Die Posse um den angeblich mit AfD-Stimmen gewählten Linken-Bürgermeister in Berlin Pankow ist exemplarisch für Reflexe, die dem Kampf gegen Rechts eher schaden

Die unfreiwillige Aufwertung der AfD

Statt darüber zu streiten, ob ein Kandidat kontaminiert ist, wenn er mit AfD-Stimmen gewählt wird, sollte doch besser diskutiert werden, wie eine linke Politik im Bezirk aussehen könnte, die dazu beiträgt, dass die AfD weniger Stimmen bekommt und so gar nicht mehr die Gelegenheit bekommt, einen Bürgermeisterkandidaten mitzuwählen.

Auf der Webseite des Berliner Bezirks Pankow wird sachlich über die Wiederwahl des Bezirksbürgermeisters Sören Benn berichtet, der Mitglied der Partei Die Linke ist. Er bekam am 4. November 29 Ja-Stimmen, 24 Abgeordnete stimmten gegen ihn und zwei Mitglieder der Bezirksparlament enthielten sich. Doch mittlerweile wird diese Bezirkswahl zum bundesweiten Politikum, weil nicht auszuschließen sind, dass …

… einzelne Stimmen aus der AfD-Fraktion kommen.

Die Pankower AfD behauptet in einer Pressemitteilung, ihre Fraktion habe geschlossen für Benn gestimmt. Die Grünen in Pankow sprechen von einen Tabubruch in dem Bezirk, im Abgeordnetenhaus ist von einem „Dammnbruch“ die Rede. Die Pankower Grünen hatten als stärkste Fraktion selbst auf das Bürgermeisteramt gesetzt. Es kam zum Streit, weil Die Linke das Amt behalten wollte.

Das ist auch in anderen Bezirken übliche Praxis. Dort werden sogenannte Zählgemeinschaften mit anderen Parteien gebildet, die dann eben die Bürgermeisterwahl unter sich ausmachen. In Pankow hatte Die Linke eine Zählgemeinschaft mit der SPD gebildet, die aber keine Mehrheit ergab. Grüne, FDP- und CDU-Fraktion hatten angekündigt, nicht für Benn zu stimmen. Mit der AfD hatte es keine Verhandlungen gegeben.

Allerdings warnten die Pankower Grünen schon einen Tag vor der Wahl: „Die rot-rote Zählgemeinschaft hat 23 Stimmen – es fehlen fünf Stimmen zur Mehrheit. Wir sind uns sicher, dass keine der demokratischen Parteien eine Wahl durch die AfD akzeptiert oder eine Zusammenarbeit mit ihr anstrebt.“

Toxische Stimmen?

Es versteht sich von selbst, dass die Grünen sofort auf die Barrikade gingen, nachdem die AfD sich rühmte, Benn mitgewählt zu haben. Jetzt hat Die Linke noch ein Problem mehr. Es ist auch längst nicht klar, ob Benn den Posten behalten kann. Denn die Polemik gegen ihn ist scharf. So wird ihm von dem Sender RBB vorgeworfen, die Würde des Amtes verletzt zu haben und entweder ein Hasardeur oder ein Naivling zu sein.

Dabei behauptet die Kommentatorin sogar, es sei gar nicht entscheidend, ob die Behauptung der AfD überhaupt der Realität entspricht und Benn nicht etwa von anderen Fraktionen gewählt wurde. Die Wahrheit wird vielleicht nie ans Licht kommen, weil es sich ja um eine geheime Wahl handelte, das weiß auch die Kommentatorin Agnes Sundermeyer. Dabei müsste sie doch eigentlich erkennen, dass ihre maßlose Polemik selbst ein Angriff auf diese geheime Wahl ist.

Alle Mandate in der Bezirksverordnetenversammlung sind nach den Regeln der bürgerlichen Wahl korrekt zustande gekommen, was auch die Kritiker nicht bestreiten. Dann ist es aber schwer erklärlich, dass einige dieser Mandate quasi als toxische Stimmen betrachten werden, die andere vergiften, wenn sie sie nur wählen. Da hat Bürgermeister Benn in einem taz-Interview zu der Strategie der AfD klar gesagt:

Aber das ist doch Teil der Nummer. Ein vergiftetes Lob, als wenn dich ein Zombie berührt in der Hoffnung, dass du auch zum Zombie wirst. Der Zombie findet in unserem Kopf statt. Wenn die AfD links außen lobt, was ist der Zweck davon? Denjenigen zu beschädigen und sich ins Spiel zu bringen. Die ganz Stadt redet seit Stunden über die AfD – über fünf Figuren in einer kleinen BVV.

Sören Benn

Allerdings hatte Benn zuvor alles als Frage der Glaubwürdigkeit dargestellt, obwohl er auch nicht ausschließen kann, dass er mit AfD-Stimmen gewählt wurde. Dabei hätte er nur darauf hinwiesen müssen, dass ja eher die AfD-Mandatsträger sich vor ihren Wählern rechtfertigen müssen, wenn sie einen Bürgermeister der Linken wählen, der angekündigt hat, eine antifaschistische Politik zu machen.

Linke Politik statt Streit um AfD-Stimmen

Statt darüber zu streiten, ob ein Kandidat kontaminiert ist, wenn er mit AfD-Stimmen gewählt wird, sollte doch besser diskutiert werden, wie eine linke Politik im Bezirk aussehen könnte, die dazu beiträgt, dass die AfD weniger Stimmen bekommt und so gar nicht mehr die Gelegenheit bekommt, einen Bürgermeisterkandidaten mitzuwählen.

Dann müsste auch erwähnt werden, dass eine Zählgemeinschaft von Linken und Grünen auch daran scheiterte, dass der bisherige Stadtrat der Grünen für Stadtentwicklung in Pankow, Vollrad Kuhn, als nicht besonders mieterfreundlich bekannt war. Man sollte auch darüber reden, dass die AfD in der Mietenfrage mit FDP und Union zum Eigentümerblock gehört, die jede mieterfreundliche Reform, die die Profite der Eigentümer schmälert, bekämpft.

Über diese Gemeinsamkeiten der kapitalfreundlichen Parteien, zu denen auch die AfD gehört, wird gerne geschwiegen. Daher ist heute auch kaum noch bekannt, dass sich ein CDU-Präsidentschaftskandidat namens Gerhard Schröder 1969 in der Bundesversammlung auch mit den Stimmen der NPD, die damals mit zahlreichen Bundesländern im Parlament saß, hätte wählen lassen.

Nur weil die FDP einen Schwenk zur SPD machte und Gustav Heinemann mitwählte, kam es nicht zu dieser schwarz-braunen Liaison. Daran wurde gelegentlich erinnert, als der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Hilfe der AfD im Januar 2020 in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Damals meinten auch Politiker der Linken, die kurze Zeit in dem Bundesland die Regierung verloren, fast die Vorzeichen von 1933 zu erkennen.

Die zum Teil völlig überzogenen Reaktionen ebnen jetzt den Kritikern von Sören Benn den Weg. Sie verweisen darauf, dass in Thüringen gerade Die Linke so vehement betont habe, wie toxisch AfD-Stimmen seien. Wenn sich auch die Verhältnisse zwischen Pankow und Thüringen erheblich unterscheiden, könnte es hier auch noch innenpolitische Auseinandersetzungen in der Linken geben.

Für eine Versachlichung der Debatte wirbt die antifaschistische Organisation VVN-BdA, die betont, dass sie die Politikerinnen und Politiker der SPD, der Grünen und der Linken in Pankow als engagierte Antifaschisten kennt. Die VVN-BdA ruft alle drei Parteien auf, sich wieder an einen Tisch zu setzen. Denn von einer Fortsetzung des Streits könnte vor allem die AfD profitieren.

Und es ist tatsächlich so, dass diese Partei aufgewertet wird, wenn deren Stimmen für toxisch erklärt werden. Das könnte ihre Wählerbasis eher verbreitern, sie können Politiker schon dadurch diskreditieren, dass sie sie einfach ohne jede Vorabsprache wählt. Einfacher kann man eine Partei nicht aufwerten.(Peter Nowak)

Erstveröffentlichungsort: