Jugendliche und Langzeiterwerbslose weiter ohne Mindestlohn

Die gegenwärtige Debatte um die konkrete Ausgestaltung des Mindestlohns zeigt, wie schwer es ist, selbst minimale Reformen durchzusetzen, die die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen verbessern

„Der Mindestlohn kommt“, ließ Bundesarbeitsministerin Nahles seit Wochen in vielen Städten plakatieren. Handelt es sich dabei doch um ein Renommierprojekt der SPD, mit dem die Partei in der aktuellen Regierungskoalition Handlungsfähigkeit beweisen will.

Noch ist vielen das Debakel der SPD bei der Rente mit 67 in der vorigen großen Koalition bewusst. Obwohl ein großer Teil der SPD-Basis dagegen war, setzte der damalige Arbeitsminister Müntefering diese Reform um. Damals hatte sich für viele Betroffene erneut die Überzeugung verhärtet, dass Reformen zunehmend mit Belastungen für große Teile der Bevölkerung verbunden sind.

Die Umsetzung des Mindestlohns ist für die SPD auch deshalb ein wichtiges Anliegen, weil es etwas vom Flair der 1970er Jahre vermitteln soll, als Reformen noch mit Schlagworten wie Verkürzung und Humanisierung der Arbeitswelt und anderen Maßnahmen verbunden war, die Verbesserungen für die Lebensumstände vieler Menschen zur Folge hatten. Doch ist die SPD nun in der Mindestlohn-Debatte der strahlende Sieger oder hat doch eher der Focus mit der Überschrift [1] recht: „Die SPD punktet, Nahles strahlt – und am Ende gewinnt doch wieder Angela Merkel“?

Tatsächlich stellt man, wenn man die Ausführungsbedingungen liest, fest, dass die Lobbyorganisationen der Industrie und des Handwerks gute Arbeit geleistet haben. Spätestens als sie erkannten, dass ein Mindestlohn im Allgemeinen nicht mehr zu verhindern ist, waren sie bemüht, konkrete Ausnahmen durchzusetzen. Nach dem aktuellen Gesetzentwurf sollen nun gerade diejenigen ausgeschlossen werden, die den Mindestlohn am nötigsten brauchen: Jugendliche unter 18 und Langzeitarbeitslose.

Der Sozialwissenschaftler Torsten Schulte vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans Böckler Stiftung bezeichnet [2] die Aussparung junger Menschen vom Mindestlohn als eine Form der Altersdiskriminierung, die arbeitsmarktpolitisch nicht zu verantworten [3] sei.

Die Berliner Erwerbslosenaktivistin Christel T., die in den letzten Monaten mit Aktionen vor Jobcenters gegen ihre Sanktionierung protestierte [4], kritisiert gegenüber Telepolis die Ausnahmen Erwerbsloser vom Mindestlohn scharf:

„Die Bemühungen Erwerbsloser, am Arbeitsmarkt ein Entgelt zu erzielen, das sie von Sozialleistungen unabhängig macht, werden damit unterhöhlt, die Chancen Langzeiterwerbsloser auf faire Bezahlung und diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt geschwächt.“

Angst um Arbeitsplätze

Dabei konnten sich die Lobbygruppen von Wirtschaft und Handel darauf verlassen, dass auch die Beschäftigten, die den Mindestlohn am Dringendsten brauchen, Angst haben, dass sie bei einer Einführung womöglich ihren Job verlieren könnten. Selbst auf der Homepage der Initiative Mindestlohn [5], auf der eindrucksvoll dargestellt ist, wie Dumpinglöhne in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, äußern Betroffene Befürchtungen um ihren Arbeitsplatz.

Dass eine Vollzeitarbeitsstelle mit Subventionierung durch Hartz IV der Erwerbslosigkeit vorgezogen wird, liegt sicher auch am deutschen Arbeitsethos. Mehr noch aber liegen die Gründe im Hartz IV-Regime, das mit Sanktionen und Kontrollen für viele Menschen als schwarzes Loch erscheint, in das sie nicht fallen wollen. Es sind also politische Entscheidungen, die nun diejenigen nutzen, die alles vermeiden wollen, was die Kosten der Ware Arbeitskraft erhöhen könnte.

Ausnahmen „überflüssig und politisch falsch“

Auch die Reaktion der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zum Kabinettsentwurf zum Mindestlohn fällt verhalten [6] aus.

Der Mindestlohn sei richtig und überfällig, die Ausnahmen aber überflüssig und falsch, lautet das Fazit der DGB-Gewerkschaft, die sich in den letzten Monaten sehr energisch für den Mindestlohn engagierte.

„Es ist abwegig, die Vermittlungshemmnisse für Langzeitarbeitslose an der Lohnhöhe festzumachen. Im Gegenteil wird bei einer Einstellung zum Niedriglohn die Hürde nach sechs Monaten beim Sprung auf 8,50 Euro noch höher.“

Zudem sei die Annahme, Hungerlöhne brächten Langzeitarbeitslose in Arbeit, in den vergangenen Jahren trotz einer drastischen Ausweitung des Niedriglohnsektors eindeutig widerlegt worden, moniert ver.di. Schärfer ist die Kritik [7] der Linkspartei, die erklärt, Nahles habe sich beim Mindestlohn über den Tisch ziehen lassen.

Auch der mittlerweile nicht mehr sehr einflussreiche Arbeitnehmerflügel der SPD ist nicht zufrieden mit den vielen Ausnahmen beim Mindestlohn und fordert Nachbesserungen [8]. So kann die SPD bei der nächsten Wahl erneut für einen Mindestlohn mit weniger Ausnahmen werben.

Peter Nowak

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