Im Haus der Demokratie wird über fehlende Sozialwohnungen in der Hauptstadt diskutiert

Wie weiter in der Mieterbewegung?

»Es gibt im Stadtteil Kreuzberg enormen Reichtum, der in den luxuriös ausgebauten Dachgeschosswohnungen deutlich wird. Unten auf der Straße dagegen kann man Menschen in totaler Verarmung beobachten. Es ist ein Zustand, der durch die Corona- und danach durch die Crack-Pandemie in Berlin noch erheblich verstärkt wird.«

300 Menschen standen am Mittwochvormittag in der Manteuffelstraße in Berlin-Kreuzberg vor einem Gebäude. Sie waren zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen und warteten auf den Makler.« Diese mittlerweile in Berlin alltägliche Szene schilderte der Soziologe und Filmemacher Matthias Coers am Mittwochabend im Haus der Demokratie, wo Vertreter*innen der Berliner Zivilgesellschaft über die Frage »Wo sind die Sozialwohnungen?« diskutierten. Vor rund zehn Jahren hatte Coers …

… mit »Mietrebellen« eine Dokumentation über den Widerstand gegen den Ausverkauf der Stadt gedreht. Schon damals sorgten steigende Mietpreise für eine zunehmend angespannte Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt.

Über die gegenwärtigen Zustände in der Hauptstadt hatte der Aktivist Philipp Berger wenig Positives zu berichten. Die Rechte der Mieter*innen seien weder durch die Bundesregierung noch den Berliner Senat gestärkt worden, erklärte der Aktivist der Kreuzberger Stadtteilinitiative Bizim Kiez, die seit Jahren gegen die Verdrängung von Mieter*innen, sozialen Einrichtungen und Kleingewerbe in diesem Stadtteil kämpft. Es sei in erster Linie die FDP, die in der Bundesregierung mieter*innenfreundliche Gesetze blockiere, aber auch die übrigen Parteien seien nicht dafür bekannt, sich für die Mieter*innen einzusetzen.

Krasser Gegensatz von Arm und Reich 
im Ortsteil Kreuzberg

Dabei könne man in Berlin den Notstand nicht übersehen, so Berger. »Es gibt im Stadtteil Kreuzberg enormen Reichtum, der in den luxuriös ausgebauten Dachgeschosswohnungen deutlich wird. Unten auf der Straße dagegen kann man Menschen in totaler Verarmung beobachten. Es ist ein Zustand, der durch die Corona- und danach durch die Crack-Pandemie in Berlin noch erheblich verstärkt wird.«

Dieser drastischen Beschreibung der Kreuzberger Zustände konnte sich Matthias Coers nur anschließen. Er wohnt im Neuen Kreuzberger Zentrum (NKZ) und engagiert sich dort im Mieterrat. »Die Wohnungen wurden kommunalisiert, und viele Mieter*innen sind unzufrieden und der Meinung, dass früher alles besser war«, beschreibt er die Stimmung mancher NKZ-Bewohner*innen. Sie würden dabei nicht sehen, dass ihre Mieten nun nicht mehr so stiegen wie vor der Kommunalisierung, und beklagten sich über mehr Bürokratie und Probleme, wenn etwas repariert werden muss.

Insgesamt ist Coers aber nicht so pessimistisch, wenn er die Situation der Mieter*innen in der Stadt betrachtet: »Berlin ist noch immer eine Mieter*innenstadt. Es sind auch viele bei Mieter*innenorganisationen Mitglied, was in wirtschaftsnahen Medien wie dem »Handelsblatt« beklagt wird.« Coers unterstützt auch die von der Berliner Mieter*innengemeinschaft initiierte Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW). Sie sieht vor, dass Wohnungen nicht mehr wie bisher für die Reichen, sondern für einkommensarme Menschen gebaut und dem Immobilienmarkt entzogen werden.

Mehr Konzepte für gemeinschaftliche Nutzung von Eigenheimen

Gegen einen solchen Neubau hätte auch Arthur Haus nichts einzuwenden, der beim Netzwerk Grüne Liga für den Bereich Eigenheim zuständig ist. Haus betrachtet aus ökologischen Gründen den Bau von immer mehr Eigenheimen kritisch. Die Grüne Liga will Konzepte erarbeiten, wie auch Eigenheime von mehr Menschen gemeinschaftlich genutzt werden können. Das könne beispielsweise bedeuten, dass ältere Bewohner*innen, die pflegebedürftig sind, Hilfe von jüngeren Mitbewohner*innen erhalten, statt unbekannte Pflegekräfte einstellen zu müssen.

Dass es sich dabei um ein Reizthema handelt, zeigte sich, als eine Frau im Publikum befürchtete, dass ihre Mutter womöglich ihr Haus verlassen muss, in dem sie seit vielen Jahren wohnt. Arthur Haus betonte hingegen, dass es bei den Konzepten der Grünen Liga nie um staatliche Vorgaben gegangen sei. Coers schließt sich dem an: »Ich wundere mich, dass es weit weniger Aufregung gibt, dass Menschen, die Hartz IV beziehen, ihre Wohnungen verlieren konnten, wenn die Miete zu hoch war.«

»Deutsche Wohnen & Co enteignen« macht Hoffnung

Eigentlich sollte auf der Veranstaltung auch darüber geredet werden, wie es mit dem Volksentscheid »Deutsche Wohnen & Co enteignen« weitergeht. Allerdings war Florian Rödl, der zur Expertenkommission zum Volksentscheid gehörte, krankheitsbedingt verhindert. Trotzdem zeigte sich, dass die Initiative als Hoffnung für die Mieter*innenbewegung gesehen wird.

Philipp Berger begrüßte, dass im nächsten Jahr ein neuer rechtsverbindlicher Gesetzestext erarbeitet und zur Abstimmung gestellt werden soll. Dafür habe die zweijährige Arbeit von »DW enteignen« eine wichtige Grundlage geschaffen. »Die Frage der Sozialisierung von Wohnraum ist kein Thema von Linksradikalen mehr«, so Berger.

Allerdings befürchtet der Stadtteilaktivist auch, dass die Zustimmung der Berliner Bevölkerung zu einem neuen Volksentscheid kein Selbstläufer werden wird. Der allgemeine Rechtsruck in der Gesellschaft und die Entsolidarisierung machen ihm Sorgen. Zudem sind manche DW-enteignen-Aktivist*innen enttäuscht, dass es keinen gesellschaftlichen Druck zur Umsetzung des ersten Volksentscheids gegeben hat. Da muss sich zeigen, ob sich die Unterstützer*innen noch einmal mobilisieren lassen. Peter Nowak

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