Sind rechte Kameradschaften Bündnispartner im Kampf gegen Putin?

Wenn in Mariupol niemand Nazis sehen will

Schlauer wäre es, wenn die Linke Melnyks Rat nicht befolgt und sich auf einen universalistischen Kampf gegen jede Spielart von Faschismus, Nationalismus und Antisemitismus einigt. Eine gute Gelegenheit dazu wären die Kundgebungen und Demonstrationen rund um den Jahrestag der Niederlage des deutschen Nationalsozialismus, der 8. und 9. Mai. Antifaschisten sollten sich aber weder für russische, ukrainische noch deutsche Staatsinteressen vereinnahmen lassen. Sie sollten an diesen Tagen klar bekunden, dass sie sämtliche nationalistische Organisationen, ihre Propaganda und ihre Unterstützer bekämpfen, natürlich auch das Asow- Regiment und Melnyk-Fraktion des ukrainischen Nationalismus.

Via Bild-Zeitung haben die Klitschko-Brüder noch einmal die Forderung nach schweren Waffen an die Ukraine bekräftigt, um Russland zu besiegen. Dabei wurde auch auf „tapferen Verteidiger“ der ukrainischen Stadt Mariupol verwiesen. Was dabei aber gerne verschwiegen wird, unter diesen so tapferen Verteidigern sind ausgewiesene Nazis, die sogenannte Asow-Brigaden. Sie haben sich …

… im Mai 2014 als Freiwilligenbataillon in der Stadt Berdjansk gegründet, um die ukrainische Armee im Kampf gegen die prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine zu unterstützen. Einige Kämpfer waren zuvor Teil des sogenannten „Rechten Sektors“, einer kleinen, aber aktiven Gruppe extremer Rechter in der Ukraine.

„Es waren Gruppen, die man in Deutschland als freie Kameradschaften beschreiben würde“, sagt Andreas Umland, Experte am Stockholmer Zentrum für Osteuropa-Studien, im DW-Gespräch. Auch das Antifaschistische Infoblatt hat schon ausgiebig über die Asow-Brigaden berichtet.

Roma in der Ukraine am Pranger

Linke und verschiedene ethnische und sexuelle Minderheiten in der Ukraine haben schon lange unter den Rechten in der Ukraine zu leiden. Über die Unterdrückung der Roma berichtet Fabian Kienert in der Wochenzeitung Kontext.

Das Roma Antidiscrimination Network hat am 24. März dieses Jahres Fotos veröffentlicht, die an Pfosten gefesselte Roma zeigen. Ihnen wurde zum Vorwurf gemacht, sie hätten geplündert. Die Überschrift des Netzwerkes lautete: „Zurück ins Mittelalter. Roma am Pranger in der Ukraine.“

Kremlnahe Telegram-Kanäle verbreiten diese Fotos als Propagandamaterial für den Vorwand der Entnazifizierung als Kriegsgrund, in der Ukraine werden sie von Rechtsextremen verbreitet, die sich mit ihren Taten brüsten.

Unerwünschte Kritik

Betroffen sind Gruppen, die schon lange Verfolgungen ausgesetzt sind, wie die Minderheit der Roma, aber auch sexuelle Minderheiten. In Deutschland bestehen hingegen große Hemmungen, solche Nachrichten zu verbreiten, könnte doch deutlich werden, dass der Mythos von der im Kampf gegen die russischen Truppen vereinigten Ukraine dadurch Schaden nimmt.

Das konnte ich als Betreiber eines Blogs in der Wochenzeitung Freitag selber erfahren. Auf einen Text, auf den ich mit Quellen belegt, darauf hinwies, dass unter den Verteidigern von Mariupol ausgewiesene Nazis sind, die hierzulande verboten wären, und die Frage stellte, ob die Ausschaltung dieser schwerbewaffneten Nazis nicht auch dann die Welt zu einen besseren Ort macht, wenn sie von der russischen Armee erfolgt, bekam folgende Mail:

Ihr Blog „Ist Mariupol das Grab der ukrainischen Faschisten?“ wurde von der Seite der Freitag-Community entfernt, weil er gegen die Netiquette verstößt. 

Mit freundlichen Grüßen 

Community-Support | der Freitag

Es ist schon bemerkenswert, dass für die Zensur antifaschistischer Texte niemand namentlich die Verantwortung übernimmt, sondern eine anonyme Community-Support eine nichtssagende Phrase als Grund angibt.

Ein Glück, dass es eine solchen Community Support nicht bereits vor 80 Jahren gegeben hat. Dann hätten antinazistische Autoren nicht die verdiente Niederlage der Nazis in Deutschland publizistisch befeuern können.

Dieses Beispiel einer Zensur für Texte, die darauf verweisen, dass unter den so hoch gelobten Verteidigern von Mariupol auch schwerbewaffnete Nazis befinden, habe ich als Beispiel dafür angeführt, wie selektiv hierzulande selbst im linken und linksliberalen Milieu mit Faschisten umgegangen wird. Galt dort vor wenigen Monaten noch jeder, als Nazi, der die Corona-Schutz- Maßnahmen infrage stellte, so wollen manche dieser Linksliberalen in der Ukraine pardou auch dann keine Nazis mehr erkennen, wenn diese sich klar in Theorie und Praxis in deren Tradition stellen.

Es gibt aber keinen Grund, die Aktivitäten der Rechten zu verschweigen, aus Angst, damit der russischen Propaganda aufzusitzen. Im Gegenteil, das Thema muss von solidarischen Gruppen weltweit aufgegriffen werden, auch um zu zeigen: dass die russische Regierung, die selber gegen politische Minderheiten repressiv vorgeht und Rechte in aller Welt unterstützt, nun am wenigsten geeignet ist, sich als Vorkämpfer für gesellschaftliche Minderheiten aufzuspielen. Zudem gehört den Opfern der Rechten überall unsere Solidarität, egal es sich um proukrainische oder prorussische Faschisten handelt, die es natürlich ebenfalls gibt.

Die Zeitschrift „Der rechte Rand“ ist in einem Beitrag sehr differenziert mit der Problematik umgegangen, das Narrativ der russischen Regierung von der Entnazifizierung der Ukraine zurückzuweisen, ohne die realen Nazis in der Ukraine zu leugnen.

Dass die russische Propaganda sich auch auf den Umgang mit und das Gedenken an Bandera kapriziert, macht dessen Verehrung auf ukrainischer Seite nicht weniger problematisch und dass die »Entnazifizierung« auch mit der Tätigkeit des extrem rechten Regiments »Azov« begründet wird, macht dessen Existenz nicht wett.

Der rechte Rand

Die Melnyk-Fraktion der ukrainischen Nationalisten

Zu den größten Verteidigern von Asow und Co. gehört der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk. Er machte seinen Besuch am Grab des antisemitischen ukrainischen Nationalisten und NS-Kollaborateurs Stepan Bandera in München auf Twitter publik.

„Bandera, den Melnyk als „unseren Helden“ bezeichnete, war Politiker der ukrainischen Nationalisten OUN, arbeitete im Zweiten Weltkrieg mit der Wehrmacht zusammen und gilt überwiegend als Kriegsverbrecher“, schreibt die Frankfurter Rundschau.

Nach einem kritischen Beitrag über die Asow-Brigade twitterte Botschafter Melnyk:

Leute, liebe @tagesschau,lassen Sie doch endlich das Asow-Regiment in Ruhe. Bitte. Wie lange wollen Sie dieses russische Fake-Narrativ – jetzt mitten im russischen Vernichtungskrieg gegen Zivilisten, gegen Frauen und Kinder in Mariupol – bedienen?

Der Historiker Johannes Spohr verweist in einem informativen historischen Beitrag zur Ukraine in der Monatszeitung analyse und kritik auf Verbindungen der ukrainischen Rechten, die die Positionierung des Botschafters erklären könnten. Über das Verhalten von großen Teilen der ukrainischen Bevölkerung während der NS-Besatzung schreibt Spohr:

Während die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem bis zum 1. Januar 2021 2.673 Menschen aus der Ukraine als »Gerechte unter den Völkern«, die also nachweislich Jüdinnen und Juden halfen zu überleben, auszeichnete, beteiligten sich Ukrainer:innen ebenso an der Verfolgung und Ermordung ihrer jüdischen Nachbar:innen. Zu einer Reizfigur im Zusammenhang der Kollaboration ist der zeitweilige Kopf der ukrainisch-nationalistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), Stepan Bandera, geworden, der in Teilen der heutigen Ukraine als Nationalheld gilt, obwohl er nachweislich Massaker an Jüdinnen und Juden sowie Pol:innen zu verantworten hatte. Weniger bekannt ist die Melnyk-Fraktion der ukrainischen Nationalisten (OUN-M), die anders als die Bandera-Fraktion (OUN-B) häufig lokal und kontinuierlich mit der deutschen Verwaltung und Polizei zusammenarbeitete.

Johannes Spohr, Historiker, analyse und kritik

Für Antifaschisten stellt sich nun auch in Deutschland die Frage, ob sie sich dem Ratschlag der Melnyk-Fraktion fügen und Asow und andere rechte Kameradschaften in Ruhe lassen sollen. Dann wären sie Teil einer Front, die nicht zum ersten Mal Nazis als extreme Speerspitze im Kampf unterschiedlicher kapitalistischer Blöcke unterstützt. Peter Nowak