Andreas Ehrholdt prägte im Spätsommer 2004 Montagsdemonstrationen mit. Jetzt ist er verstorben

Eine Protestwelle ausgelöst

Andreas Ehrholdt blieb zeit seines Lebens nahezu unbekannt. Dabei war er es, der 2004 die Massendemonstrationen gegen die Einführung von Hartz IV organisierte.

Schluss mit Hartz IV, denn heute wir und morgen ihr.« Diesen Satz schrieb Andreas Ehrholdt im Juli 2004 auf selbstgefertigte Plakate, mit denen er zu Demonstrationen in Magdeburg aufrief. Dieser Satz verbreitete sich im Spätsommer 2004 wie ein Lauffeuer. Denn aus den Protesten in Magdeburg entwickelte sich in wenigen Wochen in Ostdeutschland eine Protestbewegung gegen die geplante Einführung von Hartz IV. In der Hochphase des Protests gingen in allen größeren Städten jeden Montag Tausende Menschen auf die Straße. Aber auch in Kleinstädten und Dörfern gab es Proteste gegen die Zumutungen für arme Menschen. Denn darum ging es bei den Hartz-IV-Reformen der rot-grünen Bundesregierung, die nicht nur erwerbslose Menschen schlechter stellte, sondern auch Lohnabhängige, deren Einkommen nicht zum Leben reichten und die aufstocken mussten. Es gab im Spätsommer 2004 natürlich auch Bemühungen, die Proteste in den Westen Deutschlands auszuweiten. Doch dort erreichten sie nie die Ausmaße wie im Osten. Viele Medienvertreter*innen, Forscher*innen aber auch Aktivist*innen versuchten die Ursachen dafür zu ergründen. Viele wandten sich deshalb an Andreas Ehrholdt. Für kurze Zeit war das Interesse an seiner Person groß. Er war nicht nur …

… der Initiator der Proteste, er verkörperte sie auch. In der DDR absolvierte er eine Ausbildung als Elektromaschinenbauer. Aus der SED wurde er ausgeschlossen, nachdem er einen Ausreiseantrag gestellt hatte. Im Sommer 1989 gelang ihm wie Tausenden anderen über die bundesrepublikanische Botschaft in Budapest doch noch die Ausreise. Wenige Monate nach dem Mauerfall ging er zurück in seine Heimatregion. Dort fand er allerdings keine Anstellung mehr und war auf staatliche Leistungen angewiesen. Die bevorstehende Einführung von Hartz IV empfand er wie viele in Ostdeutschland als ein Beispiel für Ungerechtigkeit.  Für die Protesttage hatte er bewusst einen Montag ausgewählt und knüpfte damit an die Montagsdemonstrationen gegen die autoritäre SED-Politik im Herbst 1989 an. Dagegen liefen manche DDR-Bürgerrechtler*innen Sturm, die von einer Vereinnahmung der Proteste für soziale Belange sprachen. Andere DDR-Oppositionelle hingegen solidarisierten sich ausdrücklich mit den Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV. An den Protesten nahmen allerdings auch Rechte teil. Doch sehr unterschiedliche linke Gruppen, von Gewerkschafter*innen bis zu Autonomen, prägten in den meisten Städten das Bild der Proteste. Sie sorgten dafür, dass die Proteste gegen Hartz IV nicht von rechts unterwandert werden konnten. Die Botschaft der Proteste blieb unmissverständlich: Kein Mensch, unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Einkommen, hat es verdient, so behandelt zu werden, wie es das Hartz-IV-System vorsah. Dieser Grundaussage stimmte auch Ehrholdt zu, der in den 1990er Jahren kurze Zeit Mitglied der CDU und 1998 erfolglos auf der Liste der Mittelstandspartei für den Landtag von Sachsen-Anhalt kandidierte. 2004 gründete er die Gruppierung »Freie Bürger für soziale Gerechtigkeit«, die aber nie größere Bedeutung erlangte. Später trat Ehrholdt der Linkspartei bei. Da war das öffentliche Interesse an seiner Person aber längst geschwunden. Seine 2011 veröffentlichte Autobiografie mit dem Titel »Ihr habt Euch selbst verraten« wurde kaum beachtet. Was er mit dem Titel aussagen wollte, können wir mit Andreas Ehrholdt nicht mehr diskutieren. Er ist am 25. Mai nach längerer Krankheit im Alter von 62 Jahren gestorben. Peter Nowak

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