Aktuell geht es augenscheinlich weniger um die Inhalte der Politik der Bundesregierung, sondern hauptsächlich um die Art und Weise, wie man sie der Bevölkerung verkauft: Dass Opfer und Verzicht im Krisenwinter alternativlos sind.

„Die Menschen müssen verstehen, warum sie ärmer werden“

Die große Frage ist nur: Lässt sich die Bevölkerung so regieren? Oder sieht sie sich nicht davon beleidigt, dass es nicht um politische Inhalte gehen soll, sondern um die Form, wie eine als alternativlos angesehene Politik kommuniziert wird. Das ist die große Frage auch für die Staatsapparate. Daher wird schon seit Wochen vor Protesten gewarnt, die noch gar nicht begonnen haben. Mal sollen sie von rechts oder links vereinnahmt werden, mal von beiden und dann kommt noch der Vorwurf, hier würden die Montagsdemonstrationen der DDR instrumentalisiert. Dabei waren die spätestens ab Mitte November 1989 durchaus rechtsoffen. So müsste eigentlich die Maxime lauten, genau den Fehler dieser Montagsdemonstranten in der DDR nicht zu machen und sich klar von rechts abgrenzen.

Hält die Bundesregierung bis zum Krisenwinter? Diese Frage kann man sich stellen, wenn man beobachtet, wie sich die einzelnen Parteien bekämpfen. Vor allem zwischen SPD und Grünen wachsen die Spannungen, was auch gut zu erklären ist. Schließlich hatten die Grünen in Umfragen Erfolge, während die SPD eingebrochen war. Die Medien, die Politik gerne personifizieren, machten einen Hype um Habeck, der „seine politischen Maßnahmen erklärt“, die Menschen also „mitnimmt“, wie man so schön sagt. Dagegen wird vor allem Kanzler Scholz als Politiker beschrieben, der nicht erklärt. Diese Medienberichte sorgen für eine weitere Entpolitisierung, weil es dann eben nicht mehr um die Inhalte der Politik geht, sondern um …

… die Art und Weise, wie sie erklärt werden.

„Die Menschen müssen verstehen, warum sie ärmer werden„, brachte es der Politologe Karl-Rudolf Korte im Interview mit dem Deutschlandfunk die Lage auf den Punkt – es zeigt sich, was es bedeutet, im Kapitalismus regiert zu werden.

Es geht nicht darum, dass die Bevölkerung etwa die Politik verändern könnte. Korte geht es vielmehr darum, dass die für ihn notwendigen – und nicht weiter hinterfragbaren – Maßnahmen von den Politikern so an die Bevölkerung verkauft werden, dass diese sie richtig versteht, nämlich als alternativlos, und dann auch bereit ist, sie zu unterstützen. Dabei sieht auch Korte Habeck im Vorteil, weil der im Gegensatz zu Scholz den Eindruck erweckt, er könnte seine Verzichtspolitik besser kommunizieren.

Das ist angesichts eines Krisenwinters mit hoher Inflationen und vielleicht bald immer mehr aus Energiemangel oder wegen energiepolitischen Maßnahmen schließenden Schwimmbädern und Bibliotheken schon eine besondere Leistung.

So stand der „Kommunikator“ Habeck lange Zeit im Strahle-Licht der Medien. Schon wurde in der regierungsnahen Presse durchgespielt, ob Habeck nicht der bessere Kanzler wäre.

Machtkampf Scholz-Habeck?

Das erhöhte die Unruhe bei der SPD. Daher versucht sie nun das Desaster um die Energieabgabe zu nutzen, um Habecks scheinbare Popularität zu unterminieren. Die Grünen sind natürlich nicht erfreut und keilen zurück. Nun soll bei der aktuellen Klausur in Meseberg der Koalitionsfrieden wieder hergestellt werden.

Das mag zeitweise gelingen, schließlich wissen beide Parteien, dass es vorerst keine Alternative gibt, zumindest bis zu den nächsten Landtagswahlen in Niedersachsen. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass sich SPD und Grüne einig sind, dass es darum gehen muss, der Bevölkerung beizubringen, dass Opfer im Krisenwinter alternativlos sind.

Dabei spielt natürlich auch der Ukraine-Krieg eine zentrale Rolle. Da ist es für die Politiker wichtig, dass Putin weiter als derjenige dargestellt wird, der nicht nur für den Krieg, sondern auch für die Folgen verantwortlich ist. Dazu gehört dann auch die Inflation und der Energiemangel in Deutschland. Deswegen wird auch energisch verhindert, dass Zweifel an dieser Lesart aufkommen können. Wer sich die Frage stellt, ob nicht auch die Politik der Bundesregierung ihren Anteil an der Krise hat, wurde gleich als Putin-Freund etikettiert.

Lässt sich die Bevölkerung so regieren?

Die große Frage ist nur: Lässt sich die Bevölkerung so regieren? Oder sieht sie sich nicht davon beleidigt, dass es nicht um politische Inhalte gehen soll, sondern um die Form, wie eine als alternativlos angesehene Politik kommuniziert wird.

Das ist die große Frage auch für die Staatsapparate. Daher wird schon seit Wochen vor Protesten gewarnt, die noch gar nicht begonnen haben. Mal sollen sie von rechts oder links vereinnahmt werden, mal von beiden und dann kommt noch der Vorwurf, hier würden die Montagsdemonstrationen der DDR instrumentalisiert. Dabei waren die spätestens ab Mitte November 1989 durchaus rechtsoffen.

So müsste eigentlich die Maxime lauten, genau den Fehler dieser Montagsdemonstranten nicht zu machen und sich klar von rechts abgrenzen. Derweil streitet sich die Linkspartei, die eigentlich durch die Proteste wieder populärer werden will, wieder einmal selber. Es geht um eine Ein- und Ausladung von Sahra Wagenknecht beim Auftakt des Protests der Linkspartei in Leipzig, Anfang September.

Es ist schon bezeichnend, dass noch vor den letzten Bundestagswahlen die Linken-Spitze, die schon damals nicht zu den Freunden Wagenknechts gehörte, die Politikerin und Lafontaine regelrecht bekniete, doch zumindest einen Auftritt in Thüringen zu absolvieren.

Wenn heute Sahra Wagenknecht, die auf jeden Fall Leute außerhalb der Linken zieht, nicht mehr auf Parteiveranstaltungen reden soll, stellt sich die Frage der Trennung. Welches Signal gibt das aber für den Protestherbst, der die Partei doch eigentlich stärken soll?

Wenn die Linke versagt, wird die Rechte von der Krise profitieren. Schon lange sind die Verfassungsschutzämter der Bundesländer mit Warnungen vor einem heißen Herbst an die Öffentlichkeit gegangen.

Dort wird beschrieben, wie man sich beispielsweise in Berlin auf die Rechten vorbereitet. Die Linke wird dort kaum gefürchtet. Von der linken Szene kämen lediglich allgemeine Aufrufe, den Rechten nicht das Feld zu überlassen, heißt es.

Am wahrscheinlichsten sei es, „dass sich linksradikale Gruppierungen an den Protesten gegen Reichsbürger:innen und Rechtsextremist:innen beteiligen“, beschreibt der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes laut Taz ein Szenario, dass es schon bei den Corona-Protesten gab.

Das wäre dann allerdings der größte Sieg der Rechten und der Staatsapparate, wenn die Linke nicht willens und in der Lage ist, eigenständig Proteste gegen die Krise und ihre Ursachen, den Krieg und den Kapitalismus, zu organisieren und die Rechte auf der Straße und in den Medien präsent ist. Peter Nowak