Ist nur Merkel ein Auslaufmodell oder die gesamte CDU?

Die Frage ist nicht, warum sich nun Unionspolitiker, die Merkel in die zweite Reihe verbannt hat, zu Wort melden. Die Frage ist, warum sie so lange geschwiegen haben

Die politischen Aschermittwochreden sind längst ein Ritual geworden. Doch sie sind auch ein Seismograph für die politische Großwetterlage in Deutschland. Und die stand 2018 im Zeichen des Endes der Ära Merkel. Nun wurde das schon seit Jahren prognostiziert.

Doch dass es nun soweit ist, zeigt sich auch daran, dass sich die Merkel-Gegner in der Union aus der Deckung wagen. Dazu gehört der langjährige CDU-Rechtsaußen Roland Koch, der in der FAZ eine Nachfolgeregelung von Merkel forderte. Seine Ansage war eindeutig: „Sie schulden den Wählern eine Antwort auf die Frage, welches die nächste Generation ist, die Verantwortung übernimmt.“

Interessant ist auch, wie Koch begründet, warum er sich nun doch zu Wort meldet, nachdem er jahrelang zu dem unionsinternen Zwist geschwiegen hat:

Wir sind in einer sehr wichtigen Zeit sowohl für Deutschland als auch für die Partei, der ich mich wie eh und je verbunden fühle, also für die CDU. Wir laufen Gefahr, dass die beiden großen Volksparteien zu stark an Einfluss verlieren.

Roland Koch, FAZ

„Die CDU hat alles mit sich machen lassen“

Nun ist Koch nicht der einzige, der in der Merkel-Ära abserviert und dann lange geschwiegen haben. Dass sich Roland Koch nun zu Wort meldet, dürfte ein Indiz sein, dass die Zeit vorbei ist, wo die „CDU hat alles mit sich machen lassen“. Diese Überschrift über dem Koch-Interview in der FAZ kann durchaus auch eine Selbstkritik sein. Warum hat die CDU seit fast 20 Jahren das mit sich machen lassen?

Wie konnte eine ehemalige FDJ-Sekretärin aus Mecklenburg, die nichts mit der DDR-Opposition zu tun hatte, eine solche Macht erlangen, dass sie reihenweise Unionspolitiker von Helmut Kohl über Friedrich Merz und viele andere in die Versenkung verbannen konnte? In den Wendewirren sind viele Politiker aus der DDR kurzzeitig hochgespült worden. Heute kennt ihre Namen niemand mehr.

Warum gehörte Merkel zu den wenigen, die es geschafft haben, oben zu bleiben? Warum spielte selbst bei der notorisch antikommunistischen Union die ungeklärte DDR-Vita von Merkel keine Rolle? Eine Politikerin mit ähnlicher Vita bei der SPD oder der LINKEN hätte sich viel kritischere Fragen gefallen lassen müssen.

Bündnis Schäuble -Merkel zahlte sich politisch aus

Gerade, weil solche Fragen öffentlich kaum gestellt wurden, haben sich Rechte und Verschwörungstheoretiker aller Couleur damit beschäftigt. Dabei ist der Aufstieg Merkels und ihre lange Hegemonie in der Union recht einfach zu erklären. Das Ende der Kohl-Ära hat die Partei verunsichert.

Damals wurde ihr eine lange Zeit der Opposition prognostiziert, nachdem die Affäre der Geheimkonten bekannt geworden war. So war Kohl schon längst ein Auslaufmodell, bevor er von Merkel beiseite geschubst wurde. Mit dem designierten Kohl-Nachfolger Wolfgang Schäuble ging sie ein Bündnis ein, das beiden eine lange Herrschaft garantierte.

Die Bedingung war, dass niemand so genau nachfragt, was noch an Ungesetzlichen in der Kohl-Ära geschehen ist und welche führenden CDU-Politiker darin verwickelt waren. Dafür wollte auch niemand so genau die Vita der Angela Merkel in der DDR eruieren. Weil beide Seiten ein Interesse daran hatten, die Vergangenheit ruhen zu lassen, konnte aus diesem Bündnis Merkel-Schäuble zeitweise eine stabile Hegemonie über die Partei entstehen.

Politisch zahlte sich das für die Union aus. Während Schäuble als strenger Kassenwart den EU-Staaten das Troika-Diktat beherrschte, konnte Merkel als ideologiefreie Liberale selbst bei Sympathisanten der Grünen und mancher Ex-Linker durchgehen. Dabei kam ihr zugute, dass sich der Mitte-Mythos auch bei ihnen längst durchgesetzt hat.

Spätestens mit dem Aufstieg rechtspopulistischenr Bewegungen auch in Deutschland wuchs die Zahl der Merkel-Sympathisanten an. Selbst schlauere Linke meinten, Merkel loben zu müssen, weil sie im „Herbst der Migration“ die Grenzen für einige Wochen nicht komplett dichtmachte. Nicht die Zähigkeit und der Widerstandsgeist der Migranten wurden herausgestellt, sondern die Politikerin, die in der Folge die schärften Flüchtlingsabwehrgesetze zu verantworten hat, wurde so endgültig zur Kanzlerin der deutschen Mitte gemacht und die schwenkte nach rechts.

Merkel-Ende im Zeichen des Rechtsrucks

Das Bündnis Merkel-Schäuble ist zu Ende, Schäuble hat sein Ministeramt verloren und in der Union melden sich alte und neue Merkel-Kritiker zu Wort. So steht auch das sich ankündigende Ende der Ära Merkel im Zeichen dieses Rechtsrucks.

Denn egal, wer sie in der Union beerben sollte, er oder sie wird wieder stärker auf die konservativen und deutschnationalen und christlichen Wurzeln der Union rekurrieren, schon um sich gegenüber der AfD als seriösere Rechtsformation verkaufen zu können.

Als Roland Koch noch aktiv in der Politik mitmischte, gewann er in Hessen Landtagswahlen, indem er eine Unterschriftenkampagne gegen die damals von Rot-Grün favorisierte doppelt Staatsbürgerschaft initiierte. Vieler derer, die damals unterschrieben haben, werden später die AFD gewählt oder wie Erika Steinbach für sie geworben haben.

In einer von Roland Koch geprägten Union hätten sie sich sicher gut aufgehoben gefühlt. Dass heute die Merkel-Dämmerung eher eine Verschiebung nach rechts bedeutet, lag auch am Versagen von linken Kräften in Deutschland. „Merkel muss weg“ wurde zu einer rechten Parole.

Einem großen Teil der Linken fiel nichts Dümmeres ein, als Merkel zu verteidigen, statt mit der Parole „Alle müssen weg“ deutlich zu machen, dass keiner der sogenannten Repräsentanten der Macht es wert ist, verteidigt zu werden.

Umgruppierungen im Parteiensystem für den autoritären Kapitalismus

Dabei haben schon andere parlamentarische und außerparlamentarische Gruppen die Erfahrung gemacht, dass sie nur verlieren, wenn sie sich an eine Fraktion des Ancien Regime binden. Schließlich ist die Schwäche von sozial- und christdemokratisch/konservativen Parteien kein deutsches Spezifikum. Im Gegenteil.

Deutschland ist in dieser Hinsicht eher Nachhut. In Italien ist das Parteiensystem bereits vor 2 Jahrzehnten implodiert und profitieren konnte der Berlusconismus, eine moderne Form des Rechtspopulismus, der bis heute die politische Hegemonie in Italien prägt. In Frankreich konnte ein Macron vom Ende des alten Parteiensystems profitieren, weil er sich als letztes Bollwerk gegen den Front National inszenieren konnte.

Nun könnte auch in Deutschland eine solche Umstrukturierung des Parteiensystems anstehen. Natürlich gibt es dafür immer spezielle länderspezifische Gründe, die den Verlauf und das Ausmaß der Krise bestimmen. Daher wäre es auch verfehlt, nun auch in Deutschland schon das Ende von Union und SPD einzuläuten.

Doch etwas Gemeinsames gibt es bei dem Verfall der Parteien in all diesen Ländern. Es ist der Umbau der Gesellschaft in einen autoritären Kapitalismus. Anders als im Fordismus gibt es innerstaatlich kaum noch etwas zu verteilen. Reformen sind immer mehr Zumutungen für die Subalternen.

Der Staat ist immer mehr nur der Standort für die jeweiligen Konzerne, die als Industriestandorte gegen andere Konzerne in den Krieg ziehen, vorerst nur in den Wirtschaftskrieg, aber dabei muss es nicht bleiben. Für diesen weltweiten Wirtschaftskrieg wird auch das Parteiensystem umgestaltet. Ein Symptom der Krise des fordistischen Parteiensystems ist die Hegemoniekrise.

Die Personalstreitereien in der SPD-Führung sind dafür ein beredtes Beispiel. Weil keine der streitenden Fraktionen eine innerparteiliche Hegemonie erlangen und den Konflikt beheben kann, wird der Vorschlag eingebracht, nun müsse die Basis über die neue Führung entscheiden. Nun ist das wahrlich nicht neu. Erinnert sich noch jemand, dass 1993 bei einer Urwahl der SPD-Mitglieder ein Rudolf Scharping zum Parteivorsitzenden gekürt wurde?

Der ist so vergessen, dass es kaum einen Vergleich zwischen Martin Schulz und ihn gab, obwohl da Ähnlichkeiten offensichtlich sind. Die Flucht zur Basiswahl ist Ausdruck einer Hegemoniekrise und hat wenig mit Liebe zur Basisdemokratie zu tun.

Das Duo Merkel-Schäuble hatte über eine längere Zeit die Hegemonie in der Union gesichert. Es muss sich nun zeigen, ob ihren Nachfolgern dies auch gelingt. Wenn nicht, könnte auch die Union ein Auslaufmodell werden.

https://www.heise.de/tp/features/Ist-nur-Merkel-ein-Auslaufmodell-oder-die-gesamte-CDU-3969961.html

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Peter Nowak
Links in diesem Artikel:
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/roland-koch-im-interview-merkel-muss-nachfolge-regeln-15443510.html
[2] http://www.faz.net/aktuell/faz-interview-mit-ex-ministerpraesident-roland-koch-15443521.html
[3] http://www.faz.net/aktuell/faz-interview-mit-ex-ministerpraesident-roland-koch-15443521.html
[4] http://www.bertz-fischer.de/product_info.php?cPath=21_48&products_id=511
[5] http://www.faz.net/aktuell/politik/rueckblick-unterschriften-brachten-koch-wahlsieg-in-hessen-140326.html
[6] https://www.kleinerbuchladen.de/shop/rainer-balcerowiak-die-heuchelei-von-der-reform/

Bekommt der Bundestag ein temporäres „Politbüro“?

Links

[1]

http://www.tagesspiegel.de/politik/geplanter-hauptausschuss-bundestag-wird-zum-provisorium/9104100.html

[2]

http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/hauptausschuss/index.jsp

[3]

http://www.bundestag.de/

[4]

http://www.norbert-lammert.de/01-lammert/

[5]

http://www.linksfraktion.de/pressemitteilungen/hauptausschuss-waere-wider-demokratie/

[6]

http://blog.wawzyniak.de/?s=Hauptausschu%C3%9F

[7]

http://www.bundestag.de/bundestag/aufgaben/rechtsgrundlagen/go_btg/go07.html

[8]

http://www.petra-sitte.de/

[9]

http://www.tagesspiegel.de/politik/bundestag-im-stand-by-modus-linke-eine-sehr-fatale-geschichte/9108552.html

[10]

http://www.jura.hhu.de/dozenten/morlok/prof-dr-martin-morlok.html

[11]

http://www.deutschlandfunk.de/rechtswissenschaftler-bundestags-hauptausschuss-ist-eine.694.de.html?dram:article_id=270403

Darf die Basis der Linkspartei ihre Führung wählen?


Diese Frage beschäftigt die Linkspartei zur Zeit und sorgt für neuen Streit

Der Stein des Anstoßes ist ein Gutachten Gutachten des Bundestagsabgeordneten der Linken und ehemaligen Bundesrichters Wolfgang Neskovic. Demnach wäre ein Mitgliederentscheid über die Parteiführung – unabhängig vom lediglich empfehlenden Charakter – nicht vom Parteiengesetz gedeckt und verstieße zudem gegen die Satzung der Linken.
Die Wahl der Vorsitzenden liege nach dem Parteiengesetz in alleiniger Entscheidungskompetenz des Parteitags. Auch eine vorherige Befragung der Mitglieder, an die der Parteitag zumindest formell nicht gebunden wäre, hält Neskovic demnach für nicht zulässig. „Denn der nur konsultative Charakter einer Befragung der Mitglieder sei ein politisches Trugbild“, argumentierte er. „Wenn die Basis der Parteimitglieder sich entscheidet, hat dies eine faktische Bindungswirkung.“
Auch in der Parteisatzung ist laut Neskovic geregelt, dass Mitgliederentscheide „zu allen politischen Fragen“ stattfinden können, wenn eine ausreichende Zahl von Gliederungen oder Mitgliedern der Partei dies wünschten. Damit seien Sachthemen, nicht aber Personalfragen gemeint, betonte er. Das ist Munition für den Ex-Parteichef von SPD und Linkspartei Oskar Lafontaine. Er wandte sich wiederholt mit juristischen Argumenten gegen einen Mitgliederentscheid zur Wahl der Parteispitze. „Das Parteiengesetz schreibt zwingend vor, dass Parteivorsitzende von Parteitagen gewählt werden“, war seine jetzt von Neskovic getragene Interpretation.
Kaum waren die Meldungen über das Gutachten in den Medien, reagierte der Linkenpolitiker Bodo Ramelow pikiert. In der Frankfurter Rundschau sprach er sich noch einmal für die Entscheidung durch die Mitglieder aus und sparte nicht mit Kritik an seiner Partei:
„Wir müssen raus aus der Strömungslogik. Strömungen machen nur zehn Prozent der Linken aus. Deren Vertreter sind in der Führung nun völlig überrepräsentiert. Schluss damit. Schluss mit Ost und West. Wir sind eine gesamtdeutsche Partei. Wir brauchen jetzt einen Aufbruch, getragen von der Mitgliedschaft der Partei. Deshalb bin ich strikt für einen Mitgliederentscheid über die neue Parteispitze.“

Für oder gegen Bartsch

Weil auch zwischen den Jahren im Zeitalter von Twitter und Internet keine Politikpause mehr eintritt, gab es sofort eine polemische Replik auf Ramelow von einer der gescholtenen Strömungen. Dazu aufgerufen wird, das schon bestellte Gutachten des Parteienrechtlers Martin Morlok zur juristischen Seite einer Mitgliederbefragung abzuwarten. Doch egal, was drin steht, Streit ist in der Linkspartei schon vorprogrammiert.
Denn der Freundeskreis von Dietmar Bartsch sieht nur mittels einer Mitgliederbefragung eine reale Chance den dem Realoflügel angehörenden Politiker an die Parteispitze zu bringen. Dabei hoffen sie auf die Mitgliederbasis im Osten und appellieren auf das einfache Mitglied, das durch die Strömungslogik angeblich nicht repräsentiert werde.
Daher ist die Frage pro und contra Mitgliederentscheid über die eigene Spitze schon lange zu der Frage geworden, wie man es mit Dietmar Bartsch hält. Daher dürfte der Streit die Linke noch einige Monate beschäftigen. Dass dabei mit harten Bandagen gekämpft wird, zeigt sich schon an den wochenlangen Streit über ein angebliches Bartsch-Zitat, das nach Meinung seiner Gegner Hartz IV-Empfänger diskriminiert und schon Anlass zu seltsamen Korrespondenzen den Parteifreunden bot.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/151133

Peter Nowak