Große Aufregung über Wagenknechts Bundestagsrede. Zu kritisieren gibt es an ihr vieles, doch zielt die Empörung auf das Falsche ab. Ein Kommentar.

Gibt es einen Wirtschaftskrieg gegen Russland?

Hält man sich an die Fakten, hätte man sagen müssen, dass nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ein "Wirtschaftskrieg" gegen Russland von großen Teilen des sogenannten Westens begann. Da bleibt die Frage, warum hier etwas Offensichtliches bestritten werden soll. Es gibt sicher gute Gründe Wagenknechts nostalgischen Blick auf den fordistischen Kapitalismus zu kritisieren. Doch die Aufregung um ihre Rede vom deutschen "Wirtschaftskrieg" soll wohl davon ablenken, dass auch ein Großteil ihrer Kritiker an ihrem Lob der Marktwirtschaft wenig auszusetzen hat.

Wieder Aufregung um Wagenknecht – vor allem in ihrer eigenen Partei. Knapp fünf Minuten dauerte die Rede der Bundestagsabgeordneten der Linkspartei. Sie fand sofort eine Aufmerksamkeit, die Bundestagsreden von den Linken heute selten haben. Doch ein Teil der eigenen Fraktion war gar nicht erfreut. Jetzt wird sogar wieder der Ausschluss von Wagenknecht aus der Fraktion oder gar der Partei gefordert. Nun gibt es genügend Gründe für linke Kritik an ihrer Rede. Denn sie hat sich dort als Politikerin bestätigt, die …

… keine Kritik an Kapitalismus und Marktwirtschaft im Parlament äußert.

Das begann schon damit, dass sie Wirtschaftsminister Habeck vorhielt, dass er in einem marktwirtschaftlichen Unternehmen schon längst entlassen worden wäre. Am Schluss wirft sie Habeck vor, Millionen Menschen, die ihn nicht gewählt haben, ihren bescheidenen Wohlstand zu nehmen. 

Es fällt auf, wer bei Wagenknecht nicht gemeint ist: Menschen, die am oder unterhalb des Existenzminimums leben, die sich keinen, auch keinen bescheidenen Wohlstand leisten können, dafür aber einen Berg von Schulden haben und oft nur mit Essenstafeln über die Runden kommen.

Diese Klientel war bei den Hartz-IV-Protesten 2004 auf der Straße, die mit dazu beigetragen haben, dass sich die PDS zur Linkspartei transformierte. Diese Menschen kommen in der Rede von Wagenknecht nicht vor, dafür aber gleich mehrmals der Mittelstand. 

Bei ihr gibt es auch keine Vorstellung davon, wie zumindest sozialpolitische Reformen umgesetzt werden, die das Leben von Millionen Menschen etwas verbessern. Das Neun-Euro-Ticket wäre hierfür ebenso ein Beispiel, wie eine höhere Versteuerung von Reichen.

Selbst diejenigen sozialdemokratischen Reformen, die sie im letzten Teil ihres umstrittenen Buches „Die Selbstgerechten“ erwähnt und auflistet, werden in ihrer Rede nicht einmal erwähnt.

Doch gerade mit solchen sozialreformerischen Inhalten hätte sich eine Rednerin der Linkspartei signifikant von der wirtschaftsliberalen Rechten Alice Weidel abgehoben, die natürlich das Neun-Euro-Ticket vehement ablehnte, wie die AfD alle Sozialreform ablehnt, die vor allem einkommensarmen Menschen zugutekämen.

Es sei nur daran erinnert, dass die AfD auch die Speerspitze der Eigentümerlobby gegen den Mietendeckel war. Da hätte sich die Rednerin einer Reformlinken profilieren können, indem sie ihren Schwerpunkt auf Sozialreformen wie etwa ein dauerhaftes günstiges Bahnticket, Reichensteuern etc. legen würde. 

Stattdessen wirbt Wagenknecht für eine Fortdauer des fossilen Kapitalismus, indem sie dafür eintritt, dass wieder Gas aus Russland fließt. Ökologische Argumente dagegen spielen bei ihr keine Rolle.

Warum wird etwas Offensichtliches bestritten?

Wagenknecht will die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland trotz des Ukraine-Kriegs normalisieren. Genau hier setzt die große Aufregung ein. Vor allem an dieser Aussage scheiden sich die Geister. Sie geißelt „die Vorstellung, dass wir Putin dadurch bestrafen, dass wir verschiedene Familien in die Armut stürzen“.

So beeilten sich auch Wagenknecht-Gegner in ihrer Fraktion zu betonen, dass es keinen Wirtschaftskrieg gegen Russland, sondern einen Angriff Russlands auf die Ukraine gibt. Hält man sich an die Fakten, hätte man sagen müssen, dass nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ein „Wirtschaftskrieg“ gegen Russland von großen Teilen des sogenannten Westens begann.

Der wird auch von vielen Befürwortern als solcher bezeichnet. Es war Bundesaußenministerin Baerbock, die bereits Ende Februar als Ziel des Westens den Ruin Russlands nannte. Viele andere Zitate aus der Politik könnten angeführt wurden.

Da bleibt die Frage, warum hier etwas Offensichtliches bestritten werden soll. In Russland darf der Einmarsch der Ukraine nicht als „Krieg“ bezeichnet werden und wer sich an die Sprachregelung nicht hält, wird bestraft. Auch die Kriege mit deutscher Beteiligung von Jugoslawien bis Afghanistan sollten lange nicht so genannt werden.

Aber hier wurde wenigstens kaum jemand sanktioniert, wenn er sich nicht daran hielt. Ist jetzt der Begriff „Wirtschaftskrieg“ tabu?

Wäre es nicht viel sinnvoller, darüber zu diskutieren, ob er zielführend ist? Oder ob die Öffnung von Nord Stream 2 gar einen dritten Weltkrieg verhindern könnte? Diese These vertritt der Publizist Michael Jäger in der Wochenzeitung Freitag.

Es gibt sicher gute Gründe dagegen und es gibt vor allem Gründe, Wagenknechts nostalgischen Blick auf den fordistischen Kapitalismus zu kritisieren. Doch die Aufregung um ihre Rede vom deutschen „Wirtschaftskrieg“ soll wohl davon ablenken, dass auch ein Großteil ihrer Kritiker an ihrem Lob der Marktwirtschaft wenig auszusetzen hat. (Peter Nowak)