„Herr Habeck, was braut sich da im Herbst zusammen?“ Diese Frage stellte Markus Lanz dem grünen Bundeswirtschaftsminister am 6. Juli und mit apokalyptischem Unterton zählte er auf: Corona, Inflation und am Ende: kalte Wohnungen. Der Minister konnte da wenig Beunruhigendes sagen und nur versichern, dass eine Triage bei Gas, das heißt eine Zuteilung nach der Wichtigkeit, aktuell nicht anstehe. Schließlich sind wir ja auch mitten im Sommer, akut wird die Frage aber nicht erst zum Beginn der kalten Jahreszeit. Schon in wenigen Wochen könnte es zu einem „D-Day“ beim Gas kommen, also dem Tag der Entscheidung, der eine klar militaristische Note hat, weil damit der Tag bezeichnet wird, an dem die westlichen Alliierten in der Normandie landeten. Jetzt ist damit der Tag gemeint, an dem sich zeigen wird, ob Russland nach den Reparaturen bei Nord Stream 1 die Gasmenge drosselt oder gar einstellt. Dann würde schnell deutlich werden, dass bei allem zur Schau getragenen Selbstbewusstseins …
… des globalen Westens die russische Regierung noch Druckmittel hat. Da muss man sich schon fragen, warum man im Zuge der Ukrainekrise mit der Aufkündigung von Nord Stream 2 Fakten geschaffen hat, obwohl klar war, dass Russland reagieren würde.
Denn es ist offensichtlich, dass die Gaskrise die Folge einer bestimmten Politik ist, die gerade die Grünen schon lange vor dem Ukrainekrieg verfolgt haben. Das macht auch der CSU-Politiker Söder deutlich, wenn er erklärt, dass allein die Bundesregierung verantwortlich ist, sollte es zu einem Gasblackout kommen.
Es zeigt sich, wie brüchig der nationale Burgfrieden gegenüber Russland werden kann, wenn die Energiekrise wirklich für einen Großteil der Bevölkerung spürbar wird. Da sind die Diskussionen um die zeitweise Kappung von Warmwasser durch eine Wohnungsbaugesellschaft nur ein Vorgeplänkel.
Wenn dann eine SPD-Ministerin davon spricht, dass dies eine rechtswidrige Entscheidung sei, so ist das auch nur billiger Populismus. Denn, wenn erst einmal kein Gas mehr da sein sollte im Winter, dann stellt sich die Frage der Rechtswidrigkeit nicht.
Und wenn die Preise so sehr steigen, dass viele Menschen sich die Gasheizung nicht mehr leisten können, wird sich zeigen, ob diese SPD-Politiker dann auch für „Energie für alle“ unabhängig vom Einkommen eintreten.
„D-Day“ für die Grünen
Tatsächlich könnte sich am Ausmaß der Energiekrise und dem Umgang mit ihr vor allem entscheiden, welchen Einfluss die Grünen zukünftig in der deutschen Innenpolitik haben. Aktuell stehen die Zeichen auf Grün.
Die führenden Kapitalfraktionen haben schon lange signalisiert, dass sie die Einbeziehung der Grünen in Regierungsverantwortung wünschen. Grün-Schwarz ist eine Wunschkoalition für diese durchaus relevanten Fraktionen des Kapitals, die die Abkehr vom fossilen Kapitalismus nicht nur nachvollziehen, sondern sogar vorantreiben wollen.
Die Union hat sich schnell angepasst und in NRW und Schleswig-Holstein dem Bündnis mit den Grünen den Vorzug gegeben – und nicht mit der FDP. Sie sahen eben in den Grünen den geeigneteren Koalitionspartner, damit Deutschland im neuen kapitalistischen Regulationsregime mit der Reduzierung der fossilen Energie eine Vorreiterrolle einnehmen könnte. Die Ablehnung russischer Gaslieferungen durch die Grünen hat hier auch einen zentralen Grund.
Die ganze Debatte über Menschenrechte und autoritäre Regimes ist das übliche moralische Brimborium, mit dem die Durchsetzung eines neuen kapitalistischen Akkumulationsregimes mit irgendwelchen angeblichen Werten veredelt werden soll. Dabei ist natürlich allen klar, dass es nur einen Austausch der nichtwestlichen durch die prowestlichen autoritären Staaten gegeben hat.
„Welche autoritären Staaten sollen Russlands Energielieferungen ersetzen„, so die Frage des Handelsblattes. Da war schon deutlich, dass es bei der Durchsetzung des nichtfossilen Akkumulationsprozesses Probleme geben wird.
Dieses Ziel verfolgt natürlich Habeck jetzt weiter, und die durch seine Russlandpolitik mitverursachte Energiekrise könnte das Druckmittel sein, mit der die Bevölkerung in dieses neue Akkumulationsregime gedrängt wird. Dieser Prozess ist per se nicht demokratisch, sondern wird mindestens mit dem stummen Zwang der Verhältnisse, oft auch durch direkte Gewalt durchgesetzt.
Die geopolitische Komponente des Energiekriegs – und der Sieger USA
Denn es kommt noch eine wichtige Komponente hinzu, der geopolitische Kampf zwischen den USA und ihren Verbündeten in der EU gegen die „Deutsch-EU“ im Kampf um die Energie.
„Drei Monate nach dem Beginn der russischen Invasion tobt jenseits der Ukraine eine Schlacht um die Energie, bei der bereits absehbar ist, wer zu den Verlierern und wer zu den Nutznießern zählt. Europa und vor allem Deutschland gehören ohne Zweifel zur ersten Gruppe“, schreiben Matthias Reymond und Pierre Rimbert in der Le Monde Diplomatique.
Die Autoren nennen auch die „fahrlässigen Entscheidungen“ der EU, die zur Verschärfung der Energiekrise führten.
Die EU hat sich seit Kriegsbeginn gleich zwei fahrlässige Entscheidungen geleistet. Zum einen hat man Europas massive Abhängigkeit vom russischen Gas (Anfang 2002: 45 Prozent) und vom russischen Erdöl (27 Prozent) überstürzt statt planvoll reduziert, ohne über eine ähnlich zuverlässige und bezahlbare Ersatzlösung zu verfügen.
Matthias Reymond und Pierre Rimbert, Le Monde Diplomatique
Als zweiten Fehler der EU-Kommission und Deutschlands sehen Reymond und Rimbert, dass sie entgegen der europäischen Interessen auf die Position Washingtons eingeschwenkt seien. Für die USA sei es kein Problem, ein Öl- und Gasembargo gegen Russland zu beschließen, denn sie sind von den Sanktionen nicht betroffen.
Es trifft vielmehr nur die Bevölkerung des alten Kontinents, wenn die russischen Öllieferungen und Raffinerieprodukte bis Ende dieses Jahres auslaufen, wie es die EU-Kommission am 8. März beschlossen hat. „Die großen Leidtragenden bei diesem Energiedeal zwischen Brüssel und den USA sind vor allem die einkommensschwachen Schichten“, so die beiden Autoren, die sich in einer geopolitischen Auseinandersetzung zwischen zwei kapitalistischen Blöcken auf einer Seite positionieren, in diesem Fall gegen die USA.
Die Grünen hingegen waren bereits seit Jahren als entschiedene Gegner der russischen Gasexporte objektiv Unterstützer der geopolitischen Positionen der USA. Dabei ging es aber nur rhetorisch um Menschenrechte und Umwelt. Denn das US-Frackinggas, das die USA als Alternative zu russischen Gas annoncierten, ist keineswegs umweltfreundlicher.
Habeck hat auch bei Lanz klar diese geopolitische Orientierung aufseiten der USA bekräftigt. Er bezeichnete es als Glücksfall, dass es ihnen durch einen Form-Fehler der Gasprom-Verantwortlichen überhaupt möglich war, Nord Stream 2 zu stoppen.
Linke für und gegen Nord Stream 2
Die Linkspartei, die nach ihrem Parteitag ihre internen Differenzen nicht überwunden hat, streitet nun wieder, ob sie angesichts einer drohenden Energiekrise für eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 eintreten soll.
Dies haben Sahra Wagenknecht, Klaus Ernst und andere Bundestagsabgeordnete gefordert. Vor allem der Parteivorstand, aber auch der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch, lehnen diese Position ab.
Dabei dürfte die reflexhafte Reaktion auch ihren Grund darin haben, dass man nicht als „Russlandfreund“ abgestempelt werden will und sich Bündnisoptionen mit den Grünen nicht vergeben will. Sonst müsste erst geklärt werden, ob die Sanktionen nicht am Ende das russische Regime stärken, wie Sahra Wagenknecht und Klaus Ernst behaupten.
Das ist so überraschend nicht, die FAZ hat schon vor einigen Wochen erkannt, dass Putin genügend Abnehmer für Öl aus Russland hat und weltweit die Gaspreise zudem gestiegen sind, sodass das russische Regime tatsächlich von den Sanktionen profitiert hätte.
Zu den Gewinnern gehören auch die USA, die nun die Möglichkeiten haben, ihre Energie in der EU zu verkaufen. Deutschland hingegen, das nicht so schnell alternative Energie auftreiben kann, gehört dabei zu den Verlierern.
Auf einer realpolitischen Ebene stellt sich dann tatsächlich die Frage, warum die Staatsapparate in Deutschland an Sanktionen gegen Russland festhalten, die dem eigenen Land und nicht Russland schaden?
Die Frage, warum eine solche Politik dann weiterverfolgt wird, sollte durchaus gestellt werden.
Aus ökologischen Gründen gegen Nord Stream 2
Es gäbe eigentlich nur einen guten Grund für einen schnellen Ausstieg aus dem russischen Gas und das sind die ökologischen Kosten der Gasproduktion generell. Aus Umweltgründen gibt es gute Gründe, Nord Stream 2 nicht in Betrieb zu nehmen.
Doch dann dürfte man auf keinen Fall Fracking-Gas aus den USA als Alternative nehmen, denn da ist die Umweltbilanz nicht besser. Hier beginnt aber schon das Dilemma aus realpolitischer Option.
Weil ein Großteil der Menschen nicht einfach auf Energie verzichten kann, es aber keine saubere Alternative gibt, stellt sich die Frage, was denn der Vorteil des schnellen Abschieds vom russischen Gas ist. Die Debatte könnte zusätzliche Relevanz bekommen, wenn im Herbst die Folgen der Energiekrise auch in Deutschland spürbar sind und sich vielleicht sogar wieder eine Protestbewegung auf der Straße etabliert.
Dann könnten schnell auch wieder rechtsoffene Kreise daran partizipieren. Daher wäre es wünschenswert, einen linken, emanzipativen Standpunkt zu entwickeln. Der kann nicht darin bestehen, sich im geopolitischen Kampf verschiedener kapitalistischer Machtblöcke auf eine Seite zu stellen. Er könnte darin bestehen, für eine Übergangszeit noch russisches Gas zu nutzen, mit einem klaren Ausstiegsdatum aus ökologischen Gründen.
Vorbild könnte da der AKW-Kompromiss sein, wo ja auch kein sofortiger Ausstieg umgesetzt wurde. Als Übergangstechnologie könnte russische Energie genutzt werden, wenn es dazu keine ökologisch günstigere Alternative gibt. Es sollte um eine Energiepolitik mit ökologischem Hintergrund gehen, geopolitische Einflüsse sollten hingegen keine Rolle spielten. Peter Nowak