Am 21. Mai feiert die Gefangenengewerkschaft ihr einjähriges Bestehen. Wer sich hinter Gittern organisieren will, stößt noch immer auf Widerstand.
Ein Jahr ist vergangen, seit einige Gefangene der JVA-Tegel eine Gewerkschaft gründeten. Oliver Rast, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), zieht eine positive Bilanz: »Aufgrund von engagierten inhaftierten Gewerkschaftern verfügt die GG/BO in insgesamt 16 Haftanstalten über Sektionen mit jeweiligen Sprechern.«
In der GG/BO organisieren sich Gefangene unabhängig von ihrer Herkunft und ihren Haftgründen, um vor allem zwei Dinge zu fordern: Sozialversicherungspflicht für inhaftierte Beschäftigte und ihre Einbeziehung in den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Die Gefängnisverwaltungen und Politiker scheinen jedoch unter allen Umständen verhindern zu wollen, dass sich JVA-Insassen gewerkschaftlich organisieren.
Die Angriffe laufen auf zwei Schienen. So sagte Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU), dass die Gefangenengewerkschaft nicht als Verhandlungspartner anerkannt werde. Die JVA-Insassen besäßen keinen Arbeitnehmerstatus und würden daher auch nicht unter das Koalitionsrecht fallen. Damit rekurriert Heilmann auf ein Relikt aus obrigkeitsstaatlichen Zeiten, das von kritischen Kriminologen und Strafrechtlern bereits in den siebziger Jahren bekämpft wurde: der Arbeitszwang in den Gefängnissen. In Brandenburg wurde er im vorigen Jahr abgeschafft, in anderen Bundesländern wird darüber diskutiert.
Mittlerweile sind auch aktive Gewerkschafter hinter Gittern einem union busting ausgesetzt. Die Vollzugsbehörden der JVA Frankenthal, Würzburg und Landsberg haben sich besonders durch gewerkschaftsfeindliche Aktivitäten hervorgetan. In Landsberg wurde den Gewerkschaftsmitgliedern die Mitgliedszeitung Outbreak, von der bisher zwei Ausgaben erschienen sind, aus rechtlichen Gründen nicht ausgehändigt. Dem Sprecher der Gefangenengewerkschaft wurde mitgeteilt, er könne die einbehaltenen Zeitungen persönlich bei der Poststelle abholen, andernfalls würden sie auf Kosten der Gefangenen zurückgeschickt. Auch Informationsbriefe und Mitgliederausweise der GG/BO wurden einbehalten und die Behörden verdeutlichten gegenüber Mitgliedern, dass sich die Gewerkschaftsarbeit negativ auf den weiteren Vollzugsverlauf auswirken und mit der Verzögerung oder Streichung von Vollzugslockerungen verbunden sein könne.
Dass es nicht bei verbalen Drohungen bleibt, zeigt der Umgang mit Mehmet Aykol, dem in der JVA-Tegel inhaftierten Rechtssekretär der Gefangenengewerkschaft. Er wurde von der Vollzugsbehörde vor die Alternative gestellt, seine Gewerkschaftsfunktion aufzugeben oder die Vollzugslockerungen, die Aykol nach 18 Jahren Haft erhalten sollte, zu verlieren. Er entschied sich für die Gewerkschaft. Eine Sachbearbeiterin der JVA-Tegel begründete gegenüber einem GG/BO-Mitglied das Verbot, Gewerkschaftsmaterialien auszulegen, folgendermaßen: »Die Verteilung von Mitgliedsanträgen, Flyern oder Broschüren (…) birgt die Gefahr einer Verstrickung in subkulturelle Verflechtungen«. Eine Richterin des Berliner Landesgerichts bestätigte die Einbehaltung von Gewerkschaftsmaterialien und berief sich auf den Schutz der Gefangenen. In ihrer Begründung schrieb sie: »Die Gefangenen können sich den ihnen aufgedrängten Informationen und Werbemaßnahmen nicht in gleicher Weise entziehen wie in Freiheit lebende Menschen.«
Auch viele Firmenbesitzer wollen verhindern, dass die Gewerkschaft ihre Beschäftigten beeinflusst. Niedriglöhne und eine gewerkschaftsfreie Zone sollen die Gefängnisarbeit bei Unternehmen attraktiv machen. Doch bisher geht die Einschüchterungstaktik nicht auf. So haben sich im Mai 90 Gefangene der JVA Heilbronn in einer Unterschriftensammlung mit den Forderungen der GG/BO solidarisch erklärt. Einzelne Gefangene wollen auf juristischem Weg auch im Knast einen Mindestlohn durchsetzen. Auf der Konferenz der Landesjustizminister am 17. und 18. Juni in Stuttgart wollen Unterstützer die Forderung nach voller Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern erheben.
http://jungle-world.com/artikel/2015/21/51990.html
Peter Nowak