierte und das bekannteste Gesicht der traditionslinken Kommunistischen Plattform bei der PDS war. Doch mittlerweile schwant manchen Traditionslinken aus diesem Milieu, dass sie mit dem kontrollierten Eintritt in die neue Partei ferngehalten werden sollen.

Ein grüner Waldweg mit einer Gabelung ist auf der Homepage des Bündnisses Sahra Wagenknecht zu sehen. Ansonsten finden sich dort Textbausteine, wie sie von allen Bundestagsparteien der politischen Mitte zu lesen sind…

Wir stehen für eine Rückkehr der Vernunft in der Politik. Deutschland braucht eine starke und innovative Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Frieden und fairen Handel, Respekt vor den individuellen Rechten seiner Bürger und eine offene Diskussionskultur.

Das liest sich eher wie ein Demokratie-Leitfaden aus dem Politikunterricht der Mittelstufe. Aber genügt das, um Wahlen gewinnen und womöglich der AfD die Stimmen wegnehmen?

Denn eben das wird von der Formation um Wagenknecht erwartet. Nach dem langerwarteten Austritt der Wagenknecht-Anhänger aus der Linken wurde es schnell wieder still um die neue Formation. Die Recherchen über mögliche russische Gelder bei der Formation waren bisher nicht von Erfolg gekrönt. Doch die Formation mit dem Kürzel BSW wird weiter unter strenger Beobachtung von Medien und dem politischen Gegner stehen.

Die Formation ist nun im politischen Alltag angekommen. Jetzt hat sie einen Antrag gestellt, als parlamentarische Gruppe im Bundestag anerkannt zu werden.

Das gleiche Prozedere hat auch die durch den Austritt von einer Fraktion zu einer parlamentarischen Gruppe heruntergestufte Formation der Linken im Bundestag hinter sich. Politische Beobachter gehen davon aus, dass beiden Anträgen stattgegeben wird.

Allerdings ist es kein Automatismus, als parlamentarische Gruppe anerkannt zu werden. Entscheidend für die Perspektive der neuen Formation wird der erste Parteitag sein, der im Januar stattfinden soll.

Anfang Januar soll die Partei aber schon gegründet werden. Derweil wird an einer Satzung gearbeitet. Dann sollen auch die ersten 400 Mitglieder aufgenommen werden. Mit diesem kontrollierten Wachstum sollen unliebsame Mitglieder ferngehalten werden.

Warum das kontrollierte Wachstum der Wagenknecht-Formation?

Offiziell wird immer nach außen erklärt, dass man damit eine Unterwanderung von rechts verhindern wolle. Doch der umtriebige langjährige SPD- und Linkenpolitiker Dieter Dehm hatte in seinen Sendungen eher vor dem Eintritt von ehemaligen Grünen gewarnt, die in der neuen Partei vielleicht ein Betätigungsfeld suchen würden.

Doch es bleibt sein Geheimnis, an welchen Personenkreis Dehm dabei denkt. Schließlich ist es viel wahrscheinlicher, dass Grüne, die mit ihrer Partei unzufrieden sind, zu einer Linkspartei ohne Wagenknecht gehen.

Auch sonst dürfte die Wagenknecht-Formation, die sich bei jeder Gelegenheit von zu radikaler Klimapolitik abgrenzt, kaum attraktiv für Grüne sein. Mittlerweile ist es auch um Dieter Dehm ruhiger geworden, obwohl er zu den bekennenden Wagenknecht-Fans der ersten Stunde gehört. Vor allem ein selbst für Dehm peinlicher Auftritt in der Satire-Sendung Chez Krömer soll zur Entfremdung zwischen ihm und Wagenknecht beigetragen haben.

Dabei hat Dehm im Spätsommer 2022 mit einem Redebeitrag auf einem Pressefest der DKP-Zeitung Unsere Zeit wesentlich zur Diskussion über ein neues Wahlbündnis jenseits der Linkspartei beigetragen. Dort brachte Dehm eine Kandidatur zur Europawahl in die Diskussion.

Man hätte denken können, der Dehm-Auftritt war ein Versuchsballon, um zu testen, wie die neue Formation in linken Kreisen angenommen wird. Doch wahrscheinlicher war es nur Dehm-PR in eigener Sache. Dafür spricht schon der Ort, denn beim Pressefest einer DKP-Zeitung will die neue Formation aus der Mitte der Gesellschaft nun nicht verortet werden.

Dabei besteht aber weiterhin das Paradox, dass Sahra Wagenknecht bei Traditionslinken noch immer einen guten Ruf hat, weil sie zu Beginn ihrer Karriere mit den autoritären Sozialismusmodellen kokettierte und das bekannteste Gesicht der traditionslinken Kommunistischen Plattform bei der PDS war. Doch mittlerweile schwant manchen Traditionslinken aus diesem Milieu, dass sie mit dem kontrollierten Eintritt in die neue Partei ferngehalten werden sollen.

Von Sozialismus und Klassenkampf ist keine Rede

Denn natürlich wurde in diesen Kreisen registriert, dass die bisherigen Erklärungen des Bündnisses Wagenknecht wesentlich staats- und kapitalfreundlicher ausgefallen sind als fast alle Texte der Linkspartei. Wenn jetzt von Wagenknecht und ihren Freunden immer beklagt wurde, die Linkspartei habe sich von den „normalen Menschen“ entfernt, wird jetzt klar, dass damit keineswegs für ihre Rechte streikende Lohnabhängige gemeint sind, sondern der deutsche Mittelstand, der das Wort Klassenkampf gar nicht kennt.

Das taucht dann auch nicht in den Papieren der neuen Formation auf. Es geht keineswegs darum, numerisch aufzuzählen, wie häufig dieses oder jenes Wort in den Papieren vorkommt. Aber der ganze Duktus der bisherigen Texte ist von einer Mittelstandsideologie geprägt.

Das hat der ehemalige wirtschaftspolitische Sprecher der Linken und enge Wagenknecht-Vertraute Christian Leye in einem Interview mit der Wochenzeitung Freitag deutlich gemacht. Dort drückt er seine Verteidigung der deutschen Mittelstandsideologie so aus:

Wir haben in Deutschland viele mittelständische Unternehmen, im Unterschied zu anderen Industrieländern, in denen es eine viel stärkere Konzentration von Kapital gibt. Darum ist es ernst, wenn der Mittelstand jetzt Hilferufe sendet. Gleichzeitig haben wir uns an eine Krisenpolitik gewöhnt, die sich an den Interessen des Großkapitals orientiert. Wer die Interessen der arbeitenden Menschen vertreten will, muss auch darauf achten, dass der Mittelstand nicht unter die Räder kommt.Christian Leye in der Wochenzeitung Freitag

Auf die Frage des Freitag-Redakteurs Sebastian Puschner, ob denn nicht auch viele mittelständische Betriebe gegen höhere Löhne und höhere Steuern sind, entgegnet Leye:

Arbeitsschutzvorschriften gelten auch in mittelständischen Unternehmen, aber zwischen diesen und den Beschäftigten gibt es darüber hinaus gerade jetzt gemeinsame Interessen an einer vernünftigen Politik. Wir sind das einzige Industrieland, das derzeit schrumpft. Das hat mit massiv gestiegenen Energiepreisen zu tun und der Inflation, die dann wiederum vor allem Konzerne genutzt haben, um sich zu bereichern, was alles dem Mittelstand massiv zu schaffen macht. Es ist eine historische Situation, in der es erkennbar große Überschneidungen zwischen den Interessen der arbeitenden Menschen und des Mittelstands gibt, die ein Bündnis brauchen gegen die Selbstbedienungsmentalität des großen Geldes und der Kurzsichtigkeit der politischen Klasse.Christian Leye in der Wochenzeitung Freitag

Dass er mit einem Satz zugesteht, dass Tarifrechte auch für den Mittelstand gelten sollen und dann gleich wieder für eine konzertierte Aktion zwischen Mittelstand und Beschäftigten eintritt, zeigt, dass in dieser Formation kritische Gewerkschaftler und selbstbewusste Lohnabhängige, die sich nicht den Kopf über die Interessen der Kapitalseite zerbrechen, keine politische Heimat haben.

Dabei werden diese noch wagenknechttreuen Linken langsam unruhig. Sie hatten gehofft, schnell in die neue Partei eintreten und dort das Programm noch mitbestimmen zu können. Doch nun schwant ihnen, dass sie es sind, die zunächst ferngehalten werden.

Die Unruhe dieser Linken wurde am letzten Wochenende in Frankfurt/Main auf einem Treffen des linken Netzwerkes „Was tun?“ deutlich. Dort drängten viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf eine stärkere Einbindung der Basis.

Viele hatten auf einen schnellen Eintritt gehofft. Dass sie vielleicht einen linken Flügel einer Partei der wirtschaftlichen Vernunft bilden werden, darin müssen sie sich erst gewöhnen.

Es gibt auch schon Stimmen, die vor einem zu schnellen Austritt aus der Linkspartei warnen, bevor die ideologischen Grundlagen der neuen Formation überhaupt klar sind. Auf der Tagung waren auch Stimmen zu hören, die darauf drängten, in der Linken zu bleiben.

Denn es könnte sich ja zeigen, dass sie dort mehr zu sagen haben als in der neuen Formation. Die Wagenknecht-Dämmerung hat zumindest bei deren linken Anhängern schon eingesetzt.

In einigen Wochen dürfte sich zeigen, wie viele der einst sich links gerierenden Abgeordneten nun eine rechte Version der Sozialdemokratie vertreten werden. Peter Nowak