Schulterschluss mit Gewerkschaftern und Klimaaktivisten bei der Konferenz von »Genug ist genug«

Armutsbetroffene organisieren sich

Die Inflation hat viele Menschen hart getroffen. Doch bei einer Konferenz in Halle an der Saale machen nun viele deutlich, dass sie die Verarmung nicht hinnehmen wollen. Davon sind auch Studierende betroffen. Ich habe immer davon gesprochen, dass auch die Armen organisiert werden müssen, bis ich merkte, dass ich selber dazu gehöre, weil ich wie viele andere Studierende monatelang auf das Bafög warten musste«, erklärte ein Mitglied von GiG-Braunschweig.

Rhythmisches Klatschen war am Samstagnachmittag aus einem Hörsaal der Martin-Luther-Universität in Halle zu hören. Gerade ging das Abschlussplenum der zweitägigen Aktionskonferenz des Bündnisses »Genug ist genug« (GiG) mit einem kräftigen Applaus an die Organisator*innen zu Ende. Etwa 120 überwiegend junge Menschen waren aus der gesamten Republik nach Halle an der Saale gekommen, um die nächsten Aktionen zu planen und bisherige Aktionen auszuwerten. GiG ist ein bundesweites Bündnis gegen …

… explodierende Lebensmittelpreise, hohe Mieten sowie Strom- und Gasrechnungen. Obwohl die großen Proteste gegen die Inflation in den vergangenen Monaten ausgeblieben und nicht so viele Menschen auf die Straßen gegangen waren, wie sich das Aktivist*innen und Politiker*innen erhofft hatten, herrschte auf der Konferenz Aufbruchstimmung. Das liegt vielleicht auch daran, dass GiG von Anfang an darauf setzte, unterschiedliche von der hohen Inflation betroffene Menschen zusammenzubringen. An der von den Gewerkschaften Verdi und GEW unterstützten Konferenz beteiligten sich Armutsbetroffene ebenso wie Beschäftigte von Post, Bahn und öffentlichem Dienst, die sich aktuell im Tarifkampf befinden. Bereits im vergangenen Herbst erklärte Ines Schwerdtner, die Publizistin und Chefredakteurin des linken Magazins »Jacobin« ist und GiG mitorganisiert hat, dass diese Tarifauseinandersetzungen auch Kämpfe gegen die Inflation seien und daher solidarisch unterstützt werden sollten. Bis zum 8. März stimmen die gewerkschaftlich organisierten Postbeschäftigten darüber ab, ob sie ihre Forderung nach 15 Prozent mehr Lohn mit einem Erzwingungsstreik durchsetzen wollen. Ein positives Votum könnte ein gesellschaftliches Signal setzen. Davon sind viele Konferenzteilnehmer*innen überzeugt. »Die Postbeschäftigten würden deutlich machen, dass sie sich in Zeiten hoher Inflation keine Reallohnverluste mehr gefallen lassen«, sagte eine Gewerkschafterin.  In einer Arbeitsgruppe wurde über die außerbetriebliche Unterstützung beraten. Die Palette der Aktionsformen reicht von Solidaritätsaufklebern auf Briefkästen bis zu Unterstützungskundgebungen. In einer anderen Arbeitsgruppe wurde über die Unterstützung der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst diskutiert. Noch ist es offen, ob es dort zu einer schnellen Einigung kommen wird oder zu einem Arbeitskampf wie im Jahr 1974. Damals hatte die noch bestehende Gewerkschaft ÖTV nach einigen Streiktagen mit einem zweistelligen Ergebnis abgeschlossen. In den Verdi-Medien wurde in der letzten Zeit an diesen schon legendären Streik erinnert. »Damit soll den Mitgliedern Mut gemacht werden, dass auch in der Krise ein Arbeitskampf erfolgreich sein kann«, sagte ein Verdi-Mitglied aus Hannover. Eine weitere Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit einem möglichen Streik bei der Bahn, der dieses Mal nicht von der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), sondern von der im DGB organisierten Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) getragen und von Klimaaktivist*innen unterstützt werden würde. Schließlich gehört ein Ausbau der Bahn zu der von ihnen geforderten Verkehrswende. Der Klimastreik vom Freitag in der vergangenen Woche war ein Vorbild. Dieser wurde von der Klimabewegung und Verdi gemeinsam organisiert. Viele der Konferenzteilnehmer*innen, die nun in Halle an der Saale zugegen waren, hatten sich daran beteiligt und die gute Stimmung in die Konferenz getragen. Dort wurde allerdings auch Kritik an der bisherigen Protestkultur artikuliert. So kritisierten mehrere Armutsbetroffene, dass ihre Interessen bei Treffen oft zu kurz kämen. »Menschen, die nicht im Arbeitsprozess sind, haben nichts davon, wenn nur über Tarifrunden geredet wird«, monierte eine Armutsbetroffene aus Hamburg. Sie sieht aber in den zweistelligen Lohnforderungen der Gewerkschaften eine gute Gelegenheit, eine Grundsicherung zu fordern, von der man leben könne. In mehreren Städten haben sich inzwischen GiG-Hochschulgruppen gegründet, die sich auf der Konferenz koordinierten. Dort wurde auch das Klischee von den durchweg privilegierten Studierenden hinterfragt. »Ich habe immer davon gesprochen, dass auch die Armen organisiert werden müssen, bis ich merkte, dass ich selber dazu gehöre, weil ich wie viele andere Studierende monatelang auf das Bafög warten musste«, erklärte ein Mitglied von GiG-Braunschweig. Peter Nowak

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