„Demo läuft gut“, twitterte Michael Ballweg von der „Querdenken“-Bewegung. Seit Sonntagvormittag versuchten sich Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen in Berlin Richtung Innenstadt durchzuschlagen. Eigentlich hatte die Bewegung nach dem Vorbild vom letzten Jahr eine Großdemonstration rund um die Siegessäule geplant und für 22.500 Menschen angemeldet. Doch das …
…. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte die Versammlung am Samstagabend letztinstanzlich verboten.
Leben und Gesundheit von Menschen seien mit Blick auf die Gefahr einer Covid-19-Infektion unmittelbar gefährdet, wenn die Versammlungsteilnehmer den Mindestabstand und die jeweils zu beachtenden Hygieneregeln wie das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske missachteten, hieß es Die Begründung stieß auch über das „Querdenken“-Milieu hinaus auf Unverständnis, da es in den letzten Wochen mehrere größere Demonstrationen gegeben hatte, auf denen auch nicht besonders auf Abstand und Masken geachtet worden war.
Doch schon am Samstagabend rief Michael Ballweg dazu auf, an diesem Sonntag trotzdem auf die Straße zu gehen. Schon in den frühen Morgenstunden versammelten sich Tausende im Berliner Westen und lieferten sich auf den Weg in die Innenstadt ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei.
Da sie sich dabei auf verschiedenen Routen bewegten, war es schwer zu erkennen, wie viele Gegner der Corona-Maßnahmen in Berlin insgesamt auf der Straße waren. Auf jeden Fall wurde die Teilnehmerzahl des Vorjahres nicht erreicht. Einige YouTuber sahen es denn auch als Erfolg, dass die Zahl derjenigen gewachsen ist, die das Geschehen digital beobachteten.
Antifaschistische Parolen auf rechtsoffener Demonstration
Der Charakter der Demonstration erinnerte an die „Querdenken“-Proteste der letzten Monate. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehört nicht dem rechten Spektrum an. Gelegentlich hat man den Eindruck, dass man sich auf einer Demonstration der Friedensbewegung der frühen 1980er Jahre bewegt. Verschiedene Generationen und Kulturen waren vertreten, Punks liefen neben Angehörigen irgendwelcher religiösen Kleingruppen.
Nicht zu übersehen waren die roten Fahnen der „Freien Linken, die auch immer wieder antifaschistische Parolen skandierten. Allerdings blieb offen, welcher Faschismusbegriff da gemeint ist. Viele verstehen darunter das „Corona-Regime“, eine pauschale Bezeichnung für die mit der Pandemie begründeten Einschränkungen des öffentlichen Lebens.
Bei einem solchen Faschismusbegriff können dann auch offen rechte Gruppen und Einzelpersonen an der Demonstration partizipieren, ohne sich an den antifaschistischen Parolen zu stören. Offen rechte Parolen und Transparente waren aber kaum zu sehen.
Einige Deutschlandfahnen mit der Parole „Merkel muss weg“ waren die Ausnahme. Schwarz-rot-goldene Wimpel gab es öfter, aber die sind ja schon lange bis weit in die Linke ein akzeptiertes Symbol. Einige der YouTuber, die die Demonstration streamten, verbargen ihre rechte Gesinnung hingegen nicht. So polemisierte der Schweizer Ignaz Bearth, einer der Streamer, zwischen den Kommentaren zur Demonstration gegen die „kriminelle Antifa“, die Black Lives Matter Bewegung und die „Genderideologie“.
Kapitalismuskritik und Lob auf das Freie Unternehmertum
Schon am Samstag konnte man auf dem Nettelbeck-Platz in Berlin-Wedding die Koexistenz verschiedener Ideologiefragmente innerhalb der „Querdenken“-Bewegung beobachten. Dort hatten verschiedene Gruppierungen aus dem Umfeld der Corona-Maßnahmen-Kritiker ihre Stände aufgebaut. Während sich die „Freie Linke“ sehr kapitalismuskritisch gab, beschworen andere das freie Unternehmertum.
Ein Chor der „Basisdemokratischen Partei beschwor, man wolle freie Bürger statt Untertanen sein. Auch das Unternehmen Wirkraft, das ein Videospiel mit dem Versprechen auf Wohlstand für Alle vertreibt, war vertreten. Die rechtskonservative Zeitung Epoch Times konkurrierte mit der bewegungsorientierten Publikation „Demokratischer Widerstand“. Wenn es gegen die Corona-Maßnahmen geht, will man keine Ideologien mehr kennen.
Solidarische Praxis entwickeln
Doch dagegen regte sich auch Widerstand. Das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ machte mit verschiedenen Kundgebungen deutlich, dass man mit Rechten keine Grundrechte verteidigen kann. Auf einer dieser Versammlungen rief in Redner von Medico International zu einer solidarischen Praxis auch zu Corona-Zeiten und zur Unterstützung von Arbeitskämpfen im Gesundheitswesen auf. Dabei nannte er ausdrücklich die Berliner Krankenhausbewegung. Zudem wandte er sich gegen eine Kultur der Denunziation, die während der Corona-Lockdowns Einzug gehalten hatte.
Somit wurde auch deutlich, dass es auch Kritiker der rechtsoffenen „Querdenker“-Aktivitäten gibt, die nicht alle Corona-Maßnahmen abfeiern. Das ist notwendiger denn je. Denn obwohl die Infektionsgefahr unter Feiernden in Innenräumen größer ist, werden immer wieder Partys im Freien unter Verweis auf die Corona-Maßnahmen oder auch den Schutz von Wiesen und Parks aufgelöst. In der Nacht zum Sonntag sorgte erneut eine solche Party in einen Park in Berlin-Mitte für einen stundenlangen Polizeieinsatz. (Peter Nowak)