Vor der Abstimmung im Europaparlament versammeln sich in Berlin gegen die Urheberrechtsreform Zehntausende

Artikel 13 ist noch keine beschlossene Sache

Die Urheberrechtsform mobilisiert. In Berlin versammelten sich nach Angaben der Polizei mehr als 10 000 Teilnehmer auf dem Potsdamer Platz zu einem Protestzug zum Brandenburger Tor.

2000 Menschen waren angemeldet, weit über 10 000 Menschen sind schließlich am Samstagnachmittag bei frühlingshaften Temperaturen durch die Berliner Innenstadt gezogen. Viele hatten selbstgemachte Schilder mitgebracht, auf denen stand: »Wir sind keine…

… Bots« oder »Wir wollen unsere Memes«. Andere wandten sich gegen Zensur und für ein freies Internet. Am Dienstag will das Europaparlament in Straßburg über die Reform diskutieren und abstimmen. Kein Zweifel, der Protest gegen die geplante Urheberrechtsreform mobilisierte vor allem junge Menschen. Ein Großteil der Demonstrant*innen war unter 18 Jahre. Einige machten durch Aufnäher oder Buttons gegen den Kohleabbau deutlich, dass sie sich auch in der neuen Jugendumweltbewegung beteiligen. Die große Zahl der Teilnehmenden hat die Organisator*innen ebenso überrascht wie die Polizei. Gemeinsam einigte man sich kurzfristig auf eine neue Demonstrationsroute. Die vielen Teilnehmer*innen hätten auf den engen Straßen der ursprünglich geplanten Route für Staus gesorgt.

Die geplante Urheberrechtsreform schreibt Dienstanbietern im Internet vor, wirksame Erkennungstechniken einzusetzen, um Urheberrechte auf ihrer Plattform nicht zu verletzen. Die Technik, die dabei ganz automatisch mitgedacht wird, auch wenn sie nicht explizit im Gesetzestext genannt wird, heißt Uploadfilter.

»Ich habe viele netzpolitische Demonstrationen in Berlin erlebt. Von der Vorratsdatenspeicherung über Zensursula bis Acta. Diese Demo gegen Uploadfilter ist größer als die früheren«, twitterte Markus Beckedahl, Chefredakteur vonnetzpolitik.org. Euphorisch zeigte sich auch Julia Reda, die für die Piratenpartei im Europaparlament sitzt. »Ihr seid die Hoffnung Europas«, rief sie auf der Abschlusskundgebung den Demonstrant*innen zu. Die revanchierten sich mit »Julia, Julia«-Rufen. Eigentlich hätte sie nun große Chancen, erneut ins Europaparlament einzuziehen und so der schon fast von der politischen Bühne verschwundenen Piratenpartei ein Erfolgserlebnis zu bescheren. Doch Reda hatte sich entschieden, nicht noch einmal zu kandidieren, als von einer neuen netzpolitischen Bewegung nichts zu sehen war.

Die am 26. Mai anstehenden Europawahlen spielten auf vielen Plakaten eine Rolle. »Bots gehen wählen«, konnte man mehrmals lesen. Es waren Fahnen der Linken, der Jusos, der Grünen und der FDP auf der Demonstration zu sehen. Die schienen auch niemand zu stören. Nur die CDU war bei vielen unerwünscht. »Nie wieder CDU« konnte man lesen. Andere hatten den CDU-Schriftzug durchgestrichen. Die Christdemokrat*innen hatten sich in der Vergangenheit am entschiedensten für die schnelle Verabschiedung des Artikels 13, den die Demonstrant*innen als Angriff auf das Internet begreifen, eingesetzt. Der Protest hatte sich in den letzten Wochen vor allem über das Internet schnell verbreitet. Nicht nur in Berlin, auch in zahlreichen anderen Städten in Deutschland und Europa sind Massen gegen den Artikel 13 auf die Straße gegangen. In München war die Teilnehmer*innenzahl noch höher als in Berlin. Die Organisator*innen sprechen von circa 100 000 Demonstrant*innen in ganz Deutschland.

Es gab auch skeptische Stimmen unter den Teilnehmer*innen. »Das ist eher ein mehrstündiger Flashmob als eine Demonstration«, meinte ein lange Zeit in der netzpolitischen Bewegung aktiver Student. Ihn störte vor allem, dass auf der Demonstration vor allem gegen eine drohende Zensur im Internet protestiert wird und kaum von den Profitinteressen von Verlagen und Labels die Rede war. Auch der Publizist Wolfgang Michal hatte schon vor den Demonstrationen eine ähnliche Kritik formuliert. »Es geht in diesem Konflikt nicht um die Installation einer »Zensurmaschine«, die das Internet kaputt machen will, es geht um die Installation einer Geldmaschine. Die sich bedroht fühlende Kultur- und Kreativwirtschaft – zusammengesetzt aus zahllosen Musiklabels, Filmfirmen, Buch- und Presseverlagen – will die internetgetriebenen Plattform-Monopolisten zwingen, Lizenzen für sämtliche Werke zu erwerben, an denen sie die exklusiven Nutzungsrechte besitzen«, schrieb Michal in der Wochenzeitung »Freitag«. Wenn aber solche Kapitalinteressen bei den Protesten gegen die Urheberrechtsreform kaum erwähnt werden, besteht die Gefahr, dass die Gesetze vielleicht in modifizierter Form doch noch beschlossen werden. Jetzt muss sich zeigen, dass die Protestbewegung über Massendemonstrationen hinaus aktiv bleibt.

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