In der kosovarischen Hauptstadt Pristina fremdeln Künstlerinnen und Künstler mit der nationalistischen Befreiungsarme UÇK

»Das sind doch Männer von gestern«

»Wir gehören zur ironischen Jugend«, erzählt sie lachend. Deshalb hat ihr auch eine Kunstinstallation am Grand Hotel Pristina gut gefallen, die an das internationale Kunstfestival Manifesta erinnert, das im vorigen Jahr für einige Monate in der kosovarischen Hauptstadt Station gemacht hat. Das ehemalige Nobelhotel im Zentrum von Pristina war das Zentrum des Kunstevents. Heute steht das imposante Hotel größtenteils leer. Die wenigen Gäste werden von einer Rezeption in Empfang genommen, die wie eine Kulisse für einen Film aus der Tito-Ära wirkt.

Das Kosovo findet in unseren Medien oft nur dann Erwähnung, wenn wieder einmal der Konflikt zwischen der kosovarischen Polizei und der serbischen Minderheit im Norden des Landes eskaliert. Wie vor wenigen Tagen, als es Gefechte zwischen bewaffneten Serben und der kosovarischen Polizei gab. Yhil Rugowa schüttelt nur unwillig den Kopf, wenn sie gefragt wird, ob sie Angst davor hat, dass der Konflikt eskaliert und gar in einen heißen Krieg zwischen Serbien und dem Kosovo umschlägt. Rugowa lebt in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, die knapp 100 Kilometer von den serbischen Enklaven im Norden des Landes entfernt sind. »Diese Konflikte sind …

… Rituale. Ich will davon nichts mehr hören«, sagt sie resolut. »Schauen Sie sich bei uns um, dann werden sie auch im Kosovo interessante Dinge entdecken, die nichts mit diesem Streit zu tun haben«, setzt sich noch hinzu.

Tatsächlich geht das Leben in Pristina auch dann seinen alltäglichen Gang, wenn in deutschen Medien wieder einmal die Gefahr eines neuen Krieges in der Region diskutiert wird. Der Filmemacher Milčo Mančevski nennt ein Beispiel: »Selbst auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen im Norden des Kosovo fuhren die Busse vom Busbahnhof in Pristina mehrmals am Tag nach Mitrovica, dem Zentrum der serbischen Minderheit.« Allerdings waren sie meist völlig leer. Nur ganz wenige Menschen wollten in diesen Tagen in die Konfliktregion fahren.

»Niemand erwartet einen neuen Krieg. Das sind nur die Drohgebärden, die beide Regierungen in Abständen wiederholen. Sie wollen damit jeweils ihre eigene Klientel zufriedenstellen«, meint auch die Besitzerin des im letzten Jahr eröffneten Hotel Museum in Pristina. Es liegt in der Nähe zahlreicher historischer Orte der Stadt in einer verwinkelten Gasse und ist nicht leicht zu finden. Aber im Namen des Hotels drückt sich auch die Hoffnung vor allem vieler junger Bewohner*innen im Kosovo aus. Sie wollen nicht mehr vom Krieg und den immer wieder aufflammenden Konflikten mit Serbien reden. Sie hoffen auf Gäste aus dem Ausland, die sich für Kunst und Kultur interessieren.

Das Hotel Museum befindet sich in einer Gegend von Pristina, in der sich in den letzten Jahren eine alternative Kunstszene etabliert hat. In unmittelbarer Nähe sind kleine Galerien entstanden, in denen Künstler*innen auch Themen wie Queerness und Diversität in ihren Arbeiten thematisieren. »Das ist in der sehr männlich dominierten kosovarischen Gesellschaft schon ein Tabubruch und wird nicht überall gerne gesehen«, sagt Fiore Isufi Shukriu, eine junge Galeristin, die in dort ihr Atelier hat. Sie gehört zu einer Gruppe von Künstler*innen, die sich in den letzten Jahren mit der Geschichte der zahlreichen Gebäude im Stil der jugoslawischen Moderne beschäftigt hat, die bei einem Spaziergang durch Pristina schnell zu entdecken sind. Unter dem Titel »Flirting With Leftovers« haben mehrere Künstler*innen einen Bildband herausgegeben, der die wechselvolle Geschichte einiger dieser Gebäude erzählt. Teilweise sind sie ins heutige Stadtleben integriert, wie die Nationalbibliothek, ein markanter Bau der jugoslawischen Moderne. Das Gebäude liegt mitten in der Innenstadt und ist gut besucht. Im angrenzenden Universitätsviertel leben junge Menschen aus dem ganzen Land; viele von ihnen waren noch gar nicht geboren, als die UÇK, die kosovarische Unabhängigkeitsbewegung, den bewaffneten Kampf aufnahm. Für die Jüngeren ist die kurze Epoche, in der Führungspersonen der UÇK nach der Unabhängigkeit das politische Leben des jungen Staats prägten, bereits verblasst.

Ihre Konterfeie sind im Stadtbild von Pristina nicht zu übersehen. Überlebensgroß hängen sie am Hauptquartier der Demokratischen Partei des Kosovo, in der viele der UÇK-Kämpfer ihre politische Karriere im neuen Staat fortgesetzt haben. Besonders bei jungen Menschen ist ihr Nimbus als Befreiungskämpfer längst angekratzt. Das von der Europäischen Union finanzierte Kosovo-Sondertribunal hat inzwischen eine Anklage gegen mehrere UÇK-Kämpfer wegen Kriegsverbrechen erhoben. Auch Hashim Thaçi, der ehemalige Anführer der UÇK und spätere Präsident des unabhängigen Kosovo, gehört zu den Angeklagten des Tribunals in Den Haag.

»Das sind doch Männer von gestern«, sagt eine junge Studentin, die die großen Fotos auf dem Hauptquartier der größten Oppositionspartei des Landes betrachtet. »Die haben wohl Angst, dass sie in Den Haag verurteilt werden. Bei uns interessiert sich niemand dafür«, meint sie. Für sie sind die Fotos mit den harten Gesichtern der Unabhängigkeitskämpfer Zeugnisse der Vergangenheit. Dass sie damit die Meinung einer Minderheit vertritt, ist der Studentin bewusst. Doch viele in ihrem Freundeskreis sähen den kosovarischen Nationalismus ähnlich kritisch, betont sie.

»Wir gehören zur ironischen Jugend«, erzählt sie lachend. Deshalb hat ihr auch eine Kunstinstallation am Grand Hotel Pristina gut gefallen, die an das internationale Kunstfestival Manifesta erinnert, das im vorigen Jahr für einige Monate in der kosovarischen Hauptstadt Station gemacht hat. Das ehemalige Nobelhotel im Zentrum von Pristina war das Zentrum des Kunstevents. Heute steht das imposante Hotel größtenteils leer. Die wenigen Gäste werden von einer Rezeption in Empfang genommen, die wie eine Kulisse für einen Film aus der Tito-Ära wirkt. In den Nebenräumen des Erdgeschosses haben die Symbole des internationalen Kapitalismus Einzug gehalten. Läden, in denen Burger und Cola verkauft werden, Fitnessstudios und Casinos. Am Dach des Hotels ist eine Kunstinstallation auch nach dem Ende der Manifesta geblieben. Eine Reihe von Sternen blinkt im Dunkeln über der Stadt. »Wenn die Sonne erlischt, bemalen wir den Himmel«, steht daneben. Der Satz kann durchaus auch als Statement zur politischen und gesellschaftlichen Situation in der Region verstanden werden. Der jungen Generation sagt diese Kunst mehr zu als die harten Gesichter der in die Jahre gekommenen UÇK-Kämpfer. Auf noch weniger Interesse stößt hingegen die weiter zurückliegende Geschichte.

Nur wenige Menschen besuchen den kleinen Hügel am Stadtrand von Pristina. Dort errichtete die jugoslawische Regierung 1961 einen Gedenkort für die Partisan*innen, die während der deutschen Besetzung gegen die Wehrmacht und ihre Verbündeten gekämpft hatten. Die Stelen sind mit Graffiti besprüht, an einer Stelle ist auch ein Hakenkreuz zu sehen. Müll liegt herum. Die Steine, aus denen das Denkmal errichtet wurde, zerbröckeln. Es sieht verwahrlost aus. Offensichtlich gibt es kaum jemanden, der Interesse am Erhalt und der Pflege des Orts hat. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die neu errichteten Gräber für die Toten der albanisch-nationalistischen UÇK, die demonstrativ rund um den verfallenden Gedenkort für die Opfer des Faschismus angelegt wurden. »Das ist natürlich kein Zufall. Damit will man eben den eigenen Machtanspruch nicht nur gegen den serbischen Nationalismus, sondern gegen die Idee von Jugoslawien überhaupt setzen«, sagt ein älterer Mann in gutem Englisch, der den Ort fotografiert. Schließlich wurden dort Partisan*innen aus ganz Jugoslawien geehrt. Er lebe schon lange nicht mehr in Pristina. Aus London sei er nur zu Besuch her, erklärt er, bevor er sich wieder den Gräbern zuwendet, die von der wechselvollen Geschichte des Landes zeugen. Er verweist auf ein einzeln stehendes Grabmal, vor dem ein roter Teppich liegt. Dort wurde der erste Präsident des unabhängigen Kosovo, Ibrahim Rugova (1944–2006), beerdigt. Der Pazifist lehnte den bewaffneten Kampf der UÇK ab und trat für eine gewaltfreie Lösung des Konflikts mit Jugoslawien noch zu einem Zeitpunkt ein, als die Nato schon jugoslawische Städte bombardierte. Von der UÇK und ihrem Umfeld wurde Ibrahim Rugova als Handlanger des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević (1941–2006) diffamiert. Doch die Mehrheit der kosovarischen Bevölkerung machte 2002 bei den ersten Wahlen nach der Unabhängigkeit den Intellektuellen, der immer mit Schal und Brille auftrat, zum Präsidenten. Es war auch eine Entscheidung gegen den Machtanspruch der UÇK. Thaçi und seine Mitkämpfer kamen bei späteren Wahlen dann aber doch zum Zug. Die UÇK hat Rugova nie seine ablehnende Haltung gegen ihren Militarismus verziehen. Auch sein Grabmal liegt deutlich getrennt von den Kämpfern der Befreiungsarmee.

Heute regiert mit dem kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti eine neue Generation das Land. Sie hat zwar mit der UÇK, nicht aber mit deren albanischem Nationalismus gebrochen. Den serbischen Nationalismus lehnt sie ebenso ab wie die Vorstellung eines vereinten Jugoslawiens. Das zeigt sich deutlich an den verwahrlosten Gedenkorten aus dieser Zeit.

Von diesem Zeitgeist setzen sich die Künstler*innen und Studierenden bewusst ab. Sie befassen sich mit den Zeugnissen der jugoslawischen Architektur im Stadtbild von Pristina. »Das ist für mich auch eine Annäherung an die Geschichte Jugoslawiens. Es ist schon wichtig, zwischen Tito und dem serbischen Nationalisten Milošević zu unterscheiden«, betont Fiore Isufi Shukriu. Peter Nowak