Nötig wäre ein aufklärerischer Journalismus, der auch mal provokativ Profiteure benennt. Wie stattdessen ein Modebegriff unhinterfragt übernommen wird.

Müssen wir konstruktiv über Krieg oder Klimakrise berichten?

Doch da müsste sich sofort die Frage stellen ob es denn primäre Aufgabe des Journalismus ist, Zukunftsperspektiven zu benennen und die Vermeidung von Problemen zu diskutieren, wenn das nichts mit der Realität zu tun hat. Davor müsste doch die Frage stehen, was denn mit lösungsorientierten Journalismus überhaupt gemeint ist? Schließlich gibt es in der Regel nicht die eine Lösung für ein Problem, sondern es gibt unterschiedliche gesellschaftliche Positionen und politische Interessen – und daher dann auch unterschiedliche Vorschläge für Lösungen.

„Schreiben für die Gesundheit“ ist in der Printausgabe der taz vom 30. Juni ein Beitrag überschrieben, der mit zartrosa Farbe auch optisch hervorsticht. Im Text wird auch die Farbwahl schnell klar. Es geht um Menschen mit unterschiedlichen Krankheiten, bei denen dem Schreiben heilende Wirkung nachgesagt wird. Tatsächlich ist seit Langem bekannt, dass das Schreiben von Tagebüchern eine heilsame Wirkung haben kann – vor allem bei psychischen Problemen. Interessant ist auch, wenn die Autorin des Artikels, Stefanie Uhrig, bezugnehmend auf eine Studie aus dem Jahr 2022 zum Thema „Schreiben als Therapie“ zitiert: …

… „Die Teilnehmenden berichteten unter anderem, dass sie durch das Schreiben ihre Essgewohnheiten besser verstanden und sich selbst und den eigenen Gefühlen näherkamen.“

Kritischer ist es schon, wenn dann von den sehr individuellen Folgen von Schreibarbeiten, die oft gar nicht wissenschaftlich belegt werden können, allgemeine Aussagen dieser Art getroffen werden: „Es muss auch nicht immer um negative Emotionen geben. Bei manchen Interventionen sollen sich die Teilnehmenden gezielt auf positive Erlebnisse konzentrieren und so etwa einen Blick auf das Schöne im Leben wiederfinden und kraftbringende Sichtweisen identifizieren.“

Im Anschluss wird Eileen Bendig mit den Worten zitiert, dass für sie selbst sowie ihre Kolleginnen und Kollegen das positive Schreiben als „sinnvollste Option“ für neue digitale Angebote erkannt haben. So erklärt sich auch, dass der Text farblich unterlegt ist. Die Leserinnen und Lesern sollen sich beim Lesen wohlfühlen.

Angemerkt werden sollte, dass der Artikel in der Rubrik „Wissenschaft“ veröffentlicht wurde, die gemeinhin eher für trockene Fakten als für Wohlfühlzonen für Lesende steht. Die Autorin setzt sich allerdings auch kritisch mit dem Hype um das positive Schreiben auseinander.

„Zunächst einmal ist unklar, wie genau Schreiben hilft, abgesehen von der diffusen Aussage, dass die Schreibenden ihre Gefühlswelt besser verstehen und Zusammenhänge in ihren Leben besser verstehen können“, schreibt sie und verweist auch darauf, dass es eben keinen wissenschaftlich verifizierbaren Nachweis gibt zwischen Schreiben und besseren Heilungschancen gerade bei Krankheiten wie Krebs.

Konstruktiver Journalismus – chancenreich und lösungsorientiert?

Genau so kritisch sollte die Diskussion um den sogenannten konstruktiven Journalismus generell geführt werden. Denn der kann durchaus auch als Wohlfühl-Journalismus verstanden werden, was schon an Internetseiten deutlich wird, auf denen er beworben wird, wenn dort eine pittoreske Wüstenlandschaft mit Schön-Wetter-Wolken am Himmel betrachtet werden kann.

Dann wird einerseits beklagt, dass es viele falsche Vorstellungen über den konstruktiven Journalismus gäbe, aber anderseits klargestellt, dass auch für die Autoren der Seite die Stichworte „zukunfts- und lösungsorientiert“ in den Mittelpunkt stellen:

Konstruktive Beiträge enden nicht mit der Problembeschreibung, sondern stellen verstärkt auch Zukunftsfragen: Wie kann es weitergehen? Was jetzt?“ (…) 

Beim Konstruktiven Journalismus geht es nicht nur darum, zu verstehen, welche Herausforderungen und Probleme zu bewältigen sind. Es werden auch mögliche Ansätze zur Milderung, Lösung und Vermeidung von Problemen diskutiert.

Beide Begriffsklärungen werden auf der Seite „Konstruktiver Journalismus“ noch weiter beschrieben.

Welche Lösung ist hier gemeint?

Doch da müsste sich sofort die Frage stellen ob es denn primäre Aufgabe des Journalismus ist, Zukunftsperspektiven zu benennen und die Vermeidung von Problemen zu diskutieren, wenn das nichts mit der Realität zu tun hat. Davor müsste doch die Frage stehen, was denn mit lösungsorientierten Journalismus überhaupt gemeint ist?

Schließlich gibt es in der Regel nicht die eine Lösung für ein Problem, sondern es gibt unterschiedliche gesellschaftliche Positionen und politische Interessen – und daher dann auch unterschiedliche Vorschläge für Lösungen. So wird von durchaus nicht einflusslosen Interessengruppen der grüne Kapitalismus als Lösung für die Klimakrise präsentiert. In sehr vielen Medien gibt es Artikel, die sich sehr positiv auf solche Modelle beziehen.

Ist das ein Beispiel für konstruktiven weil lösungsorientierten Journalismus? Dann wäre er aber eher ein negatives Beispiel, weil er die mediale Debatte über eine Lösung – in diesem Fall der Klimakrise – in rein kapitalismuskonforme Bahnen lenkt. Die durchaus mit guten Argumenten untermauerte Kritik an allen Konzepten des grünen Kapitalismus würde dann noch mehr marginalisiert.

Dabei gibt es auch Wissenschaftler, die argumentierten, dass der Kapitalismus aufgrund seines ihm innewohnenden Verwertungsdrangs gar nicht klimaschonend sein kann. Es besteht die Gefahr, dass von Anhängern eines konstruktiven Journalismus solche kritische Stimmen als lästige Störgeräusche abgewehrt werden, weil sie eben – zumindest auf den ersten Blick – nicht konstruktiv sind und vielfach propagierte Lösungsansätze kritisch hinterfragen.

Ich würde hier von einem aufklärerischen Journalismus sprechen, der eben nicht in erster Linie lösungsorientiert ist, sondern die diskutierten Lösungsvorschläge kritisch hinterfragt und auch die Interessen benennt, die hinter manchen dieser als alternativlos verkauften Lösungsansätze stehen.

Kann konstruktiver Journalismus gegen die AfD helfen?

Dazu kann als sehr aktuelles Beispiel die journalistische Arbeit zum AfD-Erfolg in Sonneberg im Speziellen und den guten Umfragewerten der rechtsnationalistischen Partei im Allgemeinen herangezogen werden. Denn manche wollen mit konstruktivem Journalismus die AfD klein halten. Doch was soll das eigentlich heißen?

Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Das beste Beispiel ist die kurze Aufregung um ein Interview, dass die Illustrierte Stern mit potentiellen AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel führte. Bei der linksliberalen Empörung wird aber übersehen, dass hier in erster Linie der Grundsatz gilt, dass gedruckt und auch gesendet wird, was Leser bzw. Quote bringt. Dafür tragen auch zwangsläufig alle bei, die sich jetzt so über das Stern-Titelthema aufregen.

Sie sorgen mit dafür, dass es noch bekannter auch bei Menschen wird, die sonst nicht den Stern beachten. Man kann sogar unterstellen, dass das Interview auch ein Ausdruck von Überlegungen zum Umgang mit der AfD im bürgerlichen Lager ist. Für sie ist die AfD erst einmal ein Konkurrent um Wählerstimmen. Daher war ihr größtes Interesse natürlich, dass die AfD, wie viele Rechtspartei-Gründungsversuche vorher, schnell wieder verschwindet, in dem sie sich selber zerlegt.

Als deutlich wurde, dass sich die AfD nicht nur auf Dauer etabliert, sondern sogar Umfragewerte nah an der SPD hat, begannen die bürgerlichen Kreise zu überlegen, wie sie mit dieser Partei umgehen sollen, die schließlich Teil des bürgerlichen Eigentümerblocks ist und in der Verteidigung der kapitalistischen Ordnung die Speerspitze der Reaktion darstellt. Da ist dann ein Interview mit besonders wirtschaftsnahen Alice Weidel naheliegend.

Dieser Flügel wird auch für die Teile der bürgerlichen Konkurrenz interessant, die jetzt noch – wie CDU-Chef Merz – die AfD mit starken Worten als Demokratiefeinde brandmarken. Doch diese starke Abgrenzung gehört zum politischen Geschäft. Manche werden sich noch erinnern, wie konservative Politiker die Grünen in Terrorismusnähe rückten wollten, zumindest, solange diese scheinbar nur Koalitionsabsichten mit der SPD hatte und der Union damit Machtoptionen nahm.

Erst nachdem die Grünen für fast alle Parteien koalitionsfähig wurden, wurde die Polemik gegen die Partei zurückgefahren. Wenn nun Merz die Grünen als Hauptgegner bezeichnet und die Unionspolitiker, die auf Länderebene in Koalitionen mit dieser Partei sind, dem widersprechen, so gehört das zum Geschäft. Manche werden sich noch erinnern, wie die PDS bzw. Die Linke von Politikern bis zur SPD für koalitionsunfähig erklärt wurde, bis sich zeigte, dass sie eben nicht in wenigen Jahren verschwindet.

Die SPD erkannte, dass sie sich durch eine Totalabsage an diese Partei selber Machtoptionen nahm und änderte ihre Rhetorik. Genau das werden wir in Zukunft auch von Teilen der Union im Verhältnis zur AfD erleben. Dabei geht es nicht um Moral, sondern um Machtoptionen und da sind die Parteien eben durchaus näher, als es jetzt erscheint. Dabei wird es immer auch Politiker geben, die als koalitionsunfähig gelten.

Diese Rolle hatte bei der PDS Sahra Wagenknecht schon, als sie sich noch auf Karl Marx statt auf Ludwig Erhardt berufen hat. In der AfD werden es Rechtsaußenpolitiker wie Höcke sein, die diese Rolle spielen werden. Damit die aber als ein Hindernis für eine Kooperation herausgestellt werden kann, muss das Signal an andere Flügel sein: Mit Euch könnten wir schon ins Geschäft kommen Genau dieses Signal sendet der Stern-Titel mit Alice Weidel.

Hier wäre vielleicht nicht konstruktiver, aber aufklärerischer Journalismus gefragt, der solche Zusammenhänge darstellt. Aber er würde vielleicht nicht nur über die AfD, sondern die bürgerliche Gesellschaft, zu der sie gehört, aufklären. Genau das kann und will der konstruktive Journalismus, der jetzt so sehr angepriesen wird, nicht.

Wenig Kritik am konstruktiven Journalismus beim Journalistentag

Leider ist eine solche Kritik am Konzept des konstruktiven Journalismus kaum zu hören. Sie fehlte weitgehend auf dem 35. Journalistentag der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, der sich Anfang März mit dem konstruktiven Journalismus befasste. In einem Kommentar der ver.di-Zeitschrift Menschen Machen Medien (MMM) hieß es über diese Konferenz: „Positiv besetztes Vokabular prägte die vielfältigen Diskussionsformate: chancenreich, lösungsorientiert, verlässlich, gesprächsbereit, gemeinschaftlich, analytisch…“. Bei so vielen positiven Adjektiven wäre doch eine kritische Nachfrage angebracht gewesen. Doch die unterblieb auf den Journalistentag weitgehend.

Das wird in den Tagungsberichten von Menschen Machen Medien deutlich. Da wird ziemlich argumentfrei getitelt: „Konstruktiver Journalismus ist guter Journalismus“ und in einem Beitrag wird gefordert „konstruktiv über Kriege“ zu berichten. Dazu gehört, dass die Menschen möglichst divers sind, die zum Krieg in der Ukraine befragt werden.

Ein aufklärerischer und wirklich konstruktiver Journalismus würde vielleicht den wenigen Menschen auf allen Seiten eine Stimme geben, die sich für ein Ende des Kriegs einsetzen. Das kann ein Pazifist in der Ukraine ebenso sein, wie Beschäftigte aus Belorussland, Italien und Griechenland, die im letzten Jahr in ihren Ländern Waffentransporte blockierten.

Das wäre ein konstruktiver Journalismus im besten Sinne. Von einem gewerkschaftlichen Journalismustag hätte man sich gewünscht, dass solche kritischen Ansätze im Mittelpunkt stehen. Aufklären in Zeiten des Krieges, das würde auch bedeuten, die Profiteure der Kriege zu benennen wie Rheinmetall und Co., deren Aktien steigen, wenn Menschen fallen. Da müsste ein solcher aufklärerischer Journalismus auch mal konfrontativ statt konstruktiv werden. Peter Nowak