"Rise Up!": Deutschland 2022. Regie: Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard, Luca Vogel. 89 Minuten. Start: 27. Oktober.

Trotz Niederlagen weitermachen: „Heldinnen und Helden“ sozialer Bewegungen

Der Dokumentarfilm "Rise Up!" porträtiert Menschen, die die Hoffnung auf eine radikale Gesellschaftsveränderung noch nicht aufgegeben haben. Eine wichtige Rolle spielt ihr Umgang mit Rückschlägen. Daraus kann viel gelernt werden.

Ist es noch möglich, die Utopie einer Welt ohne Ausbeutung zu bewahren, in einer Welt, in der die untote kapitalistische Profitlogik zunehmend proletarische Milieus zerstört und widerständige Praxis einverleibt? Diese Frage stellen sich in letzter Zeit Filmemacherinnen und Filmemacher öfter. Johanna Schellhagen hat in „Der laute Frühling“ die Utopie einer ökosozialistischen Revolution entworfen. Am 27. Oktober ist der Dokumentarfilm „Rise Up!“ angelaufen. Gleich in den ersten Minuten wird die ganze Dystopie des Spätkapitalismus vorgeführt, vielleicht so intensiv, dass dann manche schon abschalten wollen. Wir sehen die so …

… klimaschädlichen Kreuzfahrschiffe und müssen und sofort fragen, was es über eine Gesellschaft aussagt, wenn Menschen noch viel Geld ausgeben, um sich auf solche Touren zu begeben, während andere unter zunehmenden Wetterextremen leiden und zum Teil sogar ihr Leben verlieren.

Die Off-Stimme spricht dann von den vielen Apps, mit denen moderne Menschen an die kapitalistische Gesellschaft gebunden werden. Die Szene endet mit brechenden Eisbergen. Bevor man sich zu fragen beginnt, ob da nicht eher konservative Kultur- als Kapitalismuskritik geliefert wird, sehen wir eine der fünf Personen, die uns in dem Film immer wieder begegnen werden.

Es sind die südafrikanische Aktivistin Shahida Issel, der afroamerikanische Stadtteilaktivist und Gewerkschaftler Kali Akuno, die linke Ex-DDR-Oppositionelle Judith Braband, die Chilenin Camila Cáceres und die Frankfurterin Marlene Sonntag, die sich an den Kämpfen in Rojava beteiligt, sind für die Filmschaffenden Hoffnungsträger.

Individuen statt Gesellschaft

Sie stehen für „die Verwandlung von normalen Menschen zu großen Heldinnen und Helden, vom einzelnen Aufbegehren zur großen Revolte, von einer bloßen Idee zum historischen Fortschritt“, wie es auf der Homepage von „Rise Up!“ etwas pathetisch formuliert wird. Tatsächlich ist die Herangehensweise selbst auch dem neoliberalen Kapitalismus geschuldet, der zunehmend statt einer Gesellschaft nur noch Individuen kennt.

Die Erzählung von den Heldinnen und Helden gehört auch längst schon zur Software des modernen Kapitalismus. Das Filmkollektiv Left Vision, das vor „Rise Up“ mit dem Dokumentarfilm „Hamburger Gitter“ einen Rückblick auf den Widerstand gegen G20-Gipfel in der Hansestadt 2017 und die darauf antwortende Staatsgewalt produzierte, will damit Mut machen, dem Kapitalismus zu widerstehen.

Schließlich wird betont, dass die Protagonisten ganz normale Menschen waren, bevor sie an einen bestimmten Punkt angefangen haben, die Verhältnisse nicht mehr hinzunehmen. Nur ist diese Lesart selbst schon an einen bürgerlichen Standpunkt gebunden, dass Menschen mit ihrem Vorbild Geschichte schreiben und nicht Klassen, wie es bei Karl Marx heißt.

Das ist keine Kritik an dem Filmteam, sondern erst mal nur die Feststellung, wie es der Kapitalismus geschafft hat, die Vorstellung einer Gesellschaft in den Hintergrund zu drängen. In dem berühmten Filmessay „Rot ist die blaue Luft“ geht es auch um den Tod eines alten Arbeitermilitanten, von dem nur gesagt wird, dass er sein Leben in der Fabrik und dort in der Betriebszelle der Kommunistischen Partei verbracht hat – und dass er der ganzen Welt in dieser Fabrik begegnet ist.

Für ihn wäre es völlig unverständlich gewesen, wenn ihn jemand als Individuum hätte porträtieren wollen. Er sah sein Wirken immer als Teil einer gesellschaftlich wirkmächtigen Kraft, dem militanten Arbeitermilieu. Es war die historische Aufgabe der neoliberalen Konterrevolution Ende der 1970er-Jahre, dieses Arbeitermilieu zu zerstören und möglichst auch aus den Köpfen der Menschen zu eliminieren.

Die Philosophin Ayn Rand und die Politikerin Margaret Thatcher sind zwei wichtige Köpfe dieser neoliberalen Konterrevolution, die durchaus erfolgreich die Vorstellung einer Gesellschaft zerstörten. Heutige Linke sind mit den Folgen konfrontiert, wie im Film gut dokumentiert wird.

Kampf um Gesellschaftlichkeit

Ihr Ausbrechen aus dem Alltagstrott, ihr Engagement für Veränderung ist ein Kampf um die Wiedergewinnung der Gesellschaftlichkeit. Das wird besonders eindringlich bei Shahida Issel, die mit Begeisterung beschreibt, dass sie in ihrer Jugend erlebt hat, wie sich im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika eine gesellschaftliche Kraft herausgebildet hat, die das System ins Wanken brachte. Wir sehen die begeisterten Massen, als Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen werden musste.

Doch heute wissen wir, dass damals der Niedergang der Bewegung begann. Bald richtete sich der ANC an den Schalthebeln der Macht ein und viele seiner Vertreter nutzten die politischen Utopien, die einst mit der Organisation verbunden waren, nur noch für Sonntagsreden. Issel hingegen gehört zu den vielen Basisaktivistinnen und -aktivsten, die diese Utopie nicht vergessen haben.

Die Kooptierung von einst widerständigen Bewegungen durch den Kapitalismus ist eine Erfahrung, die fast alle der Protagonistinnen und Protagonisten machen mussten. Kali Akuno, der sich auf die Organisierung im Stadtteil und am Arbeitsplatz konzentriert, ebenso wie Judith Braband. 

Schließlich war sie bis 1979 Mitglied der „Sozialistischen Einheitspartei“ (SED) der DDR, die – aus der Geschichte der linken Arbeiterbewegung kommend – zur autoritären Machtpartei wurde sowie Braband und viele andere linke Aktivisten mit Gefängnis bestrafte, weil sie an den alten linken Idealen festgehalten hatten.

Mit Begeisterung spricht Braband vom linken Aufbruch im Herbst 1989, der in der Großdemonstration am 4. November 1989 seinen Höhepunkt fand. Da sei eine wirklich sozialistische DDR und keine Wiedervereinigung gefordert worden, betont Braband. Im Nachhinein bedauert sie, dass die linken Oppositionellen damals nicht die Machtfrage gestellt haben. Da bleiben natürlich viele Fragen offen.

Das gilt natürlich auch für die Feministin Camila Cáceres, die sich in den letzten Jahren im sozialen Aufbruch in Chile politisiert hat. Wir sehen, wie die massive Repression der chilenischen Staatsapparate die Bewegung nicht brechen konnte. Nun bleibt zu hoffen, dass auch die Niederlage beim Referendum über eine progressive Verfassung die sozialen Bewegungen Chiles nicht bremsen kann.

Die Abstimmung fand erst nach Abschluss der Arbeiten an dem Film statt. Zur Niederlage hat auch die Kooptierung mancher ehemaliger Linker beigetragen, die sich nicht am Referendum beteiligten oder gegen die Verfassung stimmten, weil sie angeblich zu radikal war.

Die Frage der Kooptierung ehemaliger linker Kräfte für den modernisierten Kapitalismus wird sich auch im Fall Rojavas stellen, wo diese linken Kräfte schon viele Kompromisse machen mussten, um überhaupt zu überleben. Die Frage, wo es sich um ein schlaues Lavieren in widrigen Verhältnissen handelt, und wo die Abkehr von emanzipatorischen Grundpositionen beginnt, begleitet die linke Bewegung schon lange.

Da braucht man nur um die heftig geführte Auseinandersetzung um den zwischen der jungen Sowjetunion und der deutschen Regierung geschlossenen Frieden von Brest Litowsk (https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Dokumente-zur-Zeitgeschichte/19180303_brest-litowsk.html) in der damaligen Revolutionsregierung zu erinnern.

Und trotzdem weiter

Es ist nicht die Frage, ob die Protagonisten weitere Niederlagen in ihren Kämpfen für eine andere Welt erleben werden. Die Frage ist vielmehr, wie sie damit umgehen und wie sie trotzdem wieder aufstehen und weiterkämpfen werden. Das ist die eigentliche Frage, die der Film auch an die Zuschauerinnen und Zuschauer stellt.

Das ist gerade das große Plus des Films. Hier werden keine Heldinnen und Helden vorgestellt, die nur angebetet werden sollen und damit eigentlich niemandem etwas sagen. Hier werden Menschen vorgestellt, die an irgendeinen Punkt nicht mehr bereit waren, mitzumachen. Sie sind aufgestanden, niedergeschlagen worden, haben kleine Erfolge und große Niederlagen erlebt und oft auch erlitten und machen trotzdem weiter. Peter Nowak