Beim Chemnitzer Theoriefestival Kantine Sabot war die FAU eine wichtige Akteurin

ANARCHOSYNDIKALISMUS IN THEORIE UND PRAXIS

Wem die Themen quer durch den kontinentalen Anarchismus und Anarchosyndikalismus etwas beliebig vorkommt, liegt nicht falsch. Das Theoriefestival ist 2018 entstanden, weil sich einige junge Akademiker*innen überlegt hatten, man müsste sich im Marx-Jahr theoretisch mit dem Autor des Kapitals in einer Stadt auseinandersetzen, die immerhin mal für einige Jahrzehnte dessen Namen getragen hat. Diesem hatte man sich nach der Wende schnell entledigt. Aber am Marx-Jahr wollte die Chemnitzer Stadtverwaltung doch profitieren und kreierte das Marx-Bier . Schließlich wurde der Marx-Kopf in der Innenstadt mittlerweile zur Attraktion für Tourist*innen. Die jungen Intellektuellen steuerten dann noch die Kantine Marx bei, einen Mix aus Festival und Theorie.

Es passiert schon selten, dass am Schluss eines Theoriefestivals ein Referent die Anwesenden dazu aufruft, in die FAU einzutreten. Damit beendete ein Redakteur der Theoriezeitung Tsveyfl sein Referat, das mit dem Titel „Der Anarchismus ist tot, es lebe der Anarchosyndikalismus“ zusammengefasst werden kann. Gehalten wurde es am letzten Tag des linken Theoriefestivals Kantine Sabot in Chemnitz. Es stand in diesen Jahr unter dem Oberbegriff „Geschichte und Theorie des Anarchismus“. Vom 31. Juli bis zum 6. August wurden …

… Referate, Workshops, Podiumsdiskussionen und Filme angeboten, die mit den Themen Anarchismus und Anarchosyndikalismus zu tun haben.

Viele historische Themen wurden geboten. Der Sozialwissenschaftler Ewgeniy Kasakow befasste sich mit dem Verhältnis von Anarchismus und Bolschewismus in der Oktoberrevolution und zeigte, dass es dabei längst nicht nur um feindliche Schwestern ging. Es gab damals auch viele Gemeinsamkeiten. Das machte auch Samuel Denner in seinen Referat über die Oktoberrevolution deutlich. Denner vertrat die These, dass die Bolschewiki als radikale Oppositionspartei eine Basis bei Teilen der Arbeiter*innen der russischen Großfabriken hatten und dass sie damals noch längst nicht die monolithische Parteistruktur hatten, die später Kennzeichen ihrer Herrschaft wurde. Mehrere Veranstaltungen der linken Bildungswoche setzten sich auch mit dem Anarchosyndikalismus in vielen Teilen der Welt auseinander. Lucien van der Walt befasste sich mit den revolutionären Syndikalismus in Afrika, Reiner Tosstorff mit dem spanischen Anarchosyndikalismus, Vera Bianchi ging am Beispiel der Mujeres Libres auf den Anarchofeminismus ein.

MIX AUS FESTIVAL UND THEORIE

Wem die Themen quer durch den kontinentalen Anarchismus und Anarchosyndikalismus etwas beliebig vorkommt, liegt nicht falsch. Das Theoriefestival ist 2018 entstanden, weil sich einige junge Akademiker*innen überlegt hatten, man müsste sich im Marx-Jahr theoretisch mit dem Autor des Kapitals in einer Stadt auseinandersetzen, die immerhin mal für einige Jahrzehnte dessen Namen getragen hat. Diesem hatte man sich nach der Wende schnell entledigt. Aber am Marx-Jahr wollte die Chemnitzer Stadtverwaltung doch profitieren und kreierte das Marx-Bier . Schließlich wurde der Marx-Kopf in der Innenstadt mittlerweile zur Attraktion für Tourist*innen. Die jungen Intellektuellen steuerten dann noch die Kantine Marx bei, einen Mix aus Festival und Theorie.

Zunächst dachte keiner der Organisator*innen daran, dass hier ein jährliches linkes Event entstehen sollte. „Aber der Zuspruch war groß und es hatte ja auch Spaß gemacht“, sagte einer der Organisatoren. Und so folgten auf die Kantine Marx die Kantine Luxemburg, Gramsci, Benjamin. Und die nur Insider*innen bekannte frühbürgerliche Philosophin Christine de Pizan wurde zur Namensgeberin einer Bildungswoche in Chemnitz. Im diesen Jahr befasste sich die Bildungswoche erstmals nicht mit einzelnen Theoretiker*innen, sondern mit einem Denksystem, den nicht nur der oben erwähnte Tsveyfl-Redakteur als Modell der Zukunft propagierte.

Unter dem Titel „Die Revolution ist Alltagssache – Syndikalistische Gewerkschaftspraxis in nichtrevolutionären Zeiten“ befasste sich das FAU-Mitglied Steffi Albicker mit über 100 Jahren anarchosyndikalistischer & gewerkschaftlicher Praxis in Deutschland. Mit Verweis auf eine wissenschaftliche Forschungsarbeit von Jule Ehms betonte Albicker die pragmatische Praxis der FAUD, die sich an den Bedürfnissen und Interessen der Beschäftigten orientiert habe, die von den großen Gewerkschaften nicht erreicht wurde. Daran könne die FAU heute anknüpfen. Albicker sieht einen leichten Aufschwung der syndikalistischen Gewerkschaftspraxis, beispielsweise bei den Arbeitskämpfen der Lieferdienste. Da konnten selbst bürgerliche Zeitungen die Arbeit der FAU nicht ganz ignorieren. Dass die Basisgewerkschaft auf dem Theoriefestival mit einem großen gut besuchten Informationsstand vertreten war, zeigte, dass für Manche anarchosyndikalistische Ansätze nicht nur Theorie sind.

Ein großer Teil der Vorträge kann hier nachgehört werden.

Peter Nowak