Die „Black Lives Matter“-Bewegung in den USA hat in den letzten Wochen auch in Deutschland zum Aufschwung der antirassistischen Bewegung geführt. Vor allem junge Menschen sind nicht nur aus Solidarität mit George Floyd auf die Straße gegangen. Dafür hatten sie auch in den deutschen Medien und Staatsapparaten noch Sympathiepunkte gesammelt. Es war schon erstaunlich, welch große Sympathie teilweise Denkmalstürze und militante Demonstrationen hatten, wenn sie in den USA stattfanden. Da darf man wohl unterstellen, dass da auch mehr als eine Prise ….
…. Anti-US-Amerikanismus eine Rolle spielte. Schließlich wollten manche den US-Amerikanern noch immer nicht verzeihen, dass sie mitgeholfen haben, das NS-Regime zu zerschlagen.
Die falschen Freunde der „Black Lives Matter“-Bewegung in Deutschland
Zum Standardrepertoire des Anti-US-Amerikanismus gehörte schon immer der Vorwurf, dort hätte man ja den Eingeborenen das Land geraubt. Das stimmt auch. Nur müsste man dazu sagen, dass da die USA eine ähnliche Geschichte wie alle bürgerlichen Nationalstaaten haben. In Europa wird natürlich gerne vergessen, dass die schon einige Jahrhunderte zurückliegenden Nation-Building dort ebenso blutig verlaufen ist wie die Eroberung der USA durch europäische Kolonisatoren. Landraub und Unterdrückung waren sozusagen ein europäisches Exportprodukt.
Um aber einem indigenen Romantizismus vorzubeugen, sollte man nicht unerwähnt lassen, dass auch in deren Kulturen diese Methoden praktiziert wurden. Es sind Merkmale von Klassengesellschaften überall auf der Welt.
Wenn es Rassismus in der deutschen Polizei nicht geben darf
Aktuell kann man die falschen Freunde der Black-Lives-Matter-Bewegung in Deutschland von den Antirassisten dadurch unterschieden, dass letztere auch in Deutschland gegen Rassismus auf die Straße gehen. Nicht wenige derer, die noch vor wenigen Tagen US-Präsident Trump heftig kritisiert haben, weil er die neue außerparlamentarische Bewegung ähnlich angreift wie Politiker der meisten im Bundestag vertretenen Parteien 2017 die Demonstrationen gegen den G20-Gipfel in Hamburg, reagierten wütend, als plötzlich auch die Polizei in Deutschland in den Fokus der antirassistischen Kritik geriet.
Sie sind wie Bundesinnenminister Horst Seehofer der Meinung, dass es in der deutschen Polizei schon deshalb keinen Rassismus gebe könne, weil der ja verboten ist. Eine Studie darüber sei deshalb auch nicht erforderlich. Dass sogar juristisch schon festgeschrieben wurde, dass es auch in Deutschland Racial Profiling gibt, ficht Seehofer nicht an. Nun ist das Argument so falsch nicht, dass es eigentlich keine vom Bundesinnenminister in Auftrag gegebene Studie braucht, um zu wissen, dass es auch bei der deutschen Polizei rassistische Praktiken gibt.
Schließlich gibt es seit Jahren zivilgesellschaftliche Organisationen, die den Zustand der deutschen Gesellschaft ohne staatlichen Auftrag unter die Lupe nehmen. Dazu gehört die seit 1994 jährlich aktualisierte Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI). Gerade ist die Aktualisierung für das Jahr 2019 öffentlich geworden. Der Schwerpunkt liegt bei der Polizeigewalt gegen Geflüchtete in Deutschland.
In der Pressemitteilung zur aktuellen Ergänzung heißt es:
Die Dokumentation der vergangenen 27 Jahre zeigt, dass mindestens 1.298 geflüchtete Menschen durch Gewaltanwendungen von Polizistinnen, Polizisten und Bewachungspersonal verletzt wurden – für 28 Menschen endete diese Gewalt tödlich. 24 Tötungen (86 %) und 1050 (81 %) zum Teil schwerste Verletzungen entfallen auf die direkte Einwirkung von Angehörigen der Polizei.
Antirassistische Initiative Berlin
Es geht nicht um individuelles Verhalten, sondern um rassistische Strukturen
Die ARI widerspricht einer auch in der jüngsten antirassistischen Bewegung stark vertretenen Perspektive, die Rassismus vor allem als individuelles Handeln begreift und daher fordert, dass wir alle Rassismus verlernen müssten, als handele es sich um eine schlechte Charaktereigenschaft.
Demgegenüber stellt die ARI klar.
Grundlegende Ursache für Gewalt von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gegen People of Color ist der strukturelle und gesellschaftliche Rassismus in Deutschland. Geflüchtete sind polizeilichen Aktionen durch ihre weitgehende Entrechtung in besonderem Maße ausgesetzt. Seien es sprachliche Barrieren, seien es Orte der Isolation – Haftzellen, Flüchtlingslager oder Abschiebeflugzeuge -, in denen Gewalt ausgeübt wird. Die Betroffenen sind in diesen Situationen meist mehreren bewaffneten Uniformierten hilflos ausgesetzt.
Antirassistische Initiative Berlin
Für dieses rassistische Behördenhandeln gibt es in der aktuellen Dokumentation viele Beispiele. Die Causa Oury Jalloh dürfte noch recht bekannt sein, weil eine kleine Dessauer Initiative sich trotz Repression vor Ort nicht hat mundtot machen lassen. Trotz ihres Engagements und Unterstützung auch aus dem Ausland, ist es nicht gelungen, das Verfahren um den 2005 in der Dessauer Polizeizelle verbrannten Mann noch einmal aufzurollen.
Als ein Staatsanwalt dazu bereit war, von einem möglichen Mord durch die Polizei sprach und auch Motive benannte, wurde ihm das Verfahren entzogen. Weniger bekannt ist der in der Dokumentation benannte Amad Ahmad, der am 17. September 2019 in einer Zelle der JVA Kleve verbrannte. Die Umstände sind weiterhin unklar. Doch noch absurder ist, dass der Mann nie hätte in der Zelle sitzen dürfen.
Der syrische Kurde wurde angeblich mit einem Mann aus Mali verwechselt, der einen ähnlichen Namen trug.
Da bleibt ein Erschrecken zurück
In einer Taz-Reportage wurde der Fall noch mal aufgerollt. Dort wird auch beschrieben, was Amad Ahmad ins Gefängnis brachte:
Am 4. Juli um 12.07 Uhr passiert dort nach Unterlagen der Staatsanwaltschaft das, was den Geflüchteten mehr als zwei Monate unschuldig in Haft bringt: Die Regierungsangestellte Katarina J. kombiniert Informationen, die sich in der landeseigenen Polizeidatenbank ViVA über den hellhäutigen Kurden aus Syrien fanden, mit Daten, die in der INPOL-Software des Bundes über einen schwarzen Mann aus Mali gespeichert waren. Dieser wird von der Staatsanwaltschaft Hamburg wegen Diebstählen per Haftbefehl gesucht. Sein Name: Amedy G.
Taz
Weder der Name noch das Foto des per Haftbefehl Gesuchten stimmten mit den verhafteten Amad Ahmed überein, was selbst mit einem flüchtigen Blick erkennbar war.
Da bleibt ein Erschrecken zurück und die Frage, wieso dann spätestens nach wenigen Stunden der Fehler nicht bemerkt und der Mann entlassen wurde. Rechtsanwalt Eberhard Reinecke, der die Eltern des Geflüchteten vertritt hat, dafür nur eine Erklärung, wie die Taz berichtet:
„Bei der Polizei herrschte die Grundhaltung: Wenn du einen Flüchtling einsperrst, triffst du keinen Falschen“, glaubt der Jurist aus Köln. „Für mich ist genau das institutioneller Rassismus.“
Wie ein Streit in alkoholisierten Zustand in eine Polizeizelle führte
In der ARI-Dokumentation wird auch auf andere ungeklärte Todesfälle in Polizeigewahrsam hingewiesen. Dazu gehört auch Rooble Warsame, der sich nach offiziellen Angaben am 26. Februar 2019 in einer Schweinfurter Polizeizelle erhängt haben soll.
Im re:volt-Magazine findet sich einer der wenigen Artikel, die sich mit dem Tod von Rooble Warsame, einem Geflüchteten aus Somalia, ausführlich befassten. Dort wird man schnell auf rassistische Strukturen stoßen. Da führte ein Streit in alkoholisiertem Zustand in eine Polizeizelle, obwohl der Mann nicht aggressiv war, sondern nur auf seinem Recht bestand, in der Flüchtlingsunterkunft Alkohol zu trinken, den er dort am Kiosk gekauft hatte.
Zwei Stunden später soll er sich in der Zelle erhängt haben. Ein Cousin des Toten, der den Tatort besuchte, erklärte:
„Die Zelle war zwei bis drei Quadratmeter groß. Wir untersuchten alles. Doch es war nicht möglich, in diesem Raum Suizid zu begehen. Außer man schlägt seinen Kopf immer wieder gegen die Wand, oder erwürgt sich mit den eigenen Händen. Es gab kein Material in dem Zimmer … keinen Haken, keine Seile, keine Öffnung, an der man etwas hätte befestigen können.“ Ein anwesender Polizist behauptete, Rooble Warsame hätte etwas an den Gitterstäben der Zelle befestigen können. Die Gitterstäbe waren jedoch in der Anlage nicht dazu geeignet. Sie hätten eine Person nicht tragen können. Zudem erhielten die Gefangenen bei Einschluss weder Laken, noch Bettdecken. Die Matratze der Zelle bestand aus festem Material.
re:volt-Magazine
Es ist zu hoffen, dass die Dokumentation „Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“ gemeinsam mit der antirassistischen Bewegung dazu beitragen, dass Rooble Warsame und Amad Ahmad ebenso bekannt werden wie Oury Jalloh und dass es ein öffentliches Tribunal über deren Todesumstände gibt, wenn die Gerichte hier weiter versagen. Peter Nowak