LUFTKRIEG - DIE NATURGESCHICHTE DER ZERSTÖRUNG (2022). 150 Minuten, Sergei Loznitsa, 112 Minuten, schon angelaufen

Deutscher Luftkrieg oder ein Film, der alten und neuen Nazis gefällt

Der "konkret"-Herausgeber Hermann L. Gremliza war bis zu seinem Lebensende ein großer Feind jeder Deutschtümelei. Das Lamento über die ach so unschuldigen Opfer alliierter Bomber im 2. Weltkrieg gehörte für ihn zum deutscher Opferkult, dem er entschieden entgegentrat.

Dabei war Gremliza auch kein Freund jener Antifa-Generation, die mit einem zynischen Demospruch a la „Bomber Harris do is again“ den Eindruck erweckte, als wollten sie sich in den 1990er Jahren als Erb*innen derer ausgeben, die in den 1940er die Welt vom NS befreite. Dabei hatte sie die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gegen sich. Dabei unterschied Gremliza sehr klar zwischen einer individuellen Trauer von Freund*innen und Angehörigen der Menschen, die bei den Bombenangriffen gestorben sind. Wogegen er sich wehrte, ist die Erzählung von den …

… unschuldigen deutschen Opfern. Er verachtete die Aufrechner, die immer dann, wenn von den Verbrechen der Deutschen im NS und im 2. Weltkrieg die Rede war, mit ihrem Lamento über die bombardierten deutschen Städte kamen. Nach 1989 gab es für einige Jahre eine deutschlandkritische Linke, die sich gegen einen deutschen Opferkult wehrte. Damals wäre der kürzlich in die Kinos gekommene Film „Luftkrieg – die Naturgeschichte der Zerstörung“ des ukrainischen Regisseurs Sergei Loznitsa nicht so widerspruchslos angelaufen wie aktuell. Denn hier werden fast 2 Stunden alle Elemente des deutschen Opferkults ausgebreitet, die man sich nur denken kann. 

Der Film beginnt mit einer Lüge

Man sieht in den ersten 10 Minuten des Films eine scheinbare Idylle in deutschen Städten. Menschen sind in unterschiedlichen Orten bei ihrer Alltagsbeschäftigung zu sehen, in Kneipen, unter dem Maibaum, bei der Hausarbeit. Dann schweben die Bomber am Horizont und bald wird diese scheinbare Idylle brutal zerstört. Was man auf diesen Bildern im Deutschland der frühen 1940 Jahre nicht sieht, sind Juden mit den gelben Sternen an ihrer Kleidung, sind KZ-Häftlinge, sind die vielen vom NS-Regime verfolgten und gefolterten Menschen. So wirken schon die Anfangsszenen wie aus einer NS-Wochenschau entnommen und so geht es dann weiter. 

Auch die Bilder der zerstörten Städte nach den Angriffen wirken wie entnommen aus den verschiedenen NS-Propagandablättern. Der Eindruck wird sogar noch verstärkt, wenn Loznitsa über den deutschen Tellerrand blickt. Sehr gezielt werden die O-Töne verschiedener Politiker aus den USA, Großbritannien und Nazi-Deutschland so eingesetzt, dass der Film den alten und neuen Nazis gefällt. Da wird ein britischer General mit den Sätzen zitiert, die deutsche Bevölkerung könne sich vor dem Bombardement schützen, indem sie die Städte verlasse, sich in die Wälder begebe und zuschauen kann, wie ihre Häuser abbrennen. Das letzte Wort hat aber im Film die NS-Propaganda-Schnauze Goebbels, der von einer alliierten Barbarei spricht, die mit Gegenterror von Deutschland beantwortet werden muss. Hier hat Goebbels die Stichworte geliefert, die dann jahrzehntelang vor allem in Westdeutschland zu hören waren und die im Film erneut recycelt werden. Denn es ist eine weitere Lüge, wenn Loznita mit Bezug auf den Autor W.G. Sebald behauptet, dass sich in Deutschland niemand mit dem Bombardement und den Folgen auseinandersetzt hätte. Zumindest bis in die 1980er Jahre war der „alliierte Luftkrieg“ die ständige Ausrede, sich mit den eigenen Verbrechen nicht auseinandersetzen zu wollen. Dass der alliierte Bombenkrieg in den letzten 40 Jahren in den Hintergrund getreten ist, liegt vor allem daran, dass die Erlebnisgeneration gestorben ist und ist auch ein Erfolg einer antifaschistischen Bewegung, die in den 1980er Jahren begonnen hatte, die deutsche Verbrechensgeschichte aufzuarbeiten, oft gegen den erklärten Widerstand der deutschen Staatsapparate. 

Das Ende der deutschen Wiedergutwerdung

Erst unter rot-grün wurden dann die deutschen Verbrechen zum Argument des wiedergutgemachten Deutschlands (Eike Geisel), jetzt wieder Kriege führen zu können. Doch damit ist es vorbei. Dass ein Film, der zum überwiegenden Teil NS-Propaganda wiederkäut, heute ohne große Kritik in Deutschland gezeigt werden kann, zeigt, dass die Zeit der Wiedergutwerdung vorbei ist. 

Nun könnte eingewendet werden, im Film werden doch auch Orte, die von deutschen Bombern zerstört wurden, gezeigt, wie Rotterdam und London. Doch der Film beginnt und endet mit Szenen aus von alliierten Bombern aufgesuchten deutschen Städten. 

Es ist der perfekte Film für die Rechten aller Couleur, die am 14. Februar in Dresden und anderen deutschen Städten auflaufen, um noch immer dem deutschen Opferkult zu frönen. Vor einem Jahrzehnt gelang es einer großen zivilgesellschaftlichen Bewegung, diesem deutschen Opferkult zumindest Grenzen zu setzen. Jetzt wird deren Propaganda über Arthouse-Kinos verbreitet und auch manche Linksliberale freuen sind, dass sie sich, Sergei Loznita sei Dank, nun doch noch ganz ohne schlechtes Gewissen und ohne braun zu werden, in die deutsche Trauergemeinschaft einreihen können. Der Film passt perfekt in eine Zeit, in der die Wiedergutwerdung Deutschlands vorbei ist. Spätestens mit dem russischen Krieg in der Ukraine ist Schluss mit dem Gedenken an die Opfer Deutschlands. Jetzt ist es an der Zeit, sich an die Deutschen als Opfer zu erinnern. Da klingt die Drohung an, dass Deutschland den Alliierten den erfolgreichen Kampf gegen den NS nicht verziehen hat. Zum ersten Jahrestag des russischen Einmarsches in die Ukraine war schon mal für einige Tage ein in der Ukraine ausgebrannter russischer Panzer in der Mitte Berlins aufgebaut, das Rohr auf das letzte Stück russisches Territorium in Berlin, die russische Botschaft gerichtet. Wer mag da nicht eine Revanche 80 Jahre nach Stalingrad sehen?

Da passt ein Film wie „Luftkrieg“, der mit einem pathetischen Goebbels-Spruch endet, perfekt zum deutschen Opferkult. Es ist auch kein Zufall, dass ein ukrainischer Nationalist wie Sergei Loznitsa den Deutschen diesen Film schenkt. Schließlich hat der Ukraine-Krieg viel dazu beigetragen, dass sich heute deutscher Nationalismus wieder unbefangener artikulieren kann als noch vor 20 Jahren. Und wenn es heute schon als West-Splaining und Putin-Propaganda verfemt ist, an die Denkmäler des pro-deutschen ukrainischen Nationalisten und Antisemiten Stepan Bandera zu erinnern, und es schon als Beleidigung empfunden wird, wenn jemand an die angeblichen ukrainischen Anarchist*innen und Linken, die in der Ukraine im Kampf gegen Russland keine Rechten mehr kennen wollen, die Frage richtet, warum sie nicht selber Hand an die Denkmäler von Bandera und andere Nazifreunde legen, dann kommt ein Film wie Luftkrieg… genau richtig.

Eine antifaschistische Beschäftigung mit dem Luftkrieg ist möglich 

Das soll aber kein Plädoyer sein, die Ausstrahlung von Filmen wie Luftkrieg zu verhindern. Solche autoritären Methoden sind in Zeiten des Internets nun wirklich anachronistisch. Eine antifaschistische Reaktion auf Loznitas Streifen wäre eine Diskussion, die klarstellt, wer mit dem Bombenkrieg gegen Städte angefangen hat. Das war die deutsche Legion Condor, die 1937 die baskische Stadt Guernica mit ihren Bombern dem Erdboden gleichgemacht hat. Pablo Picasso hat dieses deutsche Verbrechen weltweit bekannt gemacht mit seinem Bild „Guernica“. Dann folgten Rotterdam und London und erst danach zerstörten die alliierten Gegenschläge deutsche Städte. Ein aufklärerischer Film über den alliierten Luftkrieg hätte mit Picasso beginnen und mit Victor und Eva Klemperer enden können. Dem jüdischen Literaturwissenschaftler und seiner Frau rettete das Bombardement der Alliierten in Dresden im Februar 1945 das Leben. Im Chaos nach der Bombardierung konnten die Klemperers fliehen und so ihrer geplanten Vernichtung entgehen. Es gäbe also durchaus Möglichkeit, sich mit dem alliierten Luftkrieg aus einer antifaschistischen Perspektive auseinanderzusetzen. Luftkrieg gehört nicht dazu.

LUFTKRIEG – DIE NATURGESCHICHTE DER ZERSTÖRUNG (2022). 150 Minuten, Sergei Loznitsa, 112 Minuten, schon angelaufen 

Peter Nowak

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