Die Polizei als Teil der Exekutive muss sich gefallen lassen, von der Presse scharf kritisiert zu werden, so der Presserat zur Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah

Radikale Polizeikritik von Meinungsfreiheit gedeckt

Die Rechten werden sich durch die Entscheidung des Presserats und die wahrscheinliche Einstellung der juristischen Klagen gegen Yaghoobifarah sicher nicht beeinflussen lassen. Aber anders als noch vor einigen Jahrzehnten haben sie diese Staatsapparate momentan nicht auf ihrer Seite.

Ende Juni war eine polizeikritische taz-Kolumne der Publizistin Hengameh Yaghoobifarah für wenige Tage zum Aufregerthema geworden. Dort hatte sie sich Gedanken über die Frage gemacht, was mit den Polizisten passieren soll, wenn  …..

…. die Polizei abgeschafftwird, der Kapitalismus aber noch nicht.

In welche Branchen kann man Ex-Cops dann überhaupt noch reinlassen? Schließlich ist der Anteil an autoritären Persönlichkeiten und solchen mit Fascho-Mindset in dieser Berufsgruppe überdurchschnittlich hoch. Oder haben Sie schon mal von einem Terrornetzwerk in der Backshop-Community gehört? Ich nämlich auch nicht.

Hengameh Yaghoobifarah, Taz

Nachdem sie verschiedene Betätigungsfelder für die dann arbeitslose Polizei in Erwägung gezogen und wieder verworfen hat, kommt Yaghoobifarah zu dem Fazit:

Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.

Hengameh Yaghoobifarah, Taz

Die Polizeigewerkschaften reagierten mit Strafanzeigen, selbst Innenminister Seehofer kokettierte kurzzeitig mit einer Klage, beließ es dann aber bei der Ankündigung. Derweil solidarisierten sich Künstler und antifaschistische Gruppen mit der Kolumnistin. Seehofer wandte sich dann, wie auch viele andere Kritiker des Beitrags, an den Presserat. Sie verlangen eine Verurteilung wegen Verletzung des Pressecodex.

Polizei muss sich scharfe Kritik gefallen lassen

Jetzt hat der Presserat entschieden, dass ihre Satire nicht gegen den Pressekodex verstößt. Die Gedankenspiele der Autorin über die Zweitverwendung der Polizei seien von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Die Polizei als Teil der Exekutive muss sich gefallen lassen, von der Presse scharf kritisiert zu werden, bewertete der Beschwerdeausschuss. Die Satire bezieht sich im Kern auf die gesellschaftliche Debatte über strukturelle Probleme bei der Polizei wie Rechtsradikalismus, Gewalt und Rassismus. Die Mitglieder kamen mit überwiegender Mehrheit zu dem Schluss, dass der Text nicht gegen die Menschenwürde von Polizistinnen und Polizisten nach Ziffer 1 des Pressekodex verstößt, da sich die Kritik auf eine ganze Berufsgruppe und nicht auf Einzelpersonen bezieht. Die Polizei ist zudem eine gesellschaftlich anerkannte Berufsgruppe, die nicht unter den Diskriminierungsschutz nach Ziffer 12 des Pressekodex fällt, anders als etwa Angehörige von religiösen oder ethnischen Minderheiten.

Aus der Erklärung des Presserats

Damit legt der Presserat die Meinungsfreiheit weiter aus als die Justiz, die bei der Frage, ob die Aussage „Soldaten sind Mörder“ strafbar ist, nach langjährigen Prozessenzu einer Entscheidung kam, dass auch die Bundeswehr beleidigt werden kann.

Der Erste Senat gab schließlich den Verfassungsbeschwerden der vier verurteilten Pazifisten statt. Er verkündete am 7. November 1995, dass der Ausspruch „Soldaten sind Mörder“ weiterhin nur als Beleidigung strafbar sei, wenn damit eindeutig ein einzelner Soldat oder speziell etwa die Bundeswehr herabgesetzt werde.

Eine Verurteilung sei jedoch ausgeschlossen, wenn die Äußerung als generelle Kritik an „Soldatentum“ und „Kriegshandwerk“ zu verstehen sei. Solch eine allgemeinpolitische Aussage werde durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.

Hier beginnen schon die Auslegungsprobleme. Lässt sich überhaupt so leicht abgrenzen, ob die Bundeswehr oder Militär allgemein verurteilt wird? Es wäre durchaus zu fragen, ob nicht auch bei allen Religionen und ethnischen Bestimmungen der Grundsatz gelten sollte, dass sie keinen besonderen Respekt verdienen, aber sehr wohl die einzelnen Menschen. Da wäre es also durchaus auch vernünftig zu differenzieren.

Eine emanzipatorische Islamkritik ist sehr wohl von Ressentiments gegen Muslime zu unterscheiden und islamischer Rassismus von der sogenannten Islamophobie, einem Vorwurf, mit dem oft Islamkritik abgewehrt werden soll.

Geschmacksfragen, über die sich streiten lässt

Mit der Entscheidung des Presserats ist natürlich auch die Diskussion über die Kolumne nicht beendet. Schließlich hieß es in der Erklärung des Presserats:

„Die Wortwahl ‚Mülldeponie‘ als einziger Ort für die Polizei berührt aus Sicht des Presserats Geschmacksfragen, über die sich streiten lässt, die aber keine Grundlage für die ethische Bewertung sind. Die Interpretation einiger Beschwerdeführer, Polizisten würden mit Müll gleichgesetzt, ist aus Sicht des Gremiums nicht zwingend. Es handelt sich hier um ein drastisches Gedankenspiel, das aber – wie aus der Kolumne hervorgeht – Raum für unterschiedliche Interpretationen bietet und daher noch unter die Meinungsfreiheit fällt.“

Auch in der taz gab und gibt es vehemente Kritikerinnen und Kritiker der Kolumne. Erst vor wenigen Tagen lobte Stefan Alberti in der taz den Mut der Polizisten beim sogenannten rechten Reichstagssturm, der wohl mehr ein Fotoshooting auf der Reichstagstreppe war.

Es gibt in diesen Tagen und Wochen viele, die – zu Recht – viel über die Demokratie reden und darüber, dass sie geschützt werden müsse. Manchmal aber muss man es einfach auch tun. Das haben jetzt in einem entscheidenden Moment ausgerechnet drei Männer gemacht, die zu einer Berufsgruppe gehören, die sich mit Müll gleichsetzen, als generell gewaltorientiert und rechtslastig bezeichnen lassen musste.

Stefan Alberti, Taz

„Ihrer Kollegin blüht noch Einiges“

Hier hat Alberti die Gelegenheit genutzt, sich noch einmal von der Kolumne und auch von radikaler Polizeikritik, die nicht nur immer von Einzelfällen reden will, zu distanzieren. So gibt es also genügend Diskussionsstoff.

Zumal die taz erst kürzlich bekannt machte, dass rechte Anrufer auch in der taz-Redaktion mehr über Hengameh Yaghoobifarah erfahren wollten und die Spur zur Polizei führt.

Am Freitag, den 17. August 2018 ruft ein Mann bei der taz an, der zu einem der Geschäftsführer durchgestellt wird. Er sagt, er sei Polizist vom Abschnitt 36, Berlin-Wedding. Es gehe um eine Strafanzeige gegen unbekannt, die Hengameh Yaghoobifarah erstattet habe. Yaghoobifarah schreibt seit Jahren für die taz, vor allem eine Kolumne. Der Anrufer fragt nach Yaghoobifarahs Kontaktdaten. Der Geschäftsführer will ihn an eine der beiden stellvertretenden Chefredakteurinnen weiterleiten. Er erreicht sie nicht. 

Ein paar Tage später, am 22. August gegen 15 Uhr, ruft der Mann erneut an, mit unterdrückter Nummer. Dieses Mal erreicht er die Chefredaktion. Sie hat in der Zwischenzeit erfahren, dass Yaghoobifarah keinen Kontakt zu einem Polizeirevier im Wedding hatte. Und überhaupt: Irgendetwas stimmt nicht. Sie bittet den angeblichen Polizisten so lange um seine Kontaktdaten, bis er das Gespräch mit einer Drohung beendet: „Ihrer Kollegin blüht noch einiges.“

taz

Die Rechten werden sich durch die Entscheidung des Presserats und die wahrscheinliche Einstellung der juristischen Klagen gegen Yaghoobifarah sicher nicht beeinflussen lassen. Aber anders als noch vor einigen Jahrzehnten haben sie diese Staatsapparate momentan nicht auf ihrer Seite. (Peter Nowak)