Erich Mühsam: „Notizbücher 1926–1933“. Zwei Bände, je 62 Seiten. Gegen Spende bei der Gustav Landauer Initiative erhältlich: gustav-landauer.org

Ermutigende Notizen

Auch fast 90 Jahre nach der Ermordung von Erich Mühsam im Konzentrationslager Oranienburg werden noch neue Schriften von dem bekannten Anarchisten veröffentlicht.

So hat die Berliner Gustav Landauer Initiative vor einigen Wochen in zwei Broschüren die Notizbücher von Erich Mühsam veröffentlicht. Im erstem Band sind seine Notizen aus den Jahren 1926 – 1928 veröffentlicht. Der zweite Band
endet mit der kurzen Notiz am 7. September 1933: Besuch Enzian und
Josef.1 In den früheren Jahren erfährt man von Mühsams Krankheiten, vom
Streit mit seiner Frau und den Konflikten mit seinen Genoss*innen. Der Streit entzündete sich vor allem daran, dass Mühsam lange Zeit mit der Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe Deutschland kooperierte und für diese
Organisation auch als Redner auftrat. Dieser enge Kontakt wird bereits auf den ersten Seiten der Broschüre klar. Mühsam wurde wegen seiner aktiven Rolle in der Bayerischen Räterepublik zu einer mehrjährigen Festungshaft verurteilt. In dieser Zeit wurde er von der Roten Hilfe Deutschland …

… solidarisch unterstützt. Als Mühsam im Dezember 1924 schließlich aus der Haft entlassen wird, bereiteten ihm seine Unterstützer*innen in Berlin einen triumphalen Empfang. Die Polizei antwortete mit Knüppel und Verhaftungen. In den folgenden Monaten trat der Anarchist Mühsam immer wieder bei gut besuchten Veranstaltungen der Roten Hilfe Deutschland im ganzen Land auf. Das sorgte für großen Unmut bei großen Teilen der anarchistischen Szene, die wegen der Repression gegen Anarchistinnen in der Sowjetunion immer stärker auf eine Trennung von der Roten Hilfe Deutschland drängten. Mühsam, der in der Festungshaft einige Wochen KPD-Mitglied war, machte aus seiner Ablehnung der bürgerlichen Demokratie ebenso wenig ein Geheimnis wie an seiner Kritik am zunehmend autoritären Kurs auch gegen linke Oppositionelle in der Sowjetunion. Diese Kritik hinderten ihn aber nicht an einer Zusammenarbeit mit Kommunistinnen und auch der Roten Hilfe Deutschland. Dabei war sicher nicht das Honorar ausschlaggebend, das Mühsam wie alle Rednerinnen von der Roten Hilfe Deutschland für seine Arbeit erhielt. Seine anarchistischen Kritikerinnen warfen Mühsam vor, er lasse sich von der durch die Sowjetunion finanziell unterstützte Rote Hilfe Deutschland ködern. Das war nicht die einzige Verleumdung gegen den Anarchisten, der schließlich im Oktober 1925 aus der Föderation Kommunistischer Anarchisten in Deutschland (FKAD) ausgeschlossen wurde. Neben seiner Kooperation mit der Roten Hilfe Deutschland wurde ihm von einem Redner auch vorgeworfen, nicht aus der Jüdischen Gemeinde ausgetreten zu sein. Andere Anarchistinnen verwiesen auf die Bolschewiki, denen es in Russland gelungen sei, eine Strömung des Anarchismus für sich zu gewinnen. Mit Mühsams Ausschluss wolle man eine ähnliche Entwicklung in Deutschland verhindern. So zeigt die in den Notizbüchern dokumentierte Auseinandersetzung, dass Anarchistinnen und Kommunist*innen
bei aller Kritik doch kooperieren können. Der Ausschluss zeigte auch, dass auch
der anarchistischen Bewegung autoritäre Maßnahmen nicht fremd sind. Der Berliner Gustav Landauer Initiative ist für die Herausgabe der Notizbücher
sehr zu danken. Sie haben damit auch die Möglichkeiten gegeben, weiter zu Erich Mühsam zu forschen. Ein Mitglied der Initiative hat bei der Vorstellung der Notizbücher in Berlin darauf aufmerksam gemacht, dass Mühsam manche Eintragungen oft flüchtig und mit schwer deutbaren Abkürzungen vorgenommen und eine ohnehin schwer lesbare Handschrift hatte. Dies dürfte der Grund sein, warum nur so wenige Angaben aus den Notizbüchern bislang veröffentlicht wurden. Die nicht lesbaren Passagen wurden dennoch in die Ausgabe aufgenommen, so dass Forschende die Möglichkeit einer eigenen
Deutung erhalten. Die Debatte hat nicht nur historischen und wissenschaftlichen Wert. Angesichts von steigender Kriegsgefahr und dem Erstarken rechter Kräfte könnte die Bündnisfähigkeit eines Erich Mühsams ein
ermutigendes Beispiel für eine nichtsektiererische linke Politik sein, die noch unterscheiden kann zwischen politischen Differenzen und der Feindbilderklärung. Die Rote Hilfe e.V. versucht auch heute in
seinem Sinne zu arbeiten. Peter Nowak

Erich Mühsam: „Notizbücher 1926–1933“. Zwei
Bände, je 62 Seiten. Gegen Spende bei der Gustav
Landauer Initiative erhältlich:

gustav-landauer.org