Die SPD-Mitgliederbefragung hat eine Einrichtung zur Folge, die verfassungsrechtliche Probleme aufwirft
Seit einigen Tagen findet sich ein neuer Begriff in den Kommentaren zum politischen Geschehen in Berlin – der „Hauptausschuss“.
Heute wurde das aus 47 Mitgliedern bestehende Gremium eingerichtet. Es soll den Bundestag handlungsfähig halten, bis eine neue Regierung eingerichtet ist. Als Vorsitzender dieses Hauptausschusses wurde der Parlamentspräsident Norbert Lammert eingesetzt. Darauf hatten sich die Parteien der großen Koalition verständigt.
Denn auch nachdem der Koalitionsvertrag nun unterzeichnet wurde, muss nun noch der Mitgliederentscheid der SPD abgewartet werden, bis es dann erst zu Verhandlungen über die Personalien kommen soll, die für Minister- und Staatssekretäre vorgesehen sind. Weil die auch Aufteilung der Ausschüsse nach dem Zuschnitt des Kabinetts gestaltet wird, wäre der Bundestag blockiert. Dass soll der Hauptausschuss verhindern.
Hauptausschuss nicht im Grundgesetz vorgesehen?
Heftige Kritik an der Einrichtung des Gremiums kommt von der parlamentarischen Opposition. Die Bundestagsfraktion der Linkspartei bezeichnet ihn als grundgesetz- und demokratiewidrig. Die Parteijuristin Halina Wawzyniak verweist auf den Paragraphen 54, in dem die Aufgaben des Bundestags und seiner Ausschüsse geregelt sind.
Die Bundestagsabgeordnete der Linken Petra Sitte präzisiert in einem Interview die Kritik:
„Der Hauptausschuss wird 47 Vollmitglieder haben und 47 Stellvertreter. Dabei sagt die Geschäftsordnung des Bundestages, dass jeder Abgeordnete das Recht auf Mitarbeit in wenigstens einem Ausschuss hat. Das Vorgehen jetzt ist also zumindest fragwürdig. Das Grundgesetz sieht Ausschüsse wie den Verteidigungsausschuss und den Auswärtigen Ausschuss vor, beispielsweise auch um Themen wie Auslandseinsätze der Bundeswehr zu diskutieren. Dann kann man nicht einfach einen Hauptausschuss neu erfinden und da alles reinpacken.“
So weit will der Verfassungsrechtler Martin Morlok nicht gehen. Für ihn ist der Hauptausschuss nicht verfassungswidrig. Verfassungspolitische Probleme sieht er aber durchaus. So betont Morlok in einem Interview mit dem Deutschlandfunk, dass die Einrichtung dieses Ausschusses eine absolute Notlösung bleiben müsse.
Er nannte drei verfassungsrechtliche Grundprobleme. Das Grundgesetz verlange mehrere Pflichtausschüsse, die nicht durch einen Hauptausschuss ersetzt werden könnte. Die nötige Spezialisierung werde dadurch verhindert. Zudem teilt er die von Petra Sitte geäußerte Kritik, dass es nicht allen 630 Abgeordneten möglich ist, in den Gremien mitzuarbeiten. Morlock sieht in dem Hauptausschuss ein „Politbüro-Prinzip“ am Werk.
Warum nicht ein allgemeines Referendum zum Koalitionsprogramm?
Die Diskussion um den Hauptausschuss zeigt einmal mehr die Problematik der SPD-Mitgliederbefragung, die schließlich die Verzögerung hervorgerufen hat. Obwohl schon seit Tagen Namen von Ministeranwärtern in den Medien gehandelt werden, war es ein Anliegen der SPD, die Personalien nach der Abstimmung zu verhandeln. Die Mitgliederbefragung sollte nicht noch mit diesen Fragen belastet werden. Schließlich könnte der einige oder andere Genosse dem Vertrag seine Unterstützung nur deshalb verweigern, weil kein Sozialdemokrat aus der Region mit Posten bedacht wurde.
Dieses Vorgehen mag aus Sicht der SPD-Parteimanager plausibel sein. Insgesamt zeigt sich aber, dass das ganze Manöver, die zerstrittene SPD über eine Mitgliederbefragung zu einen und dem Parteivorsitzenden die Autorität zu verschaffen, die er scheinbar bisher nicht hat, keineswegs etwas mit einen Ausbau der Demokratie zu tun hat. Denn: Wieso soll es vom Willen der aktiven SPD-Mitglieder abhängen, ob es eine große Koalition geben soll?
Damit wird doch gerade den Parteien eine Sonderstellung gegeben, die doch nach Meinung vieler Politikbeobachter in der Gesellschaft immer mehr an Ansehen und Einfluss verlieren. Wenn es mit der so viel im Mund geführten Demokratisierung Ernst gemeint wäre, müsste der Koalitionsvertrag in einem Referendum der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. Dann wäre zumindest garantiert, dass nicht nur den Mitgliedern einer Partei eine derart privilegierte, durch nichts gerechtfertigte Stellung gegeben wird. Das gilt übrigens auch für Lobbyverbände, die sich im Vorfeld von Koalitionsverhandlungen oft erfolgreich um Einfluss bemühen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155413
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.tagesspiegel.de/politik/geplanter-hauptausschuss-bundestag-wird-zum-provisorium/9104100.html
[2]
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/hauptausschuss/index.jsp
[3]
http://www.bundestag.de/
[4]
http://www.norbert-lammert.de/01-lammert/
[5]
http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/hauptausschuss-waere-wider-demokratie/
[6]
http://blog.wawzyniak.de/?s=Hauptausschu%C3%9F
[7]
http://www.bundestag.de/bundestag/aufgaben/rechtsgrundlagen/go_btg/go07.html
[8]
http://www.petra-sitte.de/
[9]
http://www.tagesspiegel.de/politik/bundestag-im-stand-by-modus-linke-eine-sehr-fatale-geschichte/9108552.html
[10]
http://www.jura.hhu.de/dozenten/morlok/prof-dr-martin-morlok.html
[11]
http://www.deutschlandfunk.de/rechtswissenschaftler-bundestags-hauptausschuss-ist-eine.694.de.html?dram:article_id=270403
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